Lagebild Ukraine Kiews Abwehrschlacht zahlt sich aus, weil Moskau teuer bezahlt

Von Philipp Dahm

15.2.2023

Kampfpanzer für Ukraine – Deutschland verfehlt vorerst Ziel

Kampfpanzer für Ukraine – Deutschland verfehlt vorerst Ziel

Die Ukraine wird vorerst nicht die von Deutschland in Aussicht gestellte Menge an Kampfpanzern erhalten. Nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sind bei einem Treffen der sogenannten Panzerkoalition keine neuen Zusagen für Panzer vom Typ Leopard 2A6 gemacht worden. Demnach wollen nur Deutschland und Portugal dieses Modell liefern. «Da werden wir die Bataillonsstärke nicht erreichen», räumte Pistorius ein.

15.02.2023

Russlands Grossoffensive kommt nur mühsam voran, stockt – oder wird gekontert: Die Armee soll «um die 50 Prozent» der Kampfpanzer verloren haben. Moskau schickt mehr Infanterie, doch damit rechnet Kiew bereits.

Von Philipp Dahm

15.2.2023

Die Offensive ist im Gange, kommt aber nicht in die Gänge. So lässt sich der neuerliche Grossangriff Russlands beschreiben: Moskau kommt kaum voran, wird nach anfänglichen Geländegewinnen sogar zurückgedrängt oder beisst sich an der Verteidigung ganz einfach die Zähne aus.

«Russlands konventionelle Streitkräfte sind durch den Krieg in der Ukraine erheblich geschwächt geworden», ordnet der jüngste Bericht des norwegischen Geheimdienstes die allgemeine Lage ein. Der Kreml habe drei Viertel seiner Boden-Boden-Raketen verschossen. «Andererseits verfügt Russland über grosse Reserven militärischer Ausrüstung, insbesondere älterer Typen.»

Der Wert der nuklearen Kapazitäten ist seit dem letzten Jahr gestiegen, heisst es weiter: «Wegen geschwächter konventioneller Fähigkeiten hat die Bedeutung von Atomwaffen für Russland erheblich zugenommen. Die strategische und regionale Abschreckung ist immer wichtiger geworden.» Das Eskalationsrisiko sei gewachsen, analysieren die Norweger.

Viel Effort, wenig Ertrag

Von der Makro- zur Mikroebene: Im Norden der Front im Oblast Charkiw haben russische Truppen kleine Geländegewinne erzielt und bedrohen nun Hrianykivka. Das Dorf liegt an der Eisenbahnlinie und dem Oskil.

Kupjansk ist das Ziiel: Russischer Vorstoss im nördlichsten Frontabschnitt.
Kupjansk ist das Ziiel: Russischer Vorstoss im nördlichsten Frontabschnitt.
Militaryland

Von dort könnten Kräfte direkt 16 Kilometer nach Süden Richtung Kupjansk vorstossen oder den Fluss queren, Dworitschna einnehmen und im Westen das Hinterland von Kupjansk bedrohen.

Weiter südlich am Frontabschnitt Swatowe-Kreminna will die ukrainische Armee mehrere russische Vorstösse abgewehrt haben – etwa nördlich von Kreminna beim Dorf Newske am Fluss Zherebets, im Westen von Kreminna beim Dorf Kusmyne oder südlich von Kreminna bei Bilahoriwka.

Ukrainische Gegenangriffe bei Bachmut erfolgreich

Während die russische Armee in jenem Gebiet nur schrittweise vorankommt, wird sie bei Bachmut sogar zurückgeschlagen – und zwar im Norden wie auch im Süden, wo die Angreifer mit einem Angriff auf Ivanivske gescheitert sind.

Bei Bachmut konnten sich die Verteidiger ein wenig Luftmachen.
Bei Bachmut konnten sich die Verteidiger ein wenig Luftmachen.
Militaryland

Für die ukrainischen Streitkräfte sind das gute Nachrichten: Der Rückzugsweg für die in Bachmut verbleibenden Truppen über die «Strasse des Lebens» Richtung Taschassiw Jar im Westen ist elementar. Weil die Kleinstadt selbst immer mehr ins russische Visier gerät, werden die Zivilisten dort nun evakuiert.

