Lagebild Ukraine Geht Kiew in der Schlacht um Bachmut zum Gegenangriff über?

Von Philipp Dahm

13.3.2023

Trotz Munitionsmangels schwere Kämpfe in Bachmut

Trotz Munitionsmangels schwere Kämpfe in Bachmut

Im Osten der Ukraine klagen nach monatelangen schweren Kämpfen inzwischen beide Kriegsparteien über fehlende Munition.

12.03.2023

Der Kreml wähnte sich in Bachmut schon am Ziel, doch die ostukrainische Stadt will nicht fallen. Die Verteidiger haben sich nicht nur verstärkt, sondern stehen angeblich davor, zurückzuschlagen.

Von Philipp Dahm

13.3.2023

Es sah eigentlich so aus, als sei die Schlacht um Bachmut nach gut sieben Monaten erbitterten Kampfes geschlagen. Russische Truppen haben den Ostteil der Stadt hinter dem Fluss Bachmutka eingenommen, der den Ort teilt, und rücken im Norden und Süden der Stadt vor.

Während westliche Militärs Bachmut für entbehrlich halten und Kiew zu einem Rückzug geraten haben, scheint Wolodymyr Selenskyj den symbolischen Wert der Stadt für grösser zu erachten: Die ukrainischen Streitkräfte tun offenbar alles, um Bachmut zu halten.

Das muss auch Jewgeni Prigoschin einsehen: Der Boss der Gruppe Wagner beklagt, die Einkreisung der Stadt sei schwer, weil die Verteidiger ihre Truppen verstärkt hätten. Seine nur noch 7000 Söldner versuchen vor allem im Norden, die Umkreisung des Ortes voranzutreiben.

Das Problem: Weil die Bezahl-Armee so weit vorgeprescht ist, kommt die Luftabwehr nicht hinterher. Die Folge: Ukrainische Kampfjets und Helikopter sollen mehrere erfolgreiche Einsätze gegen die Angreifer geflogen haben. 

Russland rückt entlang der Autobahn vor

«Vor dem Flug wählen wir die Flugroute mit speziellen Apps aus, mit der wir die geringste Flughöhe bestimmen», erklärt Mi-8-Pilot Petro der Nachrichtenagentur AFP. «Wenn wir zum Beispiel eine Höhe von 180 Metern sehen, ist das zu hoch und wir suchen tiefere Orte, an denen wir in 130 oder 100 Meter Höhe fliegen können.»

Es gilt, so tief zu fliegen, dass das russische Radar sie nicht erfasst und der Überraschungseffekt gewahrt bleibt, so Petro. Seine Raketen sind auf eine bestimmte Distanz programmiert – etwa 6100 Meter. 6200 Meter vor dem Ziel wird der Mi-8-Helikopter hochgezogen und von jeder Seite aus schiessen 15 Raketen ihrer Bestimmung entgegen.

Truppen der Gruppe Wagner wollen im Norden von Bachmut weiter gen Westen vorstossen, stossen aber auf Widerstand.
Truppen der Gruppe Wagner wollen im Norden von Bachmut weiter gen Westen vorstossen, stossen aber auf Widerstand.

Die Gruppe Wagner rückt im Norden von Bachmut entlang der Autobahn M03 alias E40 vor, die von Kiew über Charkiw und Bachmut bis zur Grenze zu Russland läuft. Sie konnte zwar ein wenig Boden gutmachen, stösst nun aber auf die Verstärkung der ukrainischen Armee.

Schwere Kämpfe in Bachmuts Industriequartier

Mit einem weiteren Vorstoss ist aber vorerst nicht zu rechnen: Zum einen stehen die Verteidiger nun erhöht und erschweren so das Vorankommen. Gleichzeitig deckt neben der Luftwaffe auch die Artillerie sowie Mörser die Angreifer ein.

Verteidiger mit Höhenvorteil: Ein weiteres Vorrücken der Russen wird durch das Gelände erschwert.
Verteidiger mit Höhenvorteil: Ein weiteres Vorrücken der Russen wird durch das Gelände erschwert.

In Bachmut selbst ist die Lage für Wladimir Putins Soldaten ebenfalls nicht gerade rosig. Sie sind in das Industriequartier im Norden der Stadt eingedrungen. Für die Ukraine ist es essenziell, den Stadtteil zu halten, um zu verhindern, dass den dort befindlichen Verteidigern nicht der Rückzugsweg abgeschnitten wird.

