Naypyidaw Die Geisterstadt, in der sich die Zukunft Myanmars entscheidet

Von Gil Bieler

2.2.2021

In Naypyidaw entscheidet das mächtige Militär über die Zukunft von Myanmar. Dabei ist schon die Entstehungsgeschichte der am Reissbrett entworfenen Hauptstadt reichlich nebulös. 

Wo steckt Aung San Suu Kyi? Die Friedensnobelpreisträgerin war bis zum Montag de facto die Regierungschefin von Myanmar. Seit aber das Militär die Macht an sich gerissen und die Führung der zivilen Regierung festgenommen hat, gab es von der 75-Jährigen kein Lebenszeichen mehr, ihr Aufenthaltsort ist unbekannt. 

Zwar geistert ein angeblicher Aufruf der Politikerin zum Widerstand durchs Netz, dessen Echtheit jedoch nicht definitiv belegt ist. Aus dem abgeschotteten Land dringen ohnehin nur wenige Informationen nach draussen. Die Festnahmen erfolgten aber wohl in Naypyidaw, der Hauptstadt des Landes, wo die erste Sitzung des neu gewählten Parlaments hätte stattfinden sollen. 

Aufnahmen aus der Stadt zeigen Militär, das mit schwerem Gerät Stellung vor dem protzigen Parlamentsgebäude bezogen und Checkpoints auf verwaisten Strassen errichtet hat. Telefonleitungen und das Internet in Naypyidaw wurden Medienberichten zufolge gekappt. Was genau sich vor Ort zuträgt, ist daher schwer abzuschätzen. Das passt insofern ins Bild, als es sich bei Naypyidaw um eine vom Militärregime erst vor wenigen Jahren erbaute Planstadt handelt – um die sich etliche Mythen ranken.

Checkpoint: Das Militär kontrolliert Verkehrsteilnehmer in Naypidaw.
Checkpoint: Das Militär kontrolliert Verkehrsteilnehmer in Naypidaw.
Bild: Keystone/AP

Das beginnt schon mit der Geschichte der Stadt. Naypyidaw ist erst seit 2005 Hauptstadt von Myanmar. Sie wurde unter grosser Geheimhaltung rund 370 Kilometer nördlich der Metropole und bis dahin offiziellen Hauptstadt Rangun erbaut, im Landesinneren. Die Gründe für diesen aufwendigen Umzug liess das Militärregime – das nach einem Putsch 1962 über ein halbes Jahrhundert geherrscht hatte – ebenso im Dunkeln wie die genauen Kosten.

Gegenüber der britischen BBC nannte der myanmarische Informationsminister zur Zeit der Einweihung strategische Gründe: «Es ist eine zentrale Lage und es gibt raschen Zugang zu allen Teilen des Landes.» Trotzdem vermuten viele, dass dies nur die halbe Wahrheit ist.

Eine Vermutung: Die notorisch paranoide Militärführung wollte sich besser vor einer Invasion aus dem Ausland, allen voran durch die Amerikaner, schützen. Einige Beobachter sind überzeugt: Das Militär glaube wohl, einen Angriff im Landesinnern besser parieren zu können als in der Küstenstadt Rangun. Was jedoch auch nicht alle überzeugt, da ein Angriff ziemlich wahrscheinlich aus der Luft erfolgen würde, wie andere Beobachter argumentieren.

Landen die Flugzeuge auf der Autobahn?

Daher gibt es auch andere Erklärungsansätze: Die breiten, bis zu 22-spurigen Autobahnen in der Stadt könnten im Notfall als Start- und Landebahnen für Flugzeuge genutzt werden, wird gemutmasst. Und dass die militärischen Machthaber unter der Stadt ein ausgeklügeltes Tunnelsystem anbringen liessen, das im Angriffsfall als Rückzugsort dient. Überläufer aus Myanmar verrieten angeblich, dass auch Ingenieure aus Nordkorea beim Bau geholfen hätten, wie unter anderem das deutsche Magazin «Der Spiegel» schrieb.



Andere Erklärungen gehen sogar von Aberglauben aus. General Than Shwe, der das Land von 1992 bis 2011 regierte, soll mit dem Bau der neuen Hauptstadt einen Rat seiner Astrologin befolgt haben. Es wäre ein äusserst kostspieliger Tipp einer Wahrsagerin gewesen. Denn auch wenn nie genau bekannt wurde, wie teuer der Bau der Planstadt war, gehen Schätzungen von 4 bis 6 Milliarden Dollar aus. Notabene in einem Land, in dem laut Weltbank 24,8 Prozent der Menschen in Armut lebten – schon vor der Corona-Pandemie. Sie leben von weniger als 1.06 Franken pro Tag.

Eine Stadt, so gross wie Graubünden

Was auch immer die genauen Beweggründe waren, Naypyidaw wirkt auf viele Besucher*innen wie eine Kulissenstadt. Der Kontrast zum lebhaften Rangun mit seinen verstopften Strassen und einer Bevölkerung von 7 Millionen Menschen, ist frappant. Denn obwohl verschwenderisch und raumgreifend gebaut wurde, fehlt es schlicht an Bevölkerung. Zahlen der Regierung von 2014 wiesen für den ganzen Hauptstadt-Bezirk eine Bevölkerung von 1,1 Millionen Menschen aus. Und das in einer Stadt, die so gross ist wie der Kanton Graubünden, rund 7000 Quadratkilometer.

Aufnahmen von leergefegten Autobahnen gehören bei einem Besuch von Naypyidaw fast schon zum touristischen Standardprogramm. Auch der Autor dieses Artikels wähnte sich bei einem Besuch 2018 in einer Geisterstadt. Selbst vor dem protzigen Parlamentsgebäude – das in Wahrheit eher ein Parlamentsviertel ist – konnte man problemlos die zig Fahrspuren überqueren, ohne dass ein Auto hätte abbremsen müssen. «Es gibt in Naypyidaw so viele unterschiedliche Arten der Leere wie in der Arktis Schneesorten», resümierte die «Süddeutsche Zeitung» poetisch.

Irgendwo in dieser mysteriösen Geisterstadt hält die Militärführung des Landes Aung San Suu Kyi und andere Spitzenpolitiker gefangen. Und krempelt die Zukunft jenes Landes um, das es nie ganz aus seiner harten Hand entlassen hat.

Ein Klassiker bei Naypyidaw-Touristen: Aufnahmen der menschenleeren Stadt.

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