Israel Krankenhaus ohne Sauerstoff: Lage in Gaza dramatisch

SDA

13.11.2023 - 17:01

dpatopbilder - Menschen liegen im Nasser-Krankenhaus in Chan Junis im südlichen Gazastreifen auf dem Flur. Foto: Mohammed Talatene/dpa
dpatopbilder - Menschen liegen im Nasser-Krankenhaus in Chan Junis im südlichen Gazastreifen auf dem Flur. Foto: Mohammed Talatene/dpa
Keystone

Während die israelische Armee ihre Angriffe im Kampf gegen die islamistische Hamas in Gaza weiter fortsetzt, wird die Lage in den Krankenhäusern dort immer dramatischer. Im Schifa-Krankenhaus im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens starben nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums sieben Neugeborene nach dem Abschalten von Sauerstoffgeräten. Das Fehlen von Treibstoff habe insgesamt zum Tod von 34 Patienten geführt, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza am Montag mit. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen.

Keystone-SDA

Das UN-Nothilfebüro OCHA hatte am Morgen noch von zwölf Toten seit Samstag berichtet – darunter zwei zu früh geborene Babys. Das UN-Büro berief sich dabei auf das Gesundheitsministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. Demnach waren 36 weitere Frühchen, die auf Brutkästen und damit auf Strom angewiesen sind und mehrere Dialysepatientinnen und -patienten wegen des Stromausfalls in akuter Lebensgefahr.

OCHA: Verheerende Zustände

Der letzte Generator war nach UN-Angaben mangels Treibstoff am Samstag ausgefallen. Auf dem Krankenhausareal verwesten rund 100 Leichen, die nicht beerdigt werden könnten, berichtete OCHA weiter unter Berufung auf das Gesundheitsministerium in Ramallah. Den Angaben zufolge herrschen verheerende hygienische Zustände. Auf den Stationen sammelten sich medizinische Abfälle, die nicht sachgerecht entsorgt werden könnten, hiess es. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO befinden sich mehr als 2000 Menschen in der Schifa-Klinik, darunter vermutlich mehr als 600 Patienten und rund 1500 Vertriebene.

Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas und anderer Gruppen bei Massakern und Angriffen im israelischen Grenzgebiet rund 1200 Menschen getötet und rund 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel verhängte daraufhin eine Blockade über den Gazastreifen. Die Armee fliegt zudem massive Luftangriffe und rückt mit Bodentruppen in den dicht besiedelten Küstenstreifen ein.

Seit Beginn der Bodeneinsätze führte das Militär nach eigenen Angaben insgesamt 4300 Angriffe aus. Dabei seien unter anderem Hunderte Abschussstellungen für Panzerabwehrraketen getroffen worden sowie rund 300 Tunnelschächte. Bei rund 3000 Zielen habe es sich um «terroristische Infrastruktur» gehandelt.

Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser stieg nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums inzwischen auf mehr als 11 000. Die Angaben lassen sich nicht gegenwärtig unabhängig überprüfen, die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als glaubwürdig herausgestellt hätten.

UN: Gebäude von Mitarbeitern im Gazastreifen angegriffen

Nach UN-Angaben wurden auch 101 Mitarbeiter des Palästinenserhilfswerks UNRWA getötet. Dies sei die höchste Zahl an UN-Helfern, die in der Geschichte der Vereinten Nationen in solch einer kurzen Zeit getötet worden seien, sagte Tatjana Walowaja, die Generaldirektorin des Genfer UN-Büros.

Die Vereinten Nationen warfen Israel zudem vor, ein Gebäude zur Unterbringung von UN-Mitarbeitern angegriffen zu haben. Der Angriff erfolgte demnach in der Nähe des Grenzübergangs Rafah nach Ägypten. Dies sei ein weiterer Hinweis, dass kein Ort in Gaza sicher sei, sagte UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini. Man habe die Standort-Koordinaten des Gebäudes zweimal an alle Konfliktparteien übermittelt, darunter am Freitag. Ein israelischer Armeesprecher sagte am Montag, die Armee habe am Vortag «auf der Basis operativer Notwendigkeiten» ein Ziel neben einem UN-Gebäude angegriffen.

Frankreichs Aussenministerin fordert langfristige Kampfpause

Israels Armee nannte unterdessen erneut ein Zeitfenster von mehreren Stunden, in denen es Zivilisten am Montag ermöglicht werden sollte, vom Norden in den Süden zu fliehen. Im Süden gab es zudem für vier Stunden eine sogenannte humanitäre Kampfpause. Die französische Aussenministerin Catherine Colonna kritisierte die Situation im Gazastreifen als unhaltbar und forderte eine langfristige Kampfpause. «Es gibt zu viele zivile Opfer. So kann es nicht weitergehen», sagte Colonna bei einem EU-Aussenministertreffen in Brüssel.

Angesichts der dramatischen Lage im Gazastreifen äusserten sich auch weitere Politiker zutiefst besorgt. Die Europäische Union verurteilte den Einsatz von Krankenhäusern und Zivilisten als Schutzschilde durch die islamistische Hamas. «Zivilisten muss erlaubt werden, das Kampfgebiet zu verlassen», heisst es in einer Erklärung des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell im Namen der EU. Die Kämpfe hätten schwerwiegende Auswirkungen auf die Krankenhäuser und forderten «einen schrecklichen Tribut von Zivilisten und medizinischem Personal».

Die EU forderte Israel zudem zu «grösstmöglicher Zurückhaltung» auf, um den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Zugleich betonte sie EU das Recht Israels, sich im Einklang mit dem Völkerrecht zu verteidigen.

Asselborn: «Die Geschichte wird uns das nicht verzeihen»

Dem scheidenden luxemburgischen Aussenminister Jan Asselborn geht das nicht weit genug – er forderte eine klare Sprache der EU gegenüber Israel. «Hier sind Babys, die ersticken, weil kein Sauerstoff mehr da ist. Es sind Menschen, die in der Intensivstation liegen und keine Chance haben», sagte er. Das unendliche Leid, das in Israel geschehen sei, dürfe sich nicht in Gaza wiederholen. «Die Geschichte wird uns das nicht verzeihen», warnte er.

Baerbock äussert sich düster zur Lage im Nahen Osten

Aussenministerin Annalena Baerbock äusserte sich nach jüngsten Krisengesprächen im Nahen und Mittleren Osten sehr pessimistisch zum Gaza-Krieg und den Aussichten für die Zukunft. «Die Lage in der Region ist zum Zerreissen. Die Gräben scheinen tiefer zu werden», sagte die Grünen-Politikerin am Rande des EU-Aussenministertreffens. «Die bittere Realität ist, dass wir nur in kleinsten Schritten vorankommen.» EU-Chefdiplomat Borrell kündigte an, er wolle sich erneut um eine Entspannung der Lage bemühen und diese Woche nach Israel und andere Staaten in der Region reisen.