Russische Propaganda für LateinamerikaMoskau verbreitet gezielt Ukraine-Fehlinformationen auf Spanisch
Von David Klepper und Amanda Seitz, AP
5.4.2022
Russlands Propagandamaschine in Sachen Ukraine läuft unermüdlich – mit vielen Zielgruppen. Aber auf ein Publikum im Ausland konzentriert sich die Desinformationskampagne ganz besonders – und das hat seinen Grund.
Von David Klepper und Amanda Seitz, AP
05.04.2022, 00:00
05.04.2022, 11:17
Von David Klepper und Amanda Seitz, AP
Russland ist der Staat, der seinen Nachbarn Ukraine überfallen hat. Aber der Kreml warnt unablässig Nutzer der sozialen Medien in Lateinamerika, dass die USA das grössere Problem seien. «Vergesst niemals, wer die wirkliche Bedrohung für die Welt ist», lautet eine Schlagzeile, an dieser Stelle übersetzt aus dem Spanischen.
Der Beitrag, ursprünglich Ende Februar von RT en Español – dem spanischsprachigen Service des russischen Staatssenders RT – auf Twitter gepostet, richtet sich an ein Publikum eine halbe Welt vom Ukraine-Kriegsschauplatz entfernt. Russland füttert gezielt Social-Media-Nutzer in lateinamerikanischen Ländern, in denen es historisch Misstrauen gegen die USA gibt, mit falschen Informationen über die Ukraine. Warum, liegt auf der Hand. Moskau will in diesen Staaten Unterstützung für seinen Krieg erhalten und zugleich Opposition gegen die amerikanische Antwort schüren.
RT ziele auf autoritäre Kontrolle
Zwar sind viele der falschen Behauptungen widerlegt worden. Aber trotzdem verbreiten sie sich stark in der Region und helfen dabei, vom Kreml kontrollierte Kanäle zu einigen der führenden spanischsprachigen Quellen für Informationen über den Krieg zu machen. Russlands RT en Español ist beispielsweise jetzt die am drittmeisten mit anderen Nutzern geteilte Seite auf Twitter in diesem Bereich.
«RTs Erfolg sollte jeden beunruhigen, der sich um den Erfolg der Demokratie sorgt», sagt Samuel Woolley von der University of Texas, der auf die Erforschung von Desinformation spezialisiert ist. RT ziele auf autoritäre Kontrolle und, je nach Inhalt, auf Nationalismus und Xenophobie ab. Es bestehe die Gefahr, dass Russland die Kontrolle über einen zunehmend grossen Marktanteil an Informationskonsumenten erhalte, warnt der Experte.
Spanischsprachige Nutzer besonders anfällig für Propaganda
Technologieunternehmen mit Sitz in den USA haben versucht, die Fähigkeiten russischer Infokanäle zur Verbreitung von Propaganda im Gefolge der Invasion zu beschränken. So wurden etwa damit verbundene Apps verboten. Die EU hat RT und das staatseigene Nachrichtenportal Sputnik gesperrt.
Aber die Inhalte florieren auf spanischsprachigen Webseiten, in Foren und auf Socia-Media-Seiten. Russland verbreitet zwar auch Propaganda in Sprachen wie Englisch, Arabisch, Französisch und Deutsch, aber kommt besonders gut bei spanischsprachigen Nutzern an, wie eine jüngste Studie des in Kolumbien ansässigen Analysten Esteban Ponce de León ergeben hat. Er ist beim digitalen forensischen Forschungslabor der US-Denkfabrik Atlantic Council tätig.
Zu Russlands falschen Behauptungen zählt, dass die Ukraine-Invasion nötig sei, um Neonazis zu konfrontieren, oder dass die USA heimlich Forschungsarbeiten in der Ukraine in Sachen biologische Kriegsführung unterstützt hätten. Diese Art von Fehlinformationen kann leicht von Lateinamerika in andere Länder – so die USA – einfliessen, in denen es grosse spanischsprachige Gemeinden gibt. Manchmal werden sie unter Verwandten weitergegeben, möglicherweise von einem Kontinent auf einen anderen.
Historische Spannungen schüren
Als eine der meistgesprochenen Sprachen auf der Welt ist Spanisch für jede Regierung oder Organisation interessant, der es daran gelegen ist, globale öffentliche Meinungen zu prägen. Aber Russlands Fokus auf die spanische Sprache geht darüber hinaus, spiegelt die historische und strategische Bedeutung von Mittel- und Südamerika während des Kalten Krieges wider, wie Ponce de León sagt.
Tatsächlich hat die damalige Sowjetunion über Jahrzehnte hinweg versucht, historische Spannungen zwischen den USA und Lateinamerika auszunutzen, indem sie kommunistische Gruppen und grössere Verbündete einschliesslich Kuba unterstützte. Russland war darauf bedacht, die USA als eine Kolonialmacht zu porträtieren, auch wenn der Kreml selbst daran gearbeitet hat, seine eigenen Verbindungen in der Hemisphäre zu stärken.
Spanisch-russische Netzangebote enorm beliebt
RTs spanischsprachiger Dienst begann 2009, vier Jahre nach dem Start der englischen Version. Er hat rapide an Boden gewonnen und ist jetzt populärer als der englischsprachige Dienst. Die Facebook-Seite von RT en Español verfügt über mehr als 18 Millionen Follower, fast dreimal so viele wie die englische Seite aufweisen kann. Im März hat sie einen deutlichen Schub in Sachen Interaktionen erlebt, was sich in rund 75'000 Likes, Reaktionen und Kommentaren täglich widerspiegelte, wie aus einer Analyse der demokratischen Forschungsfirma Equis Institute hervorgeht.
Auf Twitter erhalten RT und Sputnik Hilfe von russischen Diplomaten und einem Netzwerk anderer Konten, die Forschern zufolge die Popularität der Postings künstlich aufblähen. Das hat dazu beigetragen, dass RT bei der Nutzung seiner spanischsprachigen Ukraine-Informationen auf der Kurznachrichten-Plattform sowohl örtliche Nachrichtenquellen als auch internationale Sender wie BBC und CNN ausbooten konnte.
171 Konten verantworten elf Prozent der Gesamtaktivitäten
Ponce de León hat Tausende von Accounts verfolgt, die Inhalte von RT und Sputnik auf Twitter posteten oder wiederholt hochluden. Er fand heraus, dass 171 Konten für elf Prozent der gesamten Aktivitäten im Zusammenhang mit den Beiträgen verantwortlich waren. Während einer Acht-Tage-Periode im März posteten diese Accounts mehr als 200'000 Mal, was durchschnittlich 155 Tweets am Tag pro Konto entspricht. Das ist erheblich mehr als bei einem normalen Nutzer.
Die verdächtigen Accounts haben Ponce de León zufolge geholfen, die Inhalte unter echten Nutzern zu verbreiten, mit dem Ziel, RTs bereits beachtliches Publikum in Lateinamerika weiter zu vergrössern. «Russland versucht, seine Popularität in Lateinamerika zu erhalten», so der Experte. «RT und Sputnik haben schon ein grosses Publikum in der Region. Sollten wir besorgt sein? Die Antwortet lautet Ja.»