Lukaschenko droht mit Krieg Putins Vasall zündelt von der Seitenlinie

Von Andreas Fischer

14.7.2022

Alexander Lukaschenko ist von Wladimir Putin abhängig und bedankt sich für dessen Gunst mit militärischen Gegenleistungen.
Alexander Lukaschenko ist von Wladimir Putin abhängig und bedankt sich für dessen Gunst mit militärischen Gegenleistungen.
EPA

Die Ukraine sorgt sich vor einem Angriff aus dem Norden. In Belarus gibt es verstärkt militärische Aktivitäten, Alexander Lukaschenko poltert. Doch welche Optionen hat der Diktator überhaupt?

Von Andreas Fischer

14.7.2022

Die Rhetorik wird schärfer, das Säbelrasseln lauter. Alexander Lukaschenko habe Putins Vorgehen gegen die Ukraine «vom ersten Tag an» unterstützt. Belarus werde «weiterhin mit dem brüderlichen Russland fest vereint sein», hatte der Diktator Anfang Juli gesagt und betont, «dass wir praktisch eine gemeinsame Armee haben». Mit eigenen Truppen will sich Lukaschenko freilich nicht am Krieg gegen die Ukraine beteiligen. Zumindest bislang.

Mitlitäranalyst Niklas Masuhr von der ETH Zürich bezweifelte vor zwei Wochen im Gespräch mit blue News, «dass Russland grundsätzlich das Potenzial hat, den Kampf im Norden wieder aufzunehmen wie zu Beginn des Kriegs». Ob mit oder ohne belarussische Kämpfer.

«Belarus scheint vor allem als Drohung bezüglich weiterer Frontöffnungen und als russischer Rückraum zu dienen», bewertet Masuhr auf Nachfrage die aktuelle Situation. «Auch ohne dass belarussische Truppen je eingesetzt werden müssen, birgt dies Vorteile für Russland. Die Ukraine wird gezwungen, Truppen im Norden und Nordwesten vorzuhalten, da ein russischer beziehungsweise russisch-belarussischer Einmarsch eine Möglichkeit bleibt.» Diese Einheiten fehlen den Verteidigern an den Fronten im Süden und Osten des Landes.

Noch mehr Unterstützung für Putin

Zu dieser Einschätzung passt, dass in Belarus derzeit verstärkt militärische Aktivitäten registriert werden. Der stellvertretende Leiter der operativen Hauptabteilung des ukrainischen Generalstabs, Oleksij Gromow, hatte am 7. Juli berichtet, dass die belarussische Regierung Russland die Nutzung des Flugplatzes Pribytki in der Oblast Gomel überlassen hat.

Die unabhängige belarussische Überwachungsorganisation The Hajun Project meldete einige Tage später am 11. Juli, dass ein russisches AWACS-Aufklärungsflugzeug (Airborne Warning and Control System) zum ersten Mal seit dem 4. April in den belarussischen Luftraum eingedrungen sei. Die Regierung in Minsk habe zudem neue Beschränkungen des Luftraums entlang der Grenze zur Ukraine eingeführt. Es wurden auch wieder russische Militärkolonnen in Belarus beobachtet.

All diese Erkenntnisse deuten darauf hin, «dass Lukaschenko versucht, Putins Krieg in der Ukraine zu unterstützen, ohne direkt militärisch einzugreifen, um auf den Druck zu reagieren, den Putin wahrscheinlich auf ihn ausübt», analysiert der US-Thinktank «Institute for the Study of War» (ISW).

Belarus verstärkt offenbar die Truppen

In der Ukraine betrachtet man die Entwicklung im nördlichen Nachbarland mit Sorge, zumal Minsk nach Berichten unabhängiger Medien seit einigen Wochen verstärkt Einberufungsbescheide verschickt. Der ukrainische Generalstab spricht von einer «verdeckten Mobilisierung».

Zuletzt habe Belarus auch die Aufklärungsmassnahmen an der Grenze intensiviert und die Drohnenabwehr verstärkt, wie der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte mitteilte. Die Ukraine hat ihrerseits offenbar damit begonnen, Teile des Grenzgebiets zu Belarus zu verminen, wie unter anderem die «Ukrajinska Prawda» berichtet.

