BelarusMigration über Belarus: In Polens Sperrzone kommandieren die Grenzer
SDA
23.1.2022 - 10:54
Hinter dem Dorf Usnarz Gorny im Osten Polens führt der Feldweg einen Hang hinunter. Der Grenzschützer nimmt den Fuss vom Gaspedal. Dann rumpelt der Jeep durch tiefe Spurrillen, die Militärlaster in den einst aufgeweichten und jetzt steinhart gefrorenen Boden gefahren haben. Unten stehen Soldaten im eiskalten Wind Wache. In der Wintersonne glitzert das, was alle hier nur «Konzertina» nennen: ein provisorischer Stacheldrahtverhau, den Polen an der EU-Aussengrenze zu Belarus errichtet hat. Er soll Migranten abhalten, die von Polens Nachbarland aus in den Westen wollen.
23.1.2022 - 10:54
SDA
«In der kommenden Woche beginnen wir mit dem Bau einer permanenten Barriere», sagt Major Katarzyna Zdanowicz, Sprecherin des polnischen Grenzschutzes. Nach den Plänen der Regierung in Warschau soll dann ein 5,5 Meter hoher Zaun an der Grenze entstehen – umgerechnet 366 Millionen Euro will Polen für das Bauwerk ausgeben.
Seit Monaten versuchen Tausende Migranten, aus Belarus über die EU-Aussengrenzen nach Polen und ins Baltikum zu gelangen. Die EU beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, gezielt Menschen aus Krisengebieten eingeflogen zu haben, um sie in die EU zu schleusen.
Polen hat das Grenzgebiet komplett abgeriegelt und militarisiert. Rund 15 000 Soldaten sind hier im Einsatz, dazu Tausende Grenzer und Polizisten. Ein drei Kilometer breiter Streifen entlang der Grenze ist seit September Sperrzone, Zutritt für Ortsfremde verboten. Erst seit kurzem gewährt der Grenzschutz Journalisten einen kontrollierten Einblick – mit organisierten Touren. Das Misstrauen ist gross, die Nervosität auch: «Sofort einen Schritt zurück!», brüllt ein Soldat einen Kameramann an, als dieser den Abstand von 15 Metern zum Grenzzaun nicht einhält. Die Uniformierten tragen Sturmhauben, keiner der Maskenmänner darf seinen Namen nennen oder sich äussern.
Auch das Dorf Usnarz Gorny liegt in der Sperrzone. Direkt hinter dem Stacheldraht sind auf der belarussischen Seite zerfetzte Zelte zu sehen. Reste eines verlassenen Lagers von Migranten, die im Herbst hier wochenlang festsassen. «Wir wissen, dass die belarussischen Sicherheitskräfte ihnen den Aufenthalt organisiert und sie hier festgehalten haben. Und genauso, wie sie man sie hierhergebracht hat, so hat man sie in einer bestimmten Nacht dann auch wieder mitgenommen», sagt Katarzyna Zdanowicz.
Auf einem Feld in Sichtweite der Grenze steht ein Militärjeep mit Lautsprechern auf dem Dach. «Die polnische Grenze ist geschlossen. Dies ist das Ende eurer Reise. Geht zurück nach Minsk», dröhnt es auf Englisch, Französisch und in anderen Sprachen. In dem Wald auf der belarussischen Seite ist niemand zu sehen, der es hören könnte.
Mittlerweile seien es zwar nicht mehr mehrere Hunderte, sondern mehrere Dutzend Menschen jede Nacht, die versuchen würden, die Grenze illegal zu überqueren, sagt Zdanowicz. Doch der Druck halte an. «Neuerdings werden die Menschen auch in sehr schwer zugängliches Gelände geführt und dort über die Grenze hinübergestossen.» Die belarussische Seite denke sich ständig neue Methoden aus.
Auch polnische Hilfsorganisationen bestätigen: Die Krise ist noch nicht vorbei. «In den ersten drei Januarwochen haben uns 345 Menschen im Grenzgebiet um humanitäre, medizinische oder rechtliche Hilfe gebeten», sagt Monika Matus vom Aktionsbündnis «Gruppe Grenze». Was sich genau in der Sperrzone abspielt, ist jedoch für die Helfer schwer einzuschätzen: Trotz vieler internationaler Appelle – auch von Bundesaussenministerin Annalena Baerbock – lässt Polen keine Hilfsorganisationen ins Sperrgebiet. Und die Grenzschützer machen keinen Hehl daraus, dass sie das Gros der Migranten wieder nach Belarus abschieben.
In dem Dorf Minkowce stehen Ziehbrunnen neben bunten Holzhäuschen, die einzige Strasse läuft direkt auf den Grenzzaun zu. Die Dorfbewohner sind meist ältere Leute. Nur wenige haben Lust, vor den Grenzschützern und Soldaten mit Journalisten zu reden. «Das ist super, dass die Soldaten hier sind. Man muss mit allen Kräften das schützen, was wir haben», sagt der 66-jährige Rentner Jozef. Die Soldaten und Grenzer würden schliesslich nicht nur Polen vor den Migranten und Lukaschenkos Provokationen schützen, sondern die gesamte EU und die Nato-Länder.
Nicht alle in den 183 Ortschaften in der Sperrzone sind so begeistert. «Ich fühle mich nicht mehr wie bei mir zu Hause, sondern wie auf einem Truppenübungsplatz», klagt eine Bewohnerin des Dorfs Nowe Masiewo in der Nähe des Bielowieza-Nationalparks. Tag und Nacht rollten Militärlaster durchs Dorf, Helikopter und Drohnen würden über die Dächer knattern, die Kinder hätten Angst, im Wald Soldaten zu treffen, sagt die 27-jährige am Telefon. Ihren Namen will sie nicht gedruckt sehen. «Ich habe Angst vor der Reaktion der Nachbarn.»
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