Im Frühjahr 2020 war New York ein Epizentrum der Corona-Pandemie. Dann wurde es besser, ja die Stadt zu einer Art Beispiel dafür, wie man es richtig macht. Aber wie es nun aussieht, war es nur eine Verschnaufpause.
AP/toko
23.12.2021, 00:00
23.12.2021, 06:03
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Noch vor ein paar Wochen schien New York so etwas wie ein Lichtblick im Kampf gegen Corona in den USA zu sein. Die neue Virusvariante Omikron hat das drastisch geändert. Die bevölkerungsreichste Stadt im Land erlebt einen neuen dramatischen Anstieg von Infektionen, lange Warteschlangen vor Testeinrichtungen und eine neue Diskussion um eine geplante Grossveranstaltung mit Tausenden Teilnehmern. Viele haben das erschöpfende Gefühl, dass sich das Szenario der frühen Pandemie-Tage von 2020 wiederholt, als die Metropole ein albtraumhafter Testfall für die Herausforderungen durch Corona wurde.
Gesundheitsbeamte betonen zwar, dass es wichtige Unterschiede zum Frühling vergangenen Jahres gibt, namentlich der Zugang zu Impfstoffen. Aber eine Reihe von Broadway-Shows haben abrupt geschlossen, das Maskentragen in Innenräumen ist wieder Pflicht – und sich testen zu lassen erneut ein frustrierendes Geduldspiel.
«Es ist enttäuschend, dass wir kein besseres System für das hier entwickelt haben und wir nicht besser auf eine neue Welle vorbereitet waren», sagt Jordan Thomas nach vier Stunden Wartezeit vor einer städtischen Gesundheitseinrichtung in Brooklyn, die Covid-Tests anbietet.
Ungetestet nach Hause
Nina Clark weiss, wovon Thomas redet. Sie steht zum dritten Mal bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt Schlange, nachdem sie vier Tage zuvor Symptome entwickelt hatte. Und auch diesmal kehrt sie ungetestet heim – zu gross ist der Andrang. «Ich stand draussen in der Kälte und sagte mir: «Das kann ich nicht», schildert Clark. «Überall, wo du hingehst, gibt es eine Schlange.»
Gesundheitsbeamte und andere Experten rufen eindringlich dazu auf, sich nicht nur testen, sondern auch eine Auffrischimpfung verpassen zu lassen. Doch auch Letzteres ist leichter gesagt als getan. So mussten beispielsweise auch Impfwillige vor einer privat betriebenen Apotheke in Manhattan stundenlanges Warten in Kauf nehmen.
Im November hatte New York mangels Nachfrage eine Reihe von Testzentren geschlossen und sich stattdessen vermehrt auf mobile Einrichtungen gestützt wie etwa Testbusse. Jetzt hat man Mühe, die Kapazitäten wieder auszuweiten. Die 130'000 täglichen Tests in städtisch gesponserten Einrichtungen am Montag waren bereits doppelt so viele wie gerade mal vor drei Wochen. Hinzu kommen mancherorts Personalmängel, weil sich auch manche Mitarbeiter infiziert haben.
Stadt will Testkits verteilen
Bürgermeister Bill de Blasio hat nun eine rasche Erweiterung des Angebots für die nächsten Tag angekündigt. Ausserdem will die Stadt 500'000 Testkits für den Hausgebrauch verteilen. Und um Einwohner zu einer Auffrischimpfung anzuspornen, soll jeder, der das tut, bis zum Jahresende mit 100 Dollar belohnt werden.
Die USA insgesamt haben es seit Monaten mit einem Anstieg von Infektionsfällen durch die Delta-Variante zu tun, und nun ist Omikron hinzugekommen, binnen kürzester Zeit bereits zur dominierenden Corona-Virusversion im Land geworden. Viele andere Teile der USA haben zwar höhere Infektionsraten als die Stadt New York in der vergangenen Woche, aber die Metropole hat bereits mehrere Tage hintereinander ihre bisherigen Rekorde gebrochen. «Wir haben das niemals zuvor in NYC (New York City) erlebt», twitterte de Blasios Gesundheitsberater Jay Varma am vergangenen Donnerstag über die rapide Zunahme.
Allein von Mittwoch bis Samstag vergangener Woche verzeichnete die Metropole 42'600 positive Tests – verglichen mit weniger als 35'800 im gesamten Monat November. Und am Sonntag kamen noch mehr als 15 000 positive Testergebnisse hinzu. Noch bis zum 1. Dezember hatte die Zahl von Neuinfektionen per Kopf der Bevölkerung in der Stadt knapp über der Hälfte des Durchschnitts im Bundesstaat New York gelegen, jetzt ist sie höher als der Durchschnitt.
Auch bei den Krankenhausaufenthalten verzeichnet New York City einen Anstieg, aber viel langsamer. Mitte der vergangenen Woche gab es etwa 110 Neuaufnahmen am Tag, zwar ungefähr doppelt so viele als einen Monat zuvor, aber immer noch über 100 weniger als vor einem Jahr – gar nicht zu reden von Anfang April 2020, als die Zahl über 1600 am Tag stieg. Damals wurden im Durchschnitt auch fast 800 Todesfälle täglich registriert und Ende Januar dieses Jahres 100. Dagegen lag die Zahl bis Mitte vergangener Woche bei etwa einem Dutzend am Tag.
Das lässt sich von den Spitälern derzeit noch gut bewältigen, aber man bereitet sich auf mögliche Personalmängel vor, wenn mehr Mitarbeiter wegen Infektionen oder Kontakten mit Infizierten zu Hause bleiben müssen. Wo immer es möglich sei, würden Dienstleistungen auf virtuell umgestellt werden, um Pflegekräfte für die Patientenbetreuung in Kliniken mit Engpässen freizusetzen, sagt Mitchell Katz, der das öffentliche Gesundheitssystem in der Stadt managt.
Silvesterfeier auf dem Times Square fraglich
Aber bei allen Unterschieden zu 2020 gibt es doch einige Parallelen. So ist die Stadt am Abwägen, ob sie eine beliebte traditionelle Veranstaltung durchziehen kann — die Silvesterfeier auf dem Times Square. So war es im Frühjahr vergangenen Jahres mit der Parade zum St. Patrick's Day. Und Einwohner denken wieder darüber nach, welchen Aktivitäten sie nachgehen können, ohne ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen.
Sheldon Rogers arbeitet in einer Technologiefirma und nahm unlängst an einer Weihnachtsfeier im Kollegenkreis teil. Nach einem Covid-Ausbruch kurz danach verbrachte er drei Stunden in einer Warteschlange, um sich in einer privaten Einrichtung in Brooklyn testen zu lassen. Aber immerhin hatte er Glück: Das Ergebnis war negativ.