Sittenpolizei angeblich aufgelöst Krisengipfel in Irans Parlament

dpa/phi

4.12.2022 - 15:42

Sittenpolizei im Iran ist aufgelöst worden

Sittenpolizei im Iran ist aufgelöst worden

Mehr als zwei Monate nach Beginn der Proteste im Iran ist die Sittenpolizei nach Justizangaben aufgelöst worden. Sie war 2006 unter dem ultrakonservativen Staatschef Mahmud Ahmadineschad gegründet worden und kontrollierte unter anderem die Einhalt

04.12.2022

Seit Monaten wird im Iran demonstriert. Irans Generalstaatsanwalt sagt nun, die Sittenpolizei im Land sei aufgelöst worden. Gleichzeitig berichten Medien von einem Krisengipfel im Parlament.

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Nach anhaltenden Demonstrationen ist im Iran die Sittenpolizei aufgelöst worden, die für die Einhaltung der Kleidungsvorschriften von Frauen zuständig war. Das berichteten iranische Medien in Berufung auf den Generalstaatsanwalt des Landes.

Der Tod einer jungen Frau nach einer Festnahme durch die Sittenpolizei war Auslöser der blutigen Massenproteste gegen die politische Führung, die seit mehr als zwei Monaten im Iran andauern.

Präsident Ebrahim Raisi traf sich Medienberichten zufolge heute zudem mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel. Auf der Agenda des nicht-öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran stünden die jüngsten Entwicklungen im Land, berichtete die Agentur Isna.

«Die Sittenpolizei wurde aufgelöst, aber die Justizbehörde wird sich weiterhin mit dieser gesellschaftlichen Herausforderung auseinandersetzen», zitierte die Tageszeitung «Shargh» den Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri.

Auflösung der Sittenpolizei?

Weitere Details zu den Umständen und der Umsetzung der Auflösung der Sittenpolizei gab es nicht. Kritiker der politischen Führung reagierten verhalten auf die Ankündigung.

Mitte September hatten die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Mahsa Amini verhaftet, weil unter ihrem Kopftuch ein paar Haarsträhnen hervorgetreten sein sollen. Amini starb wenige Tage später im Gewahrsam der Sittenpolizei. Seitdem protestieren im Iran Menschen gegen das System und dessen Gesetze und Vorschriften.

Das Problem sei nicht die Sittenpolizei, sondern die Aufhebung des Kopftuchzwangs, schrieb ein iranischer Aktivist auf Twitter. «Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können», forderte er. Und dies sei «nur der erste Schritt.» Beobachtern zufolge würde die Auflösung der Sittenpolizei zwar kein Ende des Kopftuchzwangs für Frauen bedeuten, aber einen wichtigen Teilerfolg der Frauenbewegung im Iran darstellen.

Kopftuchzwang wird immer mehr ignoriert

Seit dem Ausbruch der Proteste werden der Kopftuchzwang und die islamischen Kleidervorschriften von vielen Frauen, besonders in Grossstädten, zunehmend ignoriert. Laut islamischen Gesetzen müssen Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch sowie einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verhüllen.

Proteste in Teheran am 1. Oktober.
Proteste in Teheran am 1. Oktober.
dpa

Dieses Gesetz ist seit über 40 Jahren Teil der gesellschaftspolitischen Doktrin des islamischen Systems um, wie es heisst, «Land und Volk vor der westlichen Kulturinvasion zu retten».

Worüber genau auf dem heutigen Krisengipfel gesprochen werden sollte, war zunächst nicht bekannt. Im Vorfeld gab es Spekulationen, es könnte um Forderungen der Demonstranten gehen. Zu diesen gehören unter anderem die Revision der iranischen Verfassung und die Aufhebung des Kopftuchzwangs, aber auch Neuwahlen oder ein Referendum zum Aufbau des politischen Systems des Landes. Beobachter allerdings hatten keine grossen Erwartungen an das Treffen.

Untersuchungsausschuss ohne Kritiker

Am Samstagabend hatte sich Raisi nach Angaben des Präsidialamts bereits mit Parlamentspräsident Mohammed-Bagher Ghalibaf und Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi beraten.

Raisi betont immer wieder, dass der Iran zwar gegenüber Kritik tolerant sei, nicht aber gegenüber vom Ausland gesteuerten und von deren Söldnern ausgeführten Ausschreitungen, wie er die Proteste beschreibt.

Demonstration in Teheran am 21. September.
Demonstration in Teheran am 21. September.
AP

Ausserdem behauptet der Kleriker, dass die iranische Verfassung zu den fortgeschrittensten der Welt zähle und keine Veranlassung bestehe, diese zu verändern.

In einem ungewöhnlichen Schritt hat die Regierung die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angekündigt, der die Gründe für die seit mehr als zwei Monaten andauernden Proteste im Land klären soll. Allerdings sollen weder Demonstranten oder Systemkritiker noch andere politische Parteien daran teilnehmen, erklärte heute Innenminister Ahmad Wahidi laut Nachrichtenagentur Ilna .

«Wurzeln der Proteste erkunden»

Die Protestierenden hätten keine Vertreter, «ausserdem hatten wir es mit Krawallmachern und Unruhestiftern und nicht Demonstranten zu tun», sagte Wahidi demnach zu den Gründen für den Ausschluss der Protest-Vertreter.

Dem Minister zufolge gehe es in dem Untersuchungsausschuss darum, «die Wurzeln der Proteste zu erkunden und daher werden nur relevante Behörden und unabhängige Juristen an den Diskussionen im Ausschuss teilnehmen», hiess es weiter.

Irans Präsident Ebrahim Raisi spürt Gegenwind.
Irans Präsident Ebrahim Raisi spürt Gegenwind.
Archivbild: AP

Irans Präsident Ebrahim Raisi plante bereits seit längerem als eine Art Versöhnungsgeste ein Forum, um auch mit Kritikern die seit mehr als zwei Monate andauernden Proteste im Land zu diskutieren und Differenzen auszuräumen.

Kritiker gaben allerdings zu bedenken, dass eine Untersuchung der Proteste ohne Teilnahme von Protestvertretern oder Oppositionspolitikern keine konstruktiven Ergebnisse erzielen würde. Manche bezeichneten den Vorschlag als «absurd».

Hunderte von Toten

Seit Beginn der Demonstrationen wurden nach Einschätzung von Menschenrechtlern rund 470 Demonstranten getötet. Auch 60 Sicherheitskräfte sollen demnach ums Leben gekommen sein.

Die offiziellen Angaben diesbezüglich sind widersprüchlich. Der Sicherheitsrat spricht von insgesamt 200, ein Kommandeur der Revolutionsgarden von 300 Toten.

Ausserdem wurden in den vergangenen mehr als zwei Monaten Tausende verhaftet, unter ihnen Studenten, Journalisten, Sportler sowie Künstler. Einige Demonstranten wurden von Revolutionsgerichten auch bereits zum Tode verurteilt. Ab Montag sind landesweit weitere Proteste – und laut Oppositionskreisen auch Streiks – geplant.