Lagebild Ukraine Putin steckt im Donbass fest und seine Drohung läuft ins Leere

Philipp Dahm

27.3.2023

Awdijiwka soll geräumt werden

Awdijiwka soll geräumt werden

Es sind bedrückende Bilder, die mutmasslich aus dem umkämpften ukrainischen Awdijiwka kommen, wo kaum noch ein Stein auf dem anderen zu liegen scheint. Berichte aus dem Kriegsgebiet lassen sich allerdings nicht unabhängig überprüfen. Doch der Chef der örtlichen Militärverwaltung berichtet, Awdijiwka gleiche immer mehr einem Ort aus postapokalyptischen Filmen.

27.03.2023

Bei Awdijwka kommt die russische Armee nicht voran – und bei Bachmut wird eine Umschliessung immer unwahrscheinlicher. Kein Wunder, dass Wladimir Putin mit Atomwaffen in Belarus Stärke demonstrieren will.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen:

- Putins Stationierung von taktischen Atomwaffen in Belarus ist nur für die psychologische Kriegsführung wichtig.
- Weil die Ukraine in Bachmut die Flanken verstärkt hat, wird eine Umkreisung der umkämpften Stadt unwahrscheinlicher.
- Kiew fordert die Ukrainer*innen auf, nicht über die kommende Gegenoffensive zu reden oder zu schreiben.

Für Ben Hodges ist der Fall klar. «Es geht um das strategische Ergebnis, das wir wünschen», sagt der ehemalige Viersterne-General. «Wenn der Präsident [der USA] sagt, ‹Wir wollen, dass die Ukraine gewinnt›, dann [wird es] alle diese Entschuldigungen [nicht mehr geben], dass das Training zu lange dauert oder jener Panzer zu viel Treibstoff verbraucht.»

Joe Bidens Administration halte sich immer noch zurück, so der frühere Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa: «Wegen einer – wie ich denke – übertriebenen Sorge, dass Russland die Lage auf eine Art eskalieren lässt, mit der wir nicht gerechnet haben, oder dass sie tatsächlich irgendeine Art von Atomaffe einsetzen.»

Das Interview lief, bevor Moskau angekündigt hatte, taktische Atomwaffen in Belarus zu stationieren, doch Hodges' Meinung hätte das ohnehin nicht geändert. «Die Administration muss darüber hinwegkommen: Sie werden keine Atomwaffe einsetzen», ist sich der 64-Jährig sicher. «Aber auch wenn sie eine taktische Atomwaffe einsetzen würden, müsste die Administration sich daran halten, womit sie gedroht hat: katastrophale Konsequenzen.»

Atomwaffen für die Psyche

Er wolle die Gefahr nicht herunterspielen, doch jedes Land, das Atomwaffen besitze oder haben wolle, würde nun darauf schauen, ob sich die USA davon abschrecken lassen. Doch es gehe nicht um ein zweites Hiroshima: Seine Armee habe stets trainiert, in einem Umfeld zu operieren, in dem taktische Atomwaffen lokal begrenzt eingesetzt werden, so Hodges.

«Die Atomwaffen sind eine psychologische Waffe, die Putin gezielt einsetzt», pflichtet ETH-Militärökonom Marcus Keupp in der NZZ dem Amerikaner bei. «Jeder atomare Einsatz führt sofort zur Eskalation, auch in konventioneller Hinsicht. Putin kann daran kein Interesse haben.»

Nicht zuletzt ist Putins Schachzug auch deshalb militärisch nicht derart bedeutend, weil Moskau in seiner Exklave Kaliningrad Atomwaffen noch weiter westlich stationiert hat als in Belarus. Das ist bereits 2001 passiert: 2018 sind die dortigen Anlagen ausgebaut worden. Das stützt Keupps These von einem psychologischen Schachzug des Kreml.

Bachmut: Ukraine stärkt die Flanken

Während Wladimir Putin in Belarus blufft, verschlechtern sich seine Karten in Bachmut. Zwar haben Wagner-Söldner das Industriequartier der Stadt im Nordosten erobert, was lokalisierte Videos laut CNN belegen. Im Süden der Stadt liefern sich die Kriegsparteien hingegen weiter Häuserkämpfe.

