Lagebild Ukraine Kiews Coup in Spirne – wie der Krieg nach Soledar weitergeht

Von Philipp Dahm

20.1.2023

Selenskyj: «Kannst du Leoparden liefern? Dann gib' sie her!»

Selenskyj: «Kannst du Leoparden liefern? Dann gib' sie her!»

«Kannst du Leoparden liefern oder nicht? Dann gib' sie her!» Mit diesem Satz hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erneut an die Deutschen gewandt. In einem am Donnerstagabend ausgestrahlten ARD-Interview kritisierte Selenskyj Deutschlands zögerliche Haltung bei der Frage nach möglichen Kampfpanzer-Lieferungen scharf.

20.01.2023

Bei einer Kleinstadt zwischen den Schlachtfeldern von Kreminna und Bachmut haben sich die Ukrainer durch geschicktes Vorgehen starke Verteidigungslinien aufgebaut. Um diese aber auch wirklich halten zu können, benötigen sie dringend Kampfpanzer.

Von Philipp Dahm

20.1.2023

Scharmützel im Wald oder blutige Häuserkämpfe prägen derzeit den Krieg in der Ukraine: Weil es weiterhin zu warm im Land ist, sind gross angelegte Offensiven im schlammigen Untergrund nicht möglich. Aus diesem Grund passiert auch im Süden an der Saporischschja-Front kaum etwas.

Die beiden grossen Schlachtfelder weiter nördlich hängen dagegen zusammen, wie Reporting from Ukraine anschaulich zeigt: Ukrainische Kräfte rücken auf Kreminna vor, während russische Angreifer nach der Einnahme von Soledar den Druck auf Bachmut erhöhen. Zwischen den Städten liegt Sewersk.

Um Serwersk (blauer Stern) zu halten, will die Ukraine die Kontrolle über Spirne im Osten behalten, das von Norden von den Russen (roter Pfeil) angegriffen wird.
Um Serwersk (blauer Stern) zu halten, will die Ukraine die Kontrolle über Spirne im Osten behalten, das von Norden von den Russen (roter Pfeil) angegriffen wird.
Screenshot: YouTube/Reporting from Ukraine

Die Kleinstadt ist für die Ukraine extrem wichtig, weil von hier aus die Truppen im Süden im Wald vor Kreminna mit Nachschub versorgt werden. Ein russischer Vorstoss nach Westen muss verhindert werden, weil dort eine wichtige Verbindungsstrasse liegt. Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Spirne ein, das zehn Kilometer östlich von Sewersk liegt.

Spirnes Schlüsselrolle

Der Grund dafür: die Topografie. Weil Spirne erhöht liegt, haben die Verteidiger hier ihre Stellungen so ausgebaut, dass sie einem Angriff sowohl von Norden als auch von Süden nicht nur standhalten, sondern sogar in die Gegenoffensive gehen und Boden gutmachen konnten.

Höhenkarte des Schlachtfeldes: Russische Angriffe auf Spirne sind ins Leere gelaufen, weil die Verteidiger sie vorausgesehen hatten. So werden die Angreifer weit von Sewersk (hellblauer Stern) ferngehalten.
Höhenkarte des Schlachtfeldes: Russische Angriffe auf Spirne sind ins Leere gelaufen, weil die Verteidiger sie vorausgesehen hatten. So werden die Angreifer weit von Sewersk (hellblauer Stern) ferngehalten.
Screenshot: YouTube/Reporting from Ukraine

Dank der Gegenoffensive haben die ukrainischen Kräfte südlich von Spirne eine Pufferzone einrichten können, die es wiederum Einheiten in der Stadt erlaubt hat, russische Vorstösse von Bilohorivka nach Westen Richtung des Dorfes Vesele in der Flanke anzugreifen und zurückzuwerfen.

Die Gegenoffensive hat eine Pufferzonê geschaffen und erlaubt Einheiten aus Spirne, russischen Vorstössen im Süden in die Flanke zu fallen.
Die Gegenoffensive hat eine Pufferzonê geschaffen und erlaubt Einheiten aus Spirne, russischen Vorstössen im Süden in die Flanke zu fallen.
Screenshot: YouTube/Reporting from Ukraine

Nun kann Moskaus Armee immer noch von Soledar die Strasse nach Norden auf Sewersk vorrücken, doch auch hier macht ihr die Topografie einen Strich durch die Rechnung, denn die T0513 liegt in einer Ebene. Auf den Anhöhen daneben hat Kiew nicht nur die Verteidigung gestärkt, sondern auch die Aufklärung.

Russische Fortschritte im Süden von Bachmut

So kann die Artillerie nicht nur Angriffe auf die Dörfer Vesele und Rozdolivka, sondern auch Vorstösse von Soledar Richtung Sewersk abwehren. Soledar ist andererseits auch Ausgangspunkt für Attacken nach Südwesten, wo Krasna Hora als Vorposten von Bachmut unter Beschuss steht.