Das Volk vs. Lukaschenko

Doch könnte es sich Lukaschenko überhaupt leisten, aktiv in den Krieg einzugreifen? Dafür, dass der Diktator trotz wiederholter Lippenbekenntnisse und Treueschwüre Richtung Kreml derzeit keine Anstalten macht, eigene Soldaten über die Grenze zu schicken, sprechen mehrere Gründe. Einer davon: Die Bevölkerung in Belarus ist mehrheitlich gegen den Krieg. Nur 11 Prozent würden ihn befürworten, sagte der belarussische TV-Journalist Ihar Iljasch einem deutschen Nachrichtenportal. 

Vor seinem eigenen Volk nimmt sich Lukaschenko seit zwei Jahren in Acht. 2020 hatte sich der Diktator nach einer manipulierten Präsidentschaftswahl nur mit Mühe im Amt halten können. Monatelange Massenproteste hatten das autoritäre Regime ins Wanken gebracht. Dass es nicht fiel, verdankte Lukaschenko damals der Unterstützung aus Moskau.

Der Diktator steckt also in einem Dilemma: Er muss einerseits Putin zu Diensten sein, andererseits aber genau abwägen, wie weit er damit gehen kann, um die innenpolitische Stabilität nicht zu gefährden. Das ISW schätzt in einem aktuellen Lagebericht die Gefahr für eine direkte Kriegsbeteiligung daher als gering ein, dies «aufgrund der Auswirkungen, die ein Eingreifen auf die Stabilität und sogar das Überleben von Lukaschenkos Regime haben könnte».

«Ein unpopulärer Krieg hat natürlich auch Auswirkungen auf Kampfmoral – und Verluste könnten für Lukashenko und sogar Putin gefährlich werden, falls es zu Protesten kommen sollte», schätzt Niklas Masuhr ein. «Die russische Nationalgarde Rosgvardia wird in der Ukraine benötigt. Das bedeutet, Russland hat unter Umständen nicht die Kapazitäten, um einer weiteren Protestwelle in Belarus zweifelsfrei begegnen zu können.»

Invasion käme Selbstmordkommando gleich

Auch aus einem anderen Grund wird sich Lukaschenko überlegen, ob er seine Soldaten im Norden der Ukraine einmarschieren lässt: Er müsste mit heftigem Widerstand der Ukraine rechnen, deren kampferprobte Einheiten schon Russlands Sturm auf Kiew im März erfolgreich zurückgeschlagen hatten. Ein ähnliches Desaster wird Lukaschenko vermeiden wollen.

«Grundsätzlich kann man nicht davon ausgehen, dass die belarussischen Truppen besser als die russischen mit Blick auf Manöver in die Tiefe des Raumes sind», schätzt Masur ein. Der Militäranalyst zweifelt zudem, dass Minsk ausreichend mechanisierte Verbände verfügbar hätte. «Nicht zuletzt haben die Truppen von Belarus nicht im Ansatz konventionelle Kampferfahrung.»

Und dann regt sich scheinbar auch in der belarussischen Armee Widerstand. Hochrangige Offiziere sollen in einem offenen Brief argumentiert haben, dass die Entsendung von Truppen in die Ukraine «reiner Selbstmord» wäre, berichtet «The Express».

Die kritischen Militärs befürchten demnach die «Zerstörung der Souveränität von Belarus» sollte sich das Land in «einen völlig unprovozierten Krieg gegen einen souveränen Staat hineinziehen lassen». blue News konnte den Brief nicht unabhängig prüfen.

«Als offizieller Kriegsteilnehmer», sagt auch Niklas Masuhr, «würde Belarus noch stärker ins Visier westlicher Sanktionen kommen, und jegliche Beteuerung von Unabhängigkeit oder sogar Autonomie wären dahin. Unterm Strich würde ich deshalb analytisch-konservativ dazu tendieren, dass eine offene belarussische Intervention eher unwahrscheinlich ist.»

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