Doch im Umland von Bachmut ist die russische Armee zurückgedrängt worden: Eine Umzingelung der Stadt wird immer unwahrscheinlicher, nachdem Kiew seine Kräfte verstärkt hat. Das Problem für die Ukraine: Sie verliert hier angeblich bis zu 200 Soldat*innen täglich, was die Ratio im Vergleich zu den noch höheren russischen Verlusten trotzdem schmälere.

Im Umland, in dem es wegen des matschigen Bodens nur langsam vorangeht, hat dagegen die Ukraine ihre Verteidigungslinien verstärkt und hält zwei Wege in die Festung Bachmut offen: Im Süden über die Autobahn, wo mit 140 km/h der russischen Artillerie davongefahren wird, und im Norden über eine kleinere Strasse bei Khromove (siehe obige Bildergalerie).

Awdijwka wird geräumt

Awdijwka, 50 Kilometer weiter südlich, wird das zweite Bachmut genannt, weil auch hier die Russen versuchen, eine Stadt zu umschliessen, die nur noch einen Ausweg Richtung Westen hat. Der Unterschied ist jedoch, dass beide Seite hier deutlich weniger Truppen auffahren.

Hinzu kommt: Auf Seiten der Angreifer dienen hier vor allem Truppen der selbst ernannten Donbass-Republiken, die schlecht bestückt und ausgerüstet sind. Zuletzt konnten hier die Verteidiger wieder kleine Geländegewinne verzeichnen – und dennoch versuchen die Behörden gerade, so viele Zivilisten wie möglich zu in Sicherheit zu bringen.

In Awdijwka lässt die Intensität der russischen Angriffe nicht nach, doch ukrainische Soldaten konnten offenbar auch erstmals in die Gegenoffensive gehen.
In Awdijwka lässt die Intensität der russischen Angriffe nicht nach, doch ukrainische Soldaten konnten offenbar auch erstmals in die Gegenoffensive gehen.
Karte: Militaryland

Die von Artillerie vollkommen zerschossene Stadt gleiche «einem Ort aus einem post-apokalyptischen Film», zitiert «Reuters» einen Offiziellen: «Ihr müsst gehen, ihr müsst eure Sachen packen – insbesondere mit euren Kindern», warnt Witali Barabasch die verbliebene Bevölkerung.

Gegenoffensive: Kiew fordert Diskretion

Und wann kommt nun die angekündigte ukrainische Gross- oder Gegenoffensive? Gerade noch sagte der Kommandeur des Heeres, es gehe bald los, dann rudert Wolodymyr Selenskyj zurück, weil angeblich die Waffen fehlen. Was stimmt denn nun?

Kümmert euch mal nicht darum: Das ist zusammengefasst die Antwort, die die stellvertretende Verteidigungsministerin gibt. «Fragt die Experten nicht in Liveübertragungen, wie die Gegenoffensive verläuft», schreibt Hanna Maliar auf Facebook. «Schreibt nicht in Blogs oder Posts über das Thema, und diskutiert die militärischen Pläne unserer Armee gar nicht öffentlich.»

Eine RC-135 Rivet Joint der US Air Force 2006 über Südwest-Asien.
Eine RC-135 Rivet Joint der US Air Force 2006 über Südwest-Asien.
CENTAF News Team

Geheim sind auch die Daten, die die Nato nun über finnischem Gebiet abgreifen kann: Während das Mitgliedsland Norwegen an der Grenze zu Russland nur eingeschränkt Überwachungsflüge zulässt, hat Finnland seinen Luftraum geöffnet. Am 23. März hat erstmals ein amerikanisches Spionageflugzeug vom Typ RC-135 Rivet Joint die Grenze abgeflogen, meldet «The Barent Observer».

Ein kleines Waffen-Update: Nordmazedonien erwägt angeblich, der Ukraine 12 Kampfhelikopter vom Typ Mi 24 Hind zu überlassen. Die endgültige Entscheidung darüber soll am 29. März fallen. Dazu passt die Meldung, dass die ukrainische Luftwaffe neu auch Ausländer rekrutieren will.