Die Wahlen in Israel haben das erwartet knappe Ergebnis gebracht. Zum Königsmacher könnte ein ehemaliger Verbündeter Netanjahus werden, der aber auch eigene Ambitionen hegt.
Die Parlamentswahl in Israel hat Hochrechnungen zufolge erneut keine klare Mehrheit gebracht. Zwei der drei grössten Fernsehsender prognostizierten in der Nacht auf Mittwoch ein Parlament, in dem der rechtskonservative Likud von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen religiöse und nationalistische Verbündete auf die Hälfte der 120 Sitze kommen und dessen Gegner auf die andere Hälfte. Der dritte grosse Sender sah die Gegner Netanjahus mit einem minimalen Vorsprung.
Die vierte Parlamentswahl in weniger als zwei Jahren folgte auf drei Wahlen mit ähnlich uneindeutigem Ergebnis. Wenn sich keine Mehrheit für eine Regierungsbildung zusammenfindet, könnte es zu einer beispiellosen fünften Wahl kommen.
Netanjahu äusserte sich in einer Ansprache an seine Unterstützer zurückhaltend. Er sprach von «grossen Errungenschaften», erklärte sich aber nicht zum Sieger. Stattdessen schien er seinen Gegnern die Hand entgegen zu strecken, als er zur Bildung einer «stabilen Regierung» aufrief. «Wir dürfen auf keinen Fall den Staat Israel zu neuen Wahlen, zu einer fünften Wahl zerren», sagte er.
Hochrechnungen hatten sich in der Vergangenheit als unpräzise erwiesen, so dass das für die kommenden Tage erwartete offizielle Ergebnis doch noch eine Regierungskoalition ermöglichen könnte.
Ehemaliger Verbündeter schliesst Koalition nicht aus
Der Likud wurde von den Sendern bei 30 oder 31 Parlamentssitzen gesehen und die politisch in der Mitte stehende Oppositionspartei Jesch Atid bei 17. Die übrigen Mandate verteilten sich in den Hochrechnungen auf etwa zehn kleinere Parteien. Insgesamt wurden Netanjahu und seine Verbündeten bei 53 oder 54 Sitzen gesehen und seine Gegner bei 60 oder 61. Die übrigen Mandate entfielen in den Hochrechnungen auf die Jamina-Partei des rechtsgerichteten ehemaligen Netanjahu-Verbündete Naftali Bennett.
Er hatte vor der Wahl eine Koalition mit Netanjahu nicht ausgeschlossen. Die Prognosen deuten darauf hin, dass beide politischen Lager um die Gunst Bennetts ringen müssen, dessen Beziehungen zu Netanjahu inzwischen als angespannt gelten. Bennett teilt weltanschauliche Standpunkte Netanjahus, hat aber auch signalisiert, mit Rivalen zu kooperieren, sollte er die Chance erhalten, selbst Ministerpräsident zu werden.
Der Wahlausgang könnte Wochen des politischen Stillstands zur Folge haben. Umfragen hatten das enge Rennen vorausgesehen. Die Wahl hatten Beobachter auch als Referendum über die Person Netanjahus gedeutet.
Zum Herzstück seiner Kampagne hatte Netanjahu den erfolgreichen Verlauf der Corona-Impfungen gemacht. In Israel sind bereits rund drei Viertel der Erwachsenen immunisiert worden - es ist eine der erfolgreichsten Corona-Impfkampagnen weltweit. Auch verweist er auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu vier arabischen Staaten im vergangenen Jahr. Netanjahu steht aber auch wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht, weshalb ihm seine Gegner die Regierungsfähigkeit absprechen.
Ausserdem kreiden sie ihm sein Krisenmanagement zu Beginn der Pandemie an, in der bisher über 6000 Menschen nach einer Corona-Infektion starben. Durch zahlreiche Lockdowns liegt die Arbeitslosigkeit nach wie vor im zweistelligen Bereich. Auch auf dem auenpolitischen Feld ist Netanjahus Stil nicht unumstritten.