Mädchen im VisierMysteriöse Vergiftungswelle hält den Iran in Atem
dpa/phi
4.3.2023 - 19:02
Nationalrat fordert «sofortigen Stopp der Brutalität» im Iran
Der Nationalrat zeigt sich wegen der Gewalt im Iran «zutiefst besorgt». Er hat am Montag eine Erklärung verabschiedet, die einen «sofortigen Stopp der staatlichen Brutalität gegen Demonstrierende» fordert.
01.03.2023
Hunderte Schulmädchen sind in den vergangenen drei Monaten vergiftet worden. Immer noch gibt es keine offizielle Erklärung. Die Wut bei Eltern steigt.
DPA, dpa/phi
04.03.2023, 19:02
04.03.2023, 19:08
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«Als sich der Geruch ausbreitete, haben alle sofort verstanden, worum es geht und sind aus dem Klassenzimmer gerannt.» Die dramatische Szene, die eine Achtklässlerin der iranischen Zeitung «Shargh» schilderte, beschreibt einen der jüngsten Fälle mysteriöser Giftanschläge in Irans Schulen.
Eltern sind fassungslos, besorgt und wütend. Immer noch gibt es keine offizielle Erklärung. Hunderte Schülerinnen in Dutzenden Schulen sind inzwischen betroffen, wie die Behörden jüngst bekannt gaben. Die ersten Fälle wurden bereits Ende November gemeldet, als die Proteste im Iran in vollem Gange waren. Waren zunächst nur einige Mädchenschulen in der schiitischen Hochburg Ghom betroffen, wurden in den vergangenen Tagen immer mehr Fälle in anderen Landesteilen bekannt.
Viele Mädchen wurden in Krankenhäuser eingeliefert. Nun erreichte die Vergiftungswelle auch die Hauptstadt Teheran. Videos der Zeitung «Shargh» zeigten Rettungswagen und Feuerwehrautos vor einer Schule im Osten der Millionenmetropole. Seit einigen Tagen ist die Vergiftungswelle das beherrschende Thema in den iranischen Medien. Alleine am Mittwoch wurden Fälle Dutzenden Schulen gemeldet.
Gezielte Anschläge in Schulen
Wenig ist bisher über die Hintergründe bekannt, gleichzeitig wird viel spekuliert. Doch die Symptome sind immer gleich: Schwindel, Übelkeit und Atemnot. Betroffene erzählten unter anderem von zischenden Geräuschen in den Klassenräumen und Schwefelgeruch. Iranische Ärzte tippen daher auf Giftgase.
Young women, members of Iranian Gen Z, led the protests in Iran.
Now they're being deliberately poisoned at schools across various cities in Iran (700+) to take revenge and prevent them from attending. At least one already died.
Erst waren Politiker zögerlich, dann verkündeten Abgeordnete eine erschreckende Erkenntnis: Es handele sich um gezielte Anschläge in den Schulen. Aus Behördenkreisen wurde bekannt, dass die Regierung extremistische religiöse Gruppen hinter der Vergiftungswelle vermutet.
Nachdem sich zunächst das Gesundheitsministerium mit den Fällen befasste, schaltete sich nun auch der erzkonservative Präsident Ebrahim Raisi ein. Dieser machte wie bereits während der jüngsten Protestwelle die «Feinde Irans» für die Situation verantwortlich. Sie wollten Angst und Schrecken verbreiten. Dieser Erklärung wurde in der Vergangenheit wenig Glauben geschenkt.
Rache für Demonstrationen?
Seit Monaten steht Raisis Regierung neben der klerikalen Führung unter Druck. Die Frauenproteste im vergangenen Herbst hatten die politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten gestürzt, auch die schwierige Wirtschaftslage bereitet vielen grosse Sorgen.
In den sozialen Medien spekulierten einige Kritiker, dass die Vergiftungen Rache an den Schülerinnen für ihren Protest im Herbst seien. Bei den Demonstrationen gegen die repressive Politik hatten mehrheitlich junge Mädchen und Frauen teilgenommen. Irans stellvertretender Gesundheitsminister Junes Panahi äusserte den Verdacht, dass einige Gruppen Mädchenschulen geschlossen sehen wollen.
Eine Mutter in Ghom sagte nun: «Sie wollen, dass die Mädchen wie bei den Taliban nicht mehr zur Schule gehen.» Erst hätten sie in der schiitischen Hochburg angefangen, dann im Rest des Landes. «Warum gibt es keine polizeilichen Untersuchungen?», klagt die Mutter.