Grossbritannien Johnson verteidigt Bruch des Brexit-Deals als «Versicherungspolice»

dpa/tpfi

14.9.2020

Premierminister Boris Johnson erntet heftige Kritik für seine angestrebte Änderung des Scheidungsabkommens mit der EU.
Premierminister Boris Johnson erntet heftige Kritik für seine angestrebte Änderung des Scheidungsabkommens mit der EU.
Bild: Keystone/AP/Stefan Roussea

Vier seiner Vorgänger und ein Ex-Generalstaatsanwalt haben seine Idee eines britischen Binnenmarktgesetzes – und damit die Aushebelung der Nordirlandvereinbarungen verurteilt. Doch der Premierminister gibt sich unbeeindruckt und erklärt, der EU könne man nicht trauen.

Der britische Premierminister Boris Johnson hat die von ihm angestrebte einseitige Änderung des Scheidungsabkommens mit der EU gegen alle Kritik verteidigt. Teile der rechtskräftigen Vereinbarung bezüglich Nordirlands müssten per Gesetz überschrieben werden, weil die EU sich gegenüber ihrem Ex-Mitglied Grossbritannien «extrem und unzumutbar» verhalten könnte. «Ich habe absolut nicht den Wunsch, diese Massnahmen anzuwenden», sagte Johnson am Montag bei der Einbringung seines Gesetzentwurfs für den britischen Binnenmarkt im Unterhaus. «Sie sind eine Versicherungspolice.»

Johnsons Regierung hat eingeräumt, dass Änderungen an den Nordirland-Bestimmungen gegen rechtlich bindende Bestimmungen der Austrittsvereinbarung mit der EU verstossen würden. Dagegen haben sich mit John Major, Tony Blair, David Cameron und Theresa May gleich vier seiner Amtsvorgänger ausgesprochen – und selbst in seiner Konservativen Partei regt sich Widerspruch. Der Tory-Abgeordnete und während der Brexit-Verhandlungen als Generalstaatsanwalt ranghöchste Justizbeamte, Graham Cox, sagte, die geplanten Änderungen wären ein «skrupelloser» Bruch internationalen Rechts.

Nach May, Blair und Major meldete am Montag auch der frühere konservative Regierungschef Cameron Bedenken zu Johnsons Vorgehen an. «Ein Gesetz im Parlament zu verabschieden und dann einen internationalen Vertrag zu brechen ist das Allerletzte, was man erwägen sollte», sagte der Initiator des Brexit-Referendums.

Johnsons früherer Schatzkanzler Sajid Javid sagte, auch er werde als Abgeordneter Johnsons Gesetz nicht mittragen. Er könne einfach nicht die «präventive Nichteinhaltung» der Austrittsvereinbarung unterstützen. Der konservative Abgeordnete Rehman Chishti trat aus Protest gegen Johnsons Vorhaben als dessen Sondergesandter für Religionsfreiheit zurück. Ihm seien der Respekt von Rechtsstaatlichkeit und das Einhalten gegebener Versprechen sehr wichtige Werte, erklärte er.

Die Regierung verteidigt das Gesetz mit dem Argument, damit werde der Binnenmarkt des Königreichs geschützt, weil die EU gedroht habe, Lieferungen Englands, Schottlands und von Wales nach Nordirland zu blockieren. Es wird erwartet, dass Johnsons Binnenmarkt-Gesetz eine Mehrheit bekommen wird. Die finale Abstimmung wird binnen weniger Wochen erwartet.

Am Wochenende hatten sich Blair und Major scharf gegen das geplante Gesetz gewandt. «Das Handeln dieser Regierung ist beschämend für sie selbst und peinlich für unsere Nation», schrieben sie in einem gemeinsam verfassten Zeitungsartikel.

Mit der von Johnson selbst mit ausgehandelten Austrittsvereinbarung wurde im vergangenen Jahr der Brexit zum 31. Januar besiegelt. Johnson bezeichnete das damals als Erfüllung seines Versprechens, den Austritt zu vollenden; bei der Parlamentswahl erreichte er daraufhin ein große Mehrheit für seine Konservative Partei. Bis Ende dieses Jahres läuft noch eine Übergangsfrist, in der bisherige Vereinbarungen zwischen EU und Grossbritannien gelten. Sie sollen von einem Handelsabkommen abgelöst werden, mit dem ein «harter Brexit» vermieden werden soll. Die Verhandlungen dazu kamen schon vor Johnsons Änderungsvorstoss nicht voran.

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