KanadaPapst bittet Ureinwohner um Vergebung für erlittenes Unrecht ihrer Kinder
SDA/dpa/tpfi
26.7.2022
Papst Franziskus hat die Ureinwohner Kanadas um Vergebung für die einst von Kirchenvertretern begangenen Vergehen an indigenen Kindern gebeten. Mitglieder der katholischen Kirche und der Ordensgemeinschaften hätten an «Projekten der kulturellen Zerstörung und der erzwungenen Assimilierung» der Ureinwohner teilgenommen, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Montag.
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26.07.2022, 00:00
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Dies habe seinen Höhepunkt im «System der Internatsschulen» gefunden, sagte er im kleinen Ort Maskwacis nahe der Stadt Edmonton in der Provinz Alberta. Dort traf er Vertreter der First Nations, Inuit und Métis.
Franziskus bat in seiner Rede mehrfach um Vergebung. Die Politik der Assimilierung und Entrechtung sei für die Menschen in diesen Gebieten «verheerend» und «katastrophal» gewesen, sagte der Argentinier. «Ich bitte um Vergebung insbesondere für die Art und Weise, in der viele Mitglieder der Kirche und der Ordensgemeinschaften, auch durch Gleichgültigkeit an den Projekten der kulturellen Zerstörung und der erzwungenen Assimilierung durch die damaligen Regierungen mitgewirkt haben, die im System der Internatsschulen ihre Höhepunkt fanden», sagte Franziskus. Am Ende seiner Rede, der auch der kanadische Premierminister Justin Trudeau beiwohnte, bekam der Papst einen traditionellen Feder-Kopfschmuck der Ureinwohner aufgesetzt.
Ab den 1880er Jahren wurden in Kanada über Jahrzehnte hinweg geschätzt rund 150’000 indigene Kinder ihren Familien entrissen und in von der Kirche geführten Internaten untergebracht. In den Schulen fielen viele Kinder sexuellem Missbrauch, Hunger und Krankheiten zum Opfer. Hunderte starben. Vertreter der indigenen Gruppen besuchten Papst Franziskus Ende März im Vatikan, wo der Pontifex bereits für die Taten der Kirche um Entschuldigung gebeten hatte.
Bisher keine Entschädigungen
Die Missbrauchstaten geschahen über Jahrzehnte hinweg in staatlichen und von der Kirche geführten Einrichtungen. Kinder starben an den Folgen von Krankheiten, Hunger oder im Zusammenhang mit Missbrauch. Die Fälle erlangten international grosses Aufsehen, als Experten vor etwas mehr als einem Jahr in der Nähe eines Internates anonyme Gräber von toten Kindern entdeckten.
In der indigenen Bevölkerung Kanadas ahnten Familienmitglieder jedoch schon lange, welches Schicksal ihre Verwandten einst in diesen Institutionen ereilte. Den teils von ihren Familien entrissenen Kindern sollte dort westliche Kultur beigebracht werden. Die Debatte über den Umgang mit den Ureinwohner-Kindern läuft in Kanada schon seit Jahren. Kritik gibt es an der Kirche wegen nicht angemessener Entschädigung für die Überlebenden.
Heikle Mission
Der Fund Hunderter anonymer Kindergräber in der Nähe der Internate seit Mai vergangenen Jahres machte ihr Schicksal weltweit bekannt - obwohl es in Kanada schon seit Jahren diskutiert wurde. Eine staatlich eingerichtete Kommission bezeichnete die Verbrechen, die Bedienstete in den Schulen begingen 2015 als «kulturellen Genozid».
Fast 2000 Überlebende der ehemaligen Internate waren in Maskwacis erwartet worden. Während Franziskus' Rede applaudierten sie immer wieder. An den Ort mit wenigen Tausend Einwohnern reisten Menschen aus dem ganzen Land. Lizzie und Yvette Daniels etwa, zwei Überlebende der Internate, fuhren nach eigenen Worten die ganze Nacht, um den Papst in Maskwacis zu sehen. «Es ist überwältigend», sagte Lizzie Daniels der Deutschen Presse-Agentur. Für sie sei es am wichtigsten, die Entschuldigung des Papstes zu hören.
Auch in Maskwacis befand sich einst ein Internat. Der Ort rief in Franziskus nach eigenen Worten einen «Schmerzensschrei» hervor, der ihn in den vergangenen Monaten begleitete. «Ich denke an die Tragödie, die so viele von euch, eure Familien eure Gemeinschaften erlitten haben», sagte der Pontifex.
Der Südamerikaner zitierte in seiner auf Spanisch gehaltenen Rede den Holocaustüberlebenden und renommierten Autor Elie Wiesel: «Das Gegenteil der Liebe ist nicht der Hass, sondern die Gleichgültigkeit. Das Gegenteil des Lebens ist nicht der Tod, sondern die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und dem Tod.»