Russische Kräfte stehen innerhalb Bachmuts am Fluss Bachmutka und kämpfen nun auch im Industriequartier im Norden der Stadt.
Russische Kräfte stehen innerhalb Bachmuts am Fluss Bachmutka und kämpfen nun auch im Industriequartier im Norden der Stadt.

Doch auch für die Angreifer ist das Terrain heikel. Hier befinden sich grosse Industrieanlagen, die auch in den Untergrund reichen. Das Gebiet von Ukrainern zu befreien, ist aufwändig. Überall dürften Fallen und Hinterhalte auf jene lauern, die das Quartier einnehmen müssen.

Bereitet Kiew eine Gegenoffensive vor?

Für die Verteidigung ist unter anderem die 93. selbständige mechanisierte Brigade zuständig, die als «brutal effektiv» beschrieben wird. Ein Soldat mit dem Rufnamen YouTube gibt am 12. März eine kurze Übersicht: «Der Feind drückt von Süden und Norden, aber gestern gab es extrem heftige Kämpfe in Bachmut selbst. In der Folge konnte der Feind nicht vorrücken, wir haben alle unsere Positionen gehalten.»

Wenn man der Gerüchteküche Glauben schenken mag, wollen die Verteidiger nicht bloss standhalten, sondern auch zurückschlagen: Angeblich hat Kiews Armee im Hinterland jede Menge Truppen zusammengezogen, die noch in dieser Woche in Bachmut zum Gegenangriff übergehen sollen. Offiziell bestätigt ist das aber nicht.

Fest steht dagegen, dass die Schlacht um Bachmut einen hohen Blutzoll fordert. Laut dem ukrainischen Generaloberst Oleksandr Syrskyj sind die Vororte und Strassen der Stadt «mit Leichen übersät»: «Niemand nimmt sie weg, weil niemand sie braucht», wird Syrskyj zitiert. Moskau meldet, man habe am 12. März 220 Ukrainer*innen kampfunfähig gemacht.

Russen stossen westlich von Kreminna vor

Putins Söldner haben den Fluss Bachmutka überschritten, ergänzt die Washingtoner Denkfabrik Institute for the Study of War: «Die Kämpfer der Gruppe Wagner werden in den urbanen Bereichen wahrscheinlich zunehmend festgesetzt und es schwer haben, signifikante Vorstösse zu machen.»

Von Kreminna aus stossen russische Truppen nach Westen vor: Ihr Fernziel sind Slowjansk und Kramatorsk.
Von Kreminna aus stossen russische Truppen nach Westen vor: Ihr Fernziel sind Slowjansk und Kramatorsk.
Karte: Militaryland

Gelände gewonnen hat die russische Seite dagegen westlich von Kreminna, wo Moskaus Männer weiter auf den Fluss Oskil vorrücken. Sie sind noch rund 15 Kilometer von Lyman entfernt: Die Stadt gilt als wichtige Verteidigung auf dem Weg zu den Schlüsselstädten der Region, Slowjansk und Kramatorsk.

Was den Export von Waffen angeht, hat Russland seit Langem mal wieder einen Erfolg vorzuweisen: Moskau hat ein Geschäft mit dem Iran über die Lieferung von Su-35-Jets abgeschlossen. Für die Mullahs, die seit Jahren mit westlichen Sanktionen zu kämpfen haben, ist die Modernisierung ihrer Flugzeug-Flotte durch Russland ein Meilenstein.

Waffen-Update

Mit Blick auf westliche Waffenhilfe gibt es Bewegung in der Frage der Versorgung mit Kampfflugzeugen. Nachdem die Slowakei und Polen die Ukraine gerne mit Mig-29-Jets unterstützen möchten, aber nicht alleine den ersten Schritt in dieser Richtung machen wollen, wird erneut der Ruf nach einem Export amerikanischer F-16 laut.

«Ich denke, die F-16 wird geliefert werden», schätzt der frühere US-Admiral Michael Mullen die Lage ein. «Es ist schwer, zu sagen, wann es sein wird, aber ich denke, sie kommen. Die Jets könnten einen «signifikanten Unterschied» für die Verteidiger bedeuten: Zwei ukrainische Piloten befinden sich derzeit in den USA für Simulatoren-Training.

Während Kiew Kräfte derzeit in Deutschland und Polen auf den Leopard 2 geschult werden, sollen ab Anfang Mai auch Exemplare des Vorgängermodells in der Ukraine eintreffen: Die Leopard 1A5 aus Beständen der deutschen, niederländischen und dänischen Armee werden derzeit in Flensburg an der deutsch-dänischen Grenze für ihren Einsatz aufbereitet, berichtet der Kopenhagener Sender TV2.