Wahlen im IranMachtwechsel, Proteste und Desinteresse
von Farshid Motahari, dpa
15.6.2021 - 06:05
Bei der Präsidentenwahl in Iran bahnt sich ein Machtwechsel an. Den Iranern scheint es aber egal zu sein. Von Ruhani tief enttäuscht, interessiert sie sein Nachfolger auch nicht besonders.
DPA, von Farshid Motahari, dpa
15.06.2021, 06:05
15.06.2021, 06:07
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Stell dir vor, es sind Wahlen und keiner geht hin. So ungefähr ist auch die Lage in Iran vor der Präsidentenwahl am Freitag. Obsthändler Tejmur in Teherans Tadschrisch Basar fasst die Wahlstimmung so zusammen: «Ist uns sowas von egal.» Auch nach Umfragen wollen nur ungefähr 40 Prozent der über 59 Millionen Stimmberechtigten an der Wahl am Freitag teilnehmen. Vor vier Jahren waren es noch mehr als 70 Prozent. «Nicht wer wen wählt, sondern wer gar nicht wählt ist diesmal die eigentliche Herausforderung», beschreibt der reformorientierte Kandidat Abdolnasser Hemmati die politische Botschaft einer niedrigen Wahlbeteiligung.
Dabei bahnt sich im Land ein politischer Machtwechsel an. Als Favorit für die Nachfolge von Hassan Ruhani gilt der erzkonservative Kleriker Ebrahim Raeissi. Vor vier Jahren war er noch an Ruhani gescheitert, aber diesmal ist sein Weg ins Präsidialamt wesentlich einfacher. Denn Ruhani darf nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten, von den restlichen sechs Kandidaten haben höchstens zwei Aussenseiterchancen. Alles andere als ein klarer Sieg Raeissis wäre daher eine riesengrosse Überraschung. Gewählt wird am Freitag, das Endergebnis wird am Sonntag erwartet.
Der Politikfrust im Land hat diverse Gründe. Vor allem sind die Menschen von Ruhani und den Reformern enttäuscht, weil die viele ihrer Versprechen nicht eingehalten haben. Hinzu kommt die seit drei Jahren andauernde Wirtschaftskrise wegen der US-Sanktionen. Letzten Monat sorgte dann noch das Wahlgremium – auch Wächterrat genannt – landesweit für Empörung. Ohne Erklärung sortierte der Rat mehrere renommierte Politiker von der Wahl einfach aus. Unter ihnen waren auch ein amtierender Vize-, ein langjähriger Parlaments- und in der Person von Mahmud Ahmadinedschad gar ein Ex-Präsident und einst Vorzeigepolitiker des Systems. Zugelassen wurden sieben Kandidaten, fünf vom Hardliner-Flügel und zwei weniger bedeutende Reformer.
Die Reaktionen waren heftig, auch in den eigenen Reihen. «Mein Grossvater wollte eine islamische Republik und keine islamische Herrschaft, die Entscheidungen hinter geschlossenen Türen trifft», sagte Hassan Chomeini, Enkel des iranischen Revolutionsführers. Selbst Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei war nicht erfreut über die Aussortierungen. In den Medien war die Rede von «Abrechnung» der Hardliner mit den Reformern und «Putsch» gegen Präsident Ruhani. Viele Iraner wollen daher diese inszenierte und undemokratische Wahl boykottieren. «Ich auch», outete sich sogar Ahmadinedschad als Wahlverweigerer.
Es sind zwar sieben Kandidaten im Rennen, aber in der Bevölkerung ist nur von Raeissi die Rede. Der 61-jährige Justizchef ist nicht nur Spitzenkandidat der Hardliner, sondern auch Wunschpräsident des Establishments. Ihm wird nachgesagt, dass er in seiner Funktion als Staatsanwalt für zahlreiche Verhaftungen und gar Hinrichtungen von politischen Dissidenten verantwortlich gewesen sei. Politisch ist Raeissi ein unbeschriebenes Blatt, hat aber in den vergangenen Jahren mehrmals den moderaten Kurs von Ruhani scharf kritisiert – auch das Atomabkommen von 2015 mit den fünf UN-Vetomächten und Deutschland.
Aber gerade der Atomdeal – und die damit verbundenen Differenzen mit den USA – könnte Raeissis erste Amtshandlung sein. Er muss relativ schnell entscheiden, wie es bei den Verhandlungen zur Rettung des Wiener Abkommens weitergehen soll. Sonst hätte er weiterhin die US-Sanktionen und damit auch die lähmende Wirtschaftskrise am Hals. Mit Sicherheit fortsetzen wird er die feindselige Iran-Politik gegenüber Erzfeind Israel sowie die Unterstützung für anti-israelische Gruppen und Syriens Machthaber Baschar al-Assad.
Raeissis Ansichten werden allgemein als extrem konservativ und nicht zeitgemäss eingestuft. «Über alte Wege erreicht man keine neuen Ziele», kommentierte der Politologe Hamid Dehghan die Ideologie des Klerikers. Im Wahlkampf fokussierte er sich mehr auf Wirtschaftsthemen und versprach ein schnellen Ende der Finanzkrise. Aber auch dieses Versprechen wäre laut Beobachtern ohne eine rationale Aussenpolitik unrealistisch. Insbesondere für die Aufhebung der US-Sanktionen, die auch fast alle finanziellen Kanäle des Landes blockiert haben, sind pragmatische Kompromisse erforderlich. «Das Problem im Land ist Wirtschaft, die Lösung aber Revision der Aussenpolitik», sagt auch Reformaktivist Abbas Abdi.
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