Vesele und Rozdolivka (dunkelblaue Sterne) sowie die To513 nach Sewersk werden von Beobachtern (hellblaue Dreiecke) an den Verteidigungslinien auf den Anhöhen beobachtet, die im Ernstfall schnelle Artillerieangriffe lenken können.
Vesele und Rozdolivka (dunkelblaue Sterne) sowie die To513 nach Sewersk werden von Beobachtern (hellblaue Dreiecke) an den Verteidigungslinien auf den Anhöhen beobachtet, die im Ernstfall schnelle Artillerieangriffe lenken können.
Screenshot: YouTube/Reporting from Ukraine

Während die ukrainischen Verteidigungslinien nördlich von Bachmut und in der Stadt selbst halten, scheinen die Angreifer im Süden der umkämpften Festung Fortschritte zu machen. Noch unbestätigten Meldungen zufolge haben russische Kräfte Klitschtschijwka eingenommen – oder zumindest umgangen.

Im Süden von Bachmut konnten russische Truppen nach Westen vordringen und bedrohen die dortige Verbindungsstrasse.
Im Süden von Bachmut konnten russische Truppen nach Westen vordringen und bedrohen die dortige Verbindungsstrasse.
Karte: DeppStateMap

Das ist deshalb relevant, weil es Moskaus Soldaten nicht mehr weit bis zur T0504 haben. Die Verbindungsstrasse ist die Lebensader für Nachschub nach Bachmut: Sie zu verlieren, wäre ein schwerer Schlag für die Ukraine. Eine Waffe, die – im Verbund – für die Verteidigung jetzt wichtig wäre, sind Panzer.

Der Panzer-Streit

Womit wir beim Thema wären: Vor dem heutigen Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe im deutschen Ramstein schwelt der Streit um die Lieferung deutscher Leopard-2 an Kiew. Olaf Scholz steht dabei im Kreuzfeuer, weil der Kanzler erst dann die schweren Panzer liefern will, wenn auch die USA solche schicken.

«Sie lassen uns keine Wahl», sagt eine anonyme US-Regierungsquelle entnervt zu CNN – selbst wenn Washington Berlin andere Zugeständnisse mache. «Das ist ein entscheidender Moment für die Ukraine», ärgert sich Ex-CIA-Boss David Petraeus. «Die Front ist ziemlich statisch. Russland ist in der Offensive. Die Ukraine hat gesagt, sie plant eine Offensive im Frühling.»

Man müsse jetzt mit dem Training der Panzer-Crews beginnen, mahnt der Ex-General. Im Notfall müsse Washington dann doch die Lieferung von 14 M1 Abrams zusagen, damit Deutschland sich endlich bewege. Auch in Paris scheint man so zu denken: Paris erwägt nun, ihren Kampfpanzer Leclerc an Kiew zu liefern, berichtet «Politico».

Waffen-Update

Andere Länder, andere Einstellungen: «Wir müssen alle mehr tun», schreibt die estnische Premierministerin Kaja Kallas. «Solange der Krieg anhält, haben wir nicht genug getan. Wir müssen uns auf einen langen Krieg einstellen und dürfen keine Angst vor Russland haben.»

Das kleine Estland verspricht der Ukraine weitere Artilleriegeschütze – darunter sämtliche in Armeebesitz befindlichen FH-70 – und Panzerabwehrraketen. Die Niederlande, die nur über ein kleines Leopard-2-Kontingent verfügen, wollen anderen Staaten deren Leos abkaufen, um zu helfen, weiss «Bloomberg».

Ein ukrainischer Soldat am 11. Januar an der Front nahe Bachmut.
Ein ukrainischer Soldat am 11. Januar an der Front nahe Bachmut.
AP

«Nordhollands Dagblad» zufolge wäre die Regierung sogar bereit, Kiew F-16-Kampfflugzeuge zu liefern, wenn darum gebeten würde. Dänemark stellt derweil den Aufbau der eigenen Artillerie zurück, um der Ukraine statt 6 nun 19 Caesar-Artilleriesysteme zu schicken, meldet die Nachrichtenagentur Reuters.

Amerikaner legen vor

Manche der weiteren neuen Waffen-Versprechen sind bereits vor dem Ramstein-Treffen öffentlich geworden. Erwähnt sei hier noch Schwedens Zusage, der Ukraine 50 Schützenpanzer des Typs Stridsfordon 90 alias CV-90 zu liefern.

Einen Unterschied machen auch die 600 Brimstone-2-Raketen aus Grossbritannien. Sie können aus der Luft oder vom Boden abgefeuert werden und Bodenziele in 60 beziehungsweise 40 Kilometer Entfernung zerstören. In dieser Hinsicht hilft Kiew aber vor allem die Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB) aus den USA.

Diese Granate mit Raketenantrieb kann von Himars oder M270-Artillerien Ziele in bis zu 150 Kilometer Entfernung treffen. Washington will ausserdem 4000 Boden-Luft-Raketen vom Typ Zuni übergeben. Acht Avenger-Fahrzeuge, also Humvee-Jeeps mit Stinger-Raketen, verstärken die Luftabwehr. 100 Radpanzer vom Typ Stryker runden die US-Hilfslieferung ab, die insgesamt 2,5 Milliarden Dollar schwer ist.