«Unvermeidbar»Neuer Kalter Krieg oder Cyber-Kampf? Der Ost-West-Konflikt lebt wieder auf
Von Philipp Dahm
16.4.2021
Joe Biden belegt Russland wegen Hacker-Attacken und Wahl-Manipulation mit neuen Sanktionen, reicht Wladimir Putin gleichzeitig aber verbal die Hand. Moskau reagiert wütend – Hardliner träumen schon vom Cyberkrieg.
Von Philipp Dahm
16.04.2021, 18:06
16.04.2021, 18:42
Philipp Dahm
Als Joe Biden gestern neue Sanktionen gegen Russland und die Ausweisung von zehn Diplomaten verkündet, weiss Wladimir Putin schon Bescheid. Die beiden haben am Dienstag miteinander telefoniert, und der Amerikaner hat seinem Pendant die Massnahmen angekündigt.
Washington reagiert damit auf Hackerangriffe auf US-Einrichtungen und Manipulationen der US-Wahlen. «Wenn Russland sich weiterhin in unsere Demokratie einmischt, bin ich bereit, weitere Massnahmen zu ergreifen», sagte Biden gestern.
Die jetzt verhängten Sanktionen hätten härter ausfallen können. Er habe jedoch «verhältnismässig» reagieren wollen. «Die USA sind nicht darauf aus, einen Kreislauf der Eskalation und des Konflikts mit Russland einzuleiten», so Biden. Fünf der zehn ausgewiesenen Diplomaten seien Agenten des Geheimdienstes, hiess es weiter.
Zweierlei Lesart
Die beschwichtigenden Worte aus dem Weissen Haus scheinen im Kreml nicht angekommen zu sein: Das russische Aussenministerium nannte die Handlungen der amerikanischen Seite «inakzeptabel» und kündigte eine scharfe Reaktion an. Sie seien auch nicht hilfreich mit Blick auf Bidens Vorschlag, Putin im Sommer in Europa persönlich zu treffen.
Dass Moskau wütend ist, zeigt auch ein Treffen von US-Botschafter John Sullivan mit Vize-Aussenminister Sergej Rjabkow in der Hauptstadt. Liest man die Darstellung des Amerikaners, hat der sich am Abend im Aussenministerium eingefunden, um dort Details zu den US-Massnahmen zu unterbreiten. Das Gespräch sei «professionell und respektvoll» verlaufen.
Ganz anders dagegen die Lesart beim Gegenüber: Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa teilt mit, es habe sich um eine «Einbestellung» gehandelt. Moskau verbitte sich Warnungen vor einer weiteren Eskalation, während die Situationen durch derartige Handlungen verschärft werde. Bidens Massnahmen seien «inakzeptabel» und ein «schwerer Schlag» für die Beziehungen der beiden Länder.
Nawalny und die Ukraine als weitere Konfliktherde
Auf die neuerlichen Sanktionen würden «Vergeltungsmassnahmen» folgen, hiess es weiter. Und in einem Nebensatz wird noch erwähnt, es seien beim Treffen der Diplomaten «andere bilaterale Fragen» besprochen worden. Themen gibt's es hier auch genug.
Zum einen dürfte das Schicksal von Oppositionspolitiker Alexei Nawalny ein Thema gewesen sein, dessen Freilassung vergeblich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefordert wird. Der 44-Jährige ist in russischer Haft im Gefängnis von Pokrow in den Hungerstreik getreten. Sein Gesundheitszustand gibt offenbar Anlass zur Sorge. Gleichzeitig gehen derzeit die Behörden verstärkt gegen Mitstreiter Nawalnys und kritische Journalisten vor.
When you read about people like Navalny fighting against the Putins of this world at great personal sacrifice, never forget they are human beings with wives, children, family and friends who share in their sacrifice. https://t.co/lzIjk8JNx7
Auf der anderen Seite ist da der schwelende Ukraine-Konflikt, der zuletzt durch russische Truppen-Verlegungen wieder hochgekocht ist. Angeblich hat Moskau inzwischen wieder so viele Soldaten an der Grenze zur Ost-Ukraine zusammengezogen wie vor der Krim-Annexion 2014. Die Ukraine reagiert auf diese «Manöver» mit eigenen Übungen für den Ernstfall, an denen die Nato beteiligt ist.
Kiew nervös
Aus russischer Sicht liegt hier wiederum der Hund begraben: Nachdem nach dem Ende des Kalten Krieges die baltischen Staaten und Polen in die Nato aufgenommen worden sind, kann der Kreml die Vorstellung nur schwer ertragen, dass sich das Bündnis auch noch in der Ukraine positioniert, wie es deren Präsident Wolodymyr Selenskyj gern hätte.
Selenskyj wird heute entsprechende Gespräche mit Berlin und Paris über die Lage in der Ukraine führen: Was Kiew nervös macht, ist das massenhafte Ausstellen russischer Pässe an Bewohner der Regionen Luhansk und Donezk bei gleichzeitiger Warnung vor «Bürgerkrieg». Auf die Meldung, die USA würden wegen der Krise zwei Zerstörer ins Schwarze Meer beordern, reagierte Moskau mit unfreundlichen Warnungen.
Dass der Konflikt heiss wird, muss aber wohl vorerst nicht befürchtet werden. Die Entsendung der US Navy ist abgeblasen: Das Weisse Haus sagt, die Türkei habe das falsch verstanden. Der Hintergrund: Wegen des Vertrags von Montreux müssen sich Kriegsschiffe in Ankara anmelden, um die Dardanellen zu passieren.
Hardlinerin glaubt an Cyberkrieg
Der Vorgang könnte ein Hinweis darauf sein, dass Biden es ernst meint mit der Eskalationsvermeidung. Wenn es jedoch nach Hardlinern wie Margarita Simonyan geht, ist «Krieg unvermeidbar»: Die Chefredaktorin des Staatssenders «RT» geht davon aus, dass Putin seine Macht auf weitere Teile der Ukraine ausdehnen wird, was in einer Konfrontation mit den USA münden werde.
«Ich glaube nicht, dass es ein grosser, heisser Krieg wird wie der Erste oder Zweite Weltkrieg oder ein langer Konflikt wie der Kalte Krieg», wird Simonyan zitiert. «Es wird ein Krieg der dritten Art: ein Cyberkrieg. In einem konventionellen Krieg könnten wir die Ukraine in zwei Tagen besiegen, aber es wird eine andere Art von Krieg. Wir werden das machen, und dann werden die USA antworten.»
Eine extreme, wenn auch keine undenkbare Aussicht – doch selbst wenn hier kein Ungemach drohen sollte, droht an anderer Front schon neuer diplomatischer Ärger: Die Biden-Administration hat angekündigt, Vorwürfen gegen Moskau nachzugehen, die Donald Trump noch ignoriert hat. Es geht um Berichte, dass Moskau in Afghanistan Kopfgelder für amerikanische Soldaten ausgelobt hat. Fortsetzung folgt.