Argentinisches Wunder? Milei verkündet Überschuss – doch zu welchem Preis?

tbz

23.4.2024

Argentiniens Präsident Javier Milei schreibt schwarze Zahlen.
Argentiniens Präsident Javier Milei schreibt schwarze Zahlen.
Bild: KEYSTONE

Vier Monate nach Amtsantritt hat Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei den ersten Quartalsüberschuss des Landes seit 15 Jahren verkündet. Die kritischen Stimmen verstummen dennoch nicht.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Argentinien kämpft mit der grössten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Nun verkündet der neue Präsident Javier Milei zum ersten Mal seit 2008 schwarze Quartalszahlen.
  • Die kritischen Stimmen gegen die Regierung nehmen aber auch nach Veröffentlichung der Zahlen nicht ab.
  • Kritisiert wird, dass der Gewinn auf Kosten von Subventionen und Sozialprogrammen fusst. Der Grossteil der Bevölkerung lebt derweil unter der Armutsgrenze.
  • Um den Sparmassnahmen auch die angekündigten Reformen folgen zu lassen, fehlt Milei weiterhin die Unterstützung im Kongress. Dies hat er auch sich selbst zuzuschreiben.

Am gestrigen Montagabend trat der argentinische Präsident Javier Milei in Begleitung seines Wirtschaftsteams vor die Medien und verkündete zum ersten Mal seit über 15 Jahren einen vierteljährlichen Haushaltsüberschuss. Alleine im März habe das Plus rund 276 Milliarden Peso (288 Millionen Franken) betragen.

In einer Fernsehansprache gibt sich Milei selbstbewusst: «Das ist das erste Quartal mit einem Haushaltsüberschuss seit 2008, ein Meilenstein, auf den wir alle stolz sein sollten, insbesondere angesichts des katastrophalen Erbes, das wir zu bewältigen hatten.»

Es sind sehr positive Nachrichten aus einem Land, das seit Jahren in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte steckt. Geht es unter dem neuen, radikalen Präsidenten nun tatsächlich aufwärts? Auf dem Papier mag es danach aussehen, dennoch gibt es nach wie vor zahlreiche kritische Stimmen.

«Selbstverherrlichung der Regierung»

«Es war eine Art Hymne an sich selbst», schreibt eine der bedeutendsten argentinischen Zeitschriften «La Nacion» am Tag nach der Fernsehansprache und spricht von einer «Selbstverherrlichung der Regierung».

Denn klar ist: Argentinien ist längst nicht zu alter Stärke zurückgekehrt. In den etwas mehr als 130 Tagen, in denen der ultraliberale Javier Milei nun an der Macht ist, hat er durch sein knallhartes Sparprogramm die Armut im Land stark verschärft, den argentinischen Peso kräftig abgewertet und das Bildungssystem an den Rand des Kollapses geführt.

Zuletzt wurden tausende Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen, Subventionen gekürzt und Sozialprogramme eingestellt. Diese Sparmassnahmen machen den Grossteil des nun erreichten Haushaltsüberschusses aus.

Dementsprechend kommen die schwarzen Zahlen mit einem Preis. Laut offiziellen Statistiken leben mittlerweile rund 60 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. Bei Mileis Amtsantritt im Dezember waren es noch 45 Prozent gewesen.

Inflation leicht rückläufig

«Ich möchte allen Argentiniern sagen, dass ich verstehe, dass die Situation, in der wir uns befinden, hart ist, aber auch, dass wir bereits mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt haben», sagte Milei am Montag. «Dies ist die letzte Etappe einer heroischen Anstrengung, die wir Argentinier unternehmen, und zum ersten Mal seit langer Zeit wird sich diese Anstrengung lohnen.»

Rechtspopulist Milei gewinnt Präsidentschaftswahl in Argentinien

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Jubel bei den Anhängern des Rechtspopulisten Javier Milei in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Der selbst ernannte «Anarchokapitalist» hat die Präsidentenwahl in Argentinien gewonnen. Milei lag in der Stichwahl um das Präsidentenamt mit rund 56 Prozent der Stimmen deutlich vor dem argentinischen Wirtschaftsminister Sergio Massa. Milei kündigte eine wirtschaftliche Schocktherapie an.

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Nebst dem Haushaltsüberschuss verweist Milei auch gerne auf seine zweite Errungenschaft: Seit einigen Wochen geht die Inflation im Land leicht zurück. Gemäss dem Präsidenten eine «Meisterleistung» seinerseits, gemessen an den «katastrophalen» Bedingungen, die ihm seine Vorgänger hinterlassen hatten.

Die Inflationsrate ist mit 280 Prozent allerdings immer noch eine der höchsten der Welt. Der brutale Sparkurs führt auch dazu, dass Spitälern die Gelder zur Patientenbehandlung ausgehen, öffentliche Verkehrsmittel stehen bleiben und staatliche Lehranstalten kaum noch den Betrieb aufrechterhalten können.

Probleme mit Kongress und Frauenbewegungen

Die Schuld dafür schiebt Milei der Opposition in die Schuhe. Diese stoppt seine radikalen strukturellen Reformen für den Staatsapparat. Im Kongress hat Mileis Partei nämlich weniger als 15 Prozent der Sitze. Eine Mehrheit für sein Reformpaket ist nicht in Sicht.

Auch nicht, weil er sich meisterlich darin versteht, seine Gegner gegen ihn aufzubringen. Statt den Dialog zu suchen, schreibt Milei Schimpftiraden auf Social Media, betitelt ehemalige Verbündete als «Verräter» und «Ratten» und legt sich öffentlich mit der Frauenbewegung an.

In den wenigen Monaten seit seiner Wahl hat der 53-Jährige das Ministerium für Frauen, Gleichheit und Vielfalt sowie das nationale Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aufgelöst und angekündigt, gendersensible Sprache zu verbieten. Zudem hat er einen Gesetzentwurf vorgestellt, der die Abtreibung in Argentinien wieder unter Strafe stellt.

Einen Grossteil der argentinischen Frauen hat Milei mit seinen Handlungen gegen sich aufgebracht.
Einen Grossteil der argentinischen Frauen hat Milei mit seinen Handlungen gegen sich aufgebracht.
Bild: IMAGO/ZUMA Wire

Unumstösslich westliche Aussenpolitik

Eine Frau, mit der er offenbar kann, ist Gita Gopinath. Die Vizechefin des Internationalen Währungsfonds (IMF) traf Milei kürzlich in Buenos Aires, um die Zukunft des Landes zu besprechen. Argentinien steht beim IMF mit  40 Milliarden US-Dollar in der Kreide.

Gopinath unterstützte Mileis Bemühungen öffentlich und verkündete nach ihrer Rückkehr, dass sie mit ihren Ansichten auf «breite Anerkennung» gestossen sei. Allerdings forderte auch Gopinath, dass die Regierung die Kosten der Anpassungen nicht «unverhältnismässig stark» auf berufstätige Familien fallen liesse, sondern auf die gesamte Gesellschaft verteile.

Die Gunst des IMF scheint Milei derweil nicht verspielen zu wollen. Zwar ist Argentinien der weltweit grösste Schuldner des Währungsfonds, doch es wird weiterhin Geld an Mileis Regierung überwiesen. Wo er nur kann, stellt sich der 53-Jährige auf die Seite des Westens.

Er verurteilt die Machtverhältnisse in Russland und China, solidarisiert sich mit der Ukraine und Israel und lehnte im Dezember den BRICS-Beitritt ab, einem Verbund grosser Schwellenländer, der von China dominiert wird und der sich als Alternative zu den «G7» positioniert.

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