Westliche Kampfjets für Kiew «Ohne defensive Elemente in der Luft geht es nicht»

Von Andreas Fischer

18.5.2023

Kurz erklärt: Das US-Kampfflugzeug F-16

Kurz erklärt: Das US-Kampfflugzeug F-16

Grossbritannien und die Niederlande wollen gemeinsam mit anderen Ländern eine «Kampfjet-Koalition» für die Ukraine schmieden. Auch die Pilotenausbildung soll unterstützt werden. Konkret geht es um F-16-Jets. Was können die US-Kampfflugzeuge?

17.05.2023

Die Lieferung von westlichen Kampfjets an die Ukraine ist für einige Nato-Staaten keine rote Linie mehr. Niklas Masuhr von der ETH Zürich erklärt, welche Auswirkungen der US-Fighter F-16 auf den Krieg hätte.

Von Andreas Fischer

18.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Bei der Waffenhilfe für die Ukraine wollen mehrere europäische Staaten die Weichen für die Lieferung eines westlichen Kampfflugzeugs stellen.
  • Strategie-Forscher Niklas Masuhr sieht «westliche Systemkomplexe mittel- bis langfristig als echte Option» für die ukrainische Luftwaffe.
  • Weil der Aufwand, Pilot*innen und das Bodenpersonal für Nato-Maschinen auszubilden, extrem hoch ist, sei es vernünftig, früh damit zu beginnen.

Die «Kampfjet-Diplomatie», wie sie das Magazin «Politico» nennt, trägt offenbar Früchte. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte seine Reise nach Italien, Deutschland, Frankreich und überraschend auch Grossbritannien in der vorigen Woche dazu genutzt, bei den westlichen Verbündeten für die Lieferung von modernen westlichen Kampfjets zu werben.

Nun ist die Ukraine in ihren Bemühungen einen Schritt weiter. Grossbritannien und die Niederlande wollen eine internationale Kampfjet-Koalition aufbauen, um der Ukraine bei der Beschaffung von US-Jets vom Typ F-16 zu helfen, wie ein britischer Regierungssprecher laut Nachrichtenagentur PA am Dienstagabend bestätigte.

Munition und Ersatzteile für Sowjet-Jets gehen aus

Man wolle eine Kampfjet-Koalition schmieden, war sowohl in London als auch aus den Niederlanden zu vernehmen. Während Deutschland und die USA bislang zurückhaltend reagieren, hat Belgien bereits Unterstützung in Form von Ausbildungsprogrammen für Piloten angekündigt. Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sind westliche Kampfjets für die Ukraine zumindest kein Tabu mehr.

Zwar konnte die Ukraine zuletzt auf Kampfjets aus der Slowakei und aus Polen setzen: ausgemusterte MiG-29 aus sowjetischer Produktion. Dass Selenskyj beharrlich auf westliche Modelle drängte, ist nachvollziehbar, wie Militär-Analyst Niklas Masuhr vom Center for Security Studies der ETH Zürich auf Nachfrage von blue News erklärt: «Die Vorteile westlicher Modelle über den bereits gelieferten Systemen sind sowohl quantitativer als auch qualitativer Natur.»

Quantitativ würde die Ukraine mittelfristig vor dem Problem stehen, dass Munition und Ersatzteile für die MiGs und Suchois aus sowjetischer Produktion ausgehen. Dies auch ohne einen Anstieg von Verlusten in Kampfeinsätzen, weil mittlerweile auch die Reserven in den Nato-Staaten erschöpft sind.

«Qualitativ haben westliche Systeme häufig Vorteile in der Bekämpfung von Zielen auf weitere Distanzen, sowohl am Boden als auch in der Luft», führt Masuhr weiter aus. Zwar hat die ukrainische Luftwaffe ihre sowjetischen beziehungsweise russischen Flugzeuge für westliche Raketen umgerüstet, «aber das erforderte Modifikationen und wahrscheinlich eine Verengung des Anwendungsspektrums».

«Ohne defensive Elemente in der Luft geht es nicht»

Um die gut funktionierende ukrainische Flugabwehr zu umgehen, hat die russische Luftwaffe zuletzt die Taktik geändert und verstärkt auf Gleitbomben gesetzt. Sie sind von bodengestützten Abwehrsystemen schwer zu verteidigen: einerseits wegen des geringen Radarquerschnitts, andererseits weil sie von taktischen Jagdflugzeugen ausserhalb der Reichweite der ukrainischen Luftverteidigung abgeworfen werden können.

«Die Luftverteidigung der Ukraine wird zwar zum grössten Teil vom Boden durchgeführt, aber ohne defensive Elemente in der Luft, um Lücken zu füllen und russische Angriffe zumindest abhalten oder abschrecken zu können, geht es auch nicht», führt Masuhr aus.

Dabei braucht es nicht einmal eine grosse Flotte westlicher Kampfjets: «Auch eine minimale ukrainische Luftwaffe verkompliziert die Durchführung von Schlägen luftgestützter Präzisionswaffen», so Masuhr. Entscheidend sei die potenzielle Gefahr für russische Luftoperationen. Die westlichen Kampfjets müssten nur präsent sein: Sie dienen quasi als Abschreckung, weil sich russische Jagdbomber nicht mehr sicher sein können, nicht auch in bislang sicherer Entfernung getroffen zu werden.

Strategie-Forscher Masuhr sieht «westliche Systemkomplexe mittel- bis langfristig als echte Option» für die ukrainische Luftwaffe, da «der Grossteil des verfügbaren postsowjetischen Equipments mutmasslich bereits in der Ukraine ist».

Dass der Aufwand, Pilot*innen und das Bodenpersonal für Nato-Maschinen auszubilden, extrem hoch ist, bedeutet, «dass es vernünftig ist, damit früh zu beginnen. Zumal die Ukraine auch nach eventuellen Waffenstillständen – die aktuell natürlich sehr hypothetisch sind – Verteidigungsbedarf hat».

Der Kampfjet Typ F-16 ist laut der Londoner Denkfabrik IISS «die beste Option, Kiew mit einem westlichen Kampfflugzeug auszustatten und damit zu beginnen, seine Jets aus der Sowjetzeit zu ersetzen».
Der Kampfjet Typ F-16 ist laut der Londoner Denkfabrik IISS «die beste Option, Kiew mit einem westlichen Kampfflugzeug auszustatten und damit zu beginnen, seine Jets aus der Sowjetzeit zu ersetzen».
Bild: Harald Tittel/dpa