Late Night USAEr ist die Würde los, er stellt sich selber bloss
Von Philipp Dahm
12.1.2022
Da rollen sich einem die Fussnägel hoch: Ein Politiker kriecht bei einem TV-Moderator zu Kreuze, weil er den Sturm aufs Kapitol eine Terror-Attacke nannte. Fremdschämen mit Fox News, Ted Cruz – und Late-Night-Host Meyers.
Von Philipp Dahm
12.01.2022, 00:00
12.01.2022, 06:27
Philipp Dahm
Es sind unwürdige Szenen, in denen ein erwachsener Mann um Vergebung bittet wie ein Schuljunge.
Senator Ted Cruz aus Texas hat einen denkwürdigen Auftritt in der Fox-News-Show «Tucker Carlson Tonight», wo der Republikaner sich vor dem Moderator rechtfertigen musste. Nein: wollte.
Was sich Cruz hat zuschulden kommen lassen? «Er hat die schwere Sünde begangen, den gewalttätigen Aufstand zu verurteilen, der die amerikanische Demokratie stürzen wollte», erklärt Seth Meyers, der seine «Late Night»-Show wegen einer Corona-Infektion aus dem Homeoffice sendet.
«Es war sowas von erbärmlich, dass ich ehrlich dachte, ich würde wegen Covid fantasieren», fährt er fort. «Aber es war real.» Dabei habe Cruz ja Erfahrungen mit Blamagen: etwa, als er nach Mexiko geflogen ist, als die Texaner wegen eines heftigen Wintereinbruchs bibberten.
Treu – trotz Beleidigungen des Vaters und der Ehefrau
Oder als er Donald Trump unterstützt hat – nachdem der behauptete, Cruz' Vater habe etwas mit dem Mord an John F. Kennedy zu tun gehabt. Ach ja, Trump hat auch noch auf Twitter verkündet, dass Heidi Cruz im Vergleich zu Melania hässlich sei.
«Und: Er zeigt sich weiterhin öffentlich mit dieser Gesichtsbehaarung», lästert Meyers. «Er sieht aus wie Chewbacca [aus Star Wars], der sich komplett rasiert, aber nur den Bart übrig gelassen hat.» Im Gedächtnis blieb auch jener Moment, in der Cruz bei einer Rede einen Popel auf der Lippe hatte, der beim Sprechen schliesslich im Mund versank.
Doch nun zu Cruz' jüngstem Vergehen, bei dem der 51-Jährige «eigentlich etwas gesagt hat, von dem man denken sollte, es sei etwas völlig Unstrittiges», beschreibt Meyers.
Die «Vollstrecker republikanischer Orthodoxie»
Am 5. Januar sitzt Cruz im Senat und spricht über den «Jahrestag eines gewalttätigen terroristischen Angriffs aufs Kapitol». Die Sicherheitskräfte hätten «unglaublichen Mut und unglaubliche Tapferkeit» bewiesen und «ihr Leben riskiert, um die Frauen und Männer» aus der Politik zu schützen.
Late Night USA – Amerika verstehen
blue News
50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.
«Das ist definitiv richtig», findet Meyers. Es sei nur komisch, dass das von einem komme, der den Sturm selbst mitverantworte, weil Cruz die Mär vom Wahlbetrug verbreitet hat. «Das einzig Überraschende ist, dass es eine recht normale Sache von einem Typen ist, der alles andere als normal ist.»
Doch diese nicht ungewöhnliche Aussage von Cruz war «offensichtlich zu viel für die neuen Vollstrecker republikanischer Orthodoxie», ätzt der 48-Jährige, der durch «Saturday Night Live» bekannt geworden ist. Denn Tucker Carlson, Zugpferd des konservativen TV-Senders Fox News, hat noch am selben Abend Cruz für dessen Aussagen in seiner Show heftig kritisiert.
«Whoa, whoa, whoa!»
Und was macht der Gescholtene? Schreibt dem Fox-Mann gleich nach dem Verriss eine SMS, um sich bei der nächsten Sendung zu stellen. «Es war kein terroristischer Angriff. Das ist eine Lüge», fährt Carlson Cruz ihn dabei – ab Minute 7:07 – an. Und: «Sie haben diese Lüge mit Absicht erzählt.»
Jetzt beginnt das Fremdschämen: Der Politiker windet, dass es einem peinlich ist. «So wie ich es gestern ausgedrückt habe, war es schlampig und ehrlich gesagt dumm», wirft sich der Texaner in den Staub. «Whoa, whoa, whoa», unterbricht ihn Carlson. «Das nehme ich Ihnen nicht ab. Ich kenne Sie schon aus der Zeit, noch bevor Sie im Senat waren. Ich glaube nicht, dass das ein Versehen war.»
«Nun, Tucker», geht die Erniedrigung weiter, «ein Resultat meiner schlampigen Ausdrucksweise ist, dass viele missverstanden haben, was ich meine. Ich habe nicht gesagt, dass die Tausenden friedlicher Demonstranten, die Donald Trump unterstützen, Terroristen sind.» Das gelte auch für «Millionen im ganzen Land, die für Trump sind».
«Wie soll das noch beschämender werden?»
Das ergebe aber keinen Sinn, insistiert Carlson. «Tucker, ich stimme Ihnen zu», jammert Cruz. «Es war ein Fehler, dass ich das gestern gesagt habe.» Für Seth Meyers ist der Vorgang eine «neue Stufe»: «Man muss sich das mal vorstellen: Da wird bei einem TV-Moderator um Vergebung gebettelt.»
Der Auftritt sei derart würdelos gewesen, dass sich sogar die Texter bei Fox News über den Politiker lustig machen, wie der Einblender «Cruz'ing for a Bruising» zeigt – frei übersetzt: Da holt sich einer eine Abreibung ab. «Wie soll das noch beschämender werden?»
Cruz hat die unwürdige Szene sogar noch selbst via Twitter verbreitet. «So sind die modernen Republikaner: Man muss der Basis beweisen, dass man keine Würde hat, dass man sich für sie demütigen lässt, um ihre Gunst zu gewinnen.» Und natürlich müsse man zu Donald Trump stehen.
Koks oder doch «Lügen für Anfänger»?
So wie Jim Jordan, republikanischer Abgeordneter aus Ohio und enger Vertrauter des vorherigen Präsidenten. Der 57-Jährige hat dem Komitee zur Aufklärung des Kapitol-Sturms die Aussage verweigert. Aus gutem Grund, wie der Clip ab Minute 10:38 erahnen lässt.
Als Jordan nämlich im Sommer von einem Reporter gefragt wird, ob er denn am 6. Januar mit Donald Trump gesprochen habe, gibt der eine Antwort, die entweder kokaingetränkt ist oder aber aus dem Film «Lügen erkennen für Anfänger» stammen könnte. Ob er vor, während oder nach dem Sturm mit dem Präsidenten gesprochen habe, hakt der Reporter nach.
Nur Meyers' Parodie nach der Szene ist noch besser als Jordans eigentliches Gestammel. «Nichts ist diesen Typen zu entwürdigend oder zu erbärmlich», endet Meyers. «Ihnen ist nur wichtig, Trump und dem autoritären Angriff der Republikaner auf die Demokratie zu dienen und sie blamieren sich selbst, um das zu tun.»