«Sie sind ehrlich gesagt zu nah an der Strasse», sagt der ukrainische Soldat Andrij zu «Radio Free Europe/Radio Liberty». «Sie greifen jeden Tag an, um den Weg abzuschneiden.» Hat Russland genug Ressourcen, um Bachmut einzunehmen? «Haben sie», meint Andrij. «Sie haben die Leute und die Ausrüstung.»

Verteidigung Bachmuts zahlt sich aus

Ein alter Mann, der auf der Strasse gefragt wird, ob er Angst davor habe, dass Tschassiv Jar ein zweites Bachmut werden könnte, antwortet: «Das wird es. Aber [die ukrainischen Truppen] werden Tschassiw Jar nicht aufgeben.» Warum? «Weil es einer der höchstens Orte im Donbass ist», weiss der Alte. «Das ist gut für die Artillerie.»

Dass die Ukraine Bachmut noch nicht aufgibt, sei strategisch sinnvoll, attestiert das Institute for the Study of War der Ukraine: Die Verteidiger würden damit viele Wagner-Söldner und wertvolle Fallschirmjäger binden, so die Washingtoner Denkfabrik. Die hohen Verluste machen die Angreifer zudem anfällig für Gegenangriffe, heisst es weiter.

Ähnlich wichtig wie die Eroberung von Bachmut ist für Russland die Einnahme von Wuhledar. Die Bergbaustadt ist im Ostteil dem Erdboden gleichgemacht worden, nachdem Russland bei mehreren Angriffen viele Soldaten verloren hat.

Wuhledar: Bataillonszentrale zerstört

Nun hat Russland Wuhledar zwar erneut angegriffen, doch die Ukraine hat brutal zurückgeschlagen: Per Artillerie-Angriff wurde das Hauptquartier des Bataillons in Yehorivka getroffen, was die Koordination der Wuhledar-Attacke gestört hat. Ein Gegenangriff hat schliesslich zu einem russischen Rückzug geführt.

Ein Artillerie-Angriff hat die Führung auf Bataillonsebene verunmöglicht: Der Angriff auf Wiuhledar ist deshalb gescheitert.
Ein Artillerie-Angriff hat die Führung auf Bataillonsebene verunmöglicht: Der Angriff auf Wiuhledar ist deshalb gescheitert.
YouTube/Reporting from Ukraine

Während sich auf der russischen Seite weiter Truppen sammeln, hat die ukrainische Armee ihre Artillerie aufgestockt: Wuhledar soll in dieser Hinsicht nun ähnlich gut bestückt sein wie Bachmut, weiss der Youtube-Kanal «Reporting from Ukraine».

Die Folgen für Russland sind verheerend: Die Zahl der Verluste liegt derzeit vier Mal so hoch wie noch im Juni und Juli, schätzt zumindest Kiew. In der vergangenen Woche lagen sie demnach bei 824 Gefallenen pro Tag. Das sind Zahlen wie zu Beginn des Krieges vor einem Jahr.

«Um die 50 Prozent» der Kampfpanzer sind weg

Das Problem: Russland hat im bisherigen Krieg «um die 50 Prozent» seiner Kampfpanzer verloren, erklärt John Chipman vom International Institute for Strategic Studies dem «Guardian». Das offenbare auch die Schwächen in der militärischen Führung, ergänzt der Chef der Londoner Denkfabrik. Dem Kreml bleibe so kaum etwas anderes übrig, als auf die Infanterie zu setzen.

Und die Ukraine? Angesichts der Wellen von Soldaten und auch wegen der starken russischen Befestigungen wartet Kiews Armee nicht nur die Angriffe, sondern auch die Lieferung westlicher Waffen ab. Und stockt die Kräfte auf: Angeblich soll eine neue Legion polnischer Freiwilliger aufgestellt werden, während in Ländern wie Grossbritannien, Spanien, Polen und Deutschland neue Ukrainer*innen ausgebildet werden.

Vom Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein gibt es bisher keine Neuigkeiten über weitere Waffenlieferungen – auch in Sachen Kampfjets gab es keine Bekanntmachungen, hält die «Brussels Times» fest. Fest steht dagegen, dass sich Kiews Militär über rund 2000 neue Fahrzeuge pro Jahr freuen darf: Lettlands Regierung arbeitet an einem Gesetz, wonach Lenkern, die betrunken fahren, ihr Auto genommen und an die Ukraine weitergegeben werden soll.