Gerüchte und Falschmeldungen Online-Desinformation bremst Impf-Vorreiter Israel aus

AP

15.2.2021 - 16:54

Eine Frau erhält in einem medizinischen Zentrum in Jerusalem einen COVID-19-Impfstoff.
Eine Frau erhält in einem medizinischen Zentrum in Jerusalem einen COVID-19-Impfstoff.
Bild: Keystone

Mit seiner hohen Impfrate hat Israel neidische Blicke aus aller Welt auf sich gezogen. Doch nun lässt das Tempo – wegen Desinformation im Netz. Die Behörden geben nun unter anderem mit Falafel und Pizza Gegensteuer .

Bei den Corona-Impfungen seiner Bürger legte Israel erst ein atemberaubendes Tempo vor, doch nun ist Sand im Getriebe. Zuletzt ging die Zahl jener zurück, die sich impfen verpassen liessen. Die Schuld sehen Behörden bei Falschinformationen im Netz, die Impfscheu im Volk beförderten. Ein breitgefächertes Massnahmenpaket soll nun Abhilfe schaffen.

Im Umgang mit den Zauderern setzt Israels Gesundheitsministerium auf Anreise und Warnungen. Eine Arbeitsgruppe, die im Internet falsche Behauptungen über Vakzine aufspüren soll, wird personell aufgerüstet. Und auf Lokalebene versuchen die Verantwortlichen die Menschen mit Partymusik und kostenlosem Essen zu den Impfzentren zu locken. Den Ungeimpften wird derweil mit einem Ausschluss von Freizeit- und Kulturangeboten gedroht, die Geimpften wiederum offenstehen.

«Entscheidet, ob ihr Teil der Feier sein oder ob ihr zurückgelassen werden wollt», schrieb Gesundheitsminister Juli Edelstein auf Twitter – und rief zur Unterstützung der Impfkampagne auf.

Zwei von Fünf haben schon eine Impfung erhalten

Seit dem Start der Immunisierungen gegen Covid-19 im Dezember sind schon einem Viertel der Bevölkerung – also 2,5 Millionen Menschen – die zwei Dosen des Impfstoffs von Biontech und Pfizer verabreicht worden, wie aus Daten des Gesundheitsministeriums hervorgeht. Mehr als 42 Prozent haben die erste Dosis erhalten. Damit weist Israel eine der höchsten Impfraten der Welt auf, viele Länder blicken neugierig auf die israelischen Erfahrungen, um einen Einblick in mögliche Szenarien für die Zukunft zu bekommen.

Seitdem das Land im Februar Vakzine für alle ab dem Alter von 16 Jahren verfügbar gemacht hat, ist jedoch ein nachlassendes Impftempo zu beobachten. In diesem Monat wurden im Durchschnitt etwas über 106'000 Impfungen pro Tag gezählt – im Januar waren es laut der Statistik des Gesundheitsministeriums noch mehr als 127'000.

Seit Pandemiebeginn hat das Land mehr als 723'000 Corona-Infektionen und fast 5400 Todesfälle nach einer Ansteckung nachgewiesen – mehr als 20 Prozent davon allein im Januar. Im Laufe der vergangenen Woche meldete das Land mit 9,3 Millionen Einwohnern täglich mehr als 5000 neue Infektionen.

Dass die Zahlen so hartnäckig hoch bleiben, wird vor allem auf Impfscheu in einigen gesellschaftlichen Gruppen zurückgeführt.

Fehlendes Vertrauen und Angst vor Unfruchtbarkeit

Der Trend dürfte für Unruhe bei Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sorgen, der sich bald zur Wiederwahl stellt und seine Hoffnungen auf einen Sieg in eine erfolgreiche Impfkampagne gesetzt hat. Das einzige Hindernis bei der Erfüllung der Aufgabe seien «Fake News und die abergläubischen und mitunter bösartigen Überzeugungen, die in der Öffentlichkeit und dem Internet gesät» würden, erklärte er erst vergangene Woche.

Zwar soll das Gesundheitsministerium Millionen in die Aufklärung der Bevölkerung gesteckt haben. Doch wird dieses Unterfangen durch den Umstand erschwert, dass sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen aus ganz unterschiedlichen Gründen gegen den schützenden Pikser sträuben.

Im Fall der ultra-orthodoxen Gemeinde haben einige einflussreiche religiöse Würdenträger ihren Anhängern eingeschärft, sich ja nicht impfen zu lassen. Bei der arabisch geprägten Minderheit in Israel spielt mangelndes Vertrauen in die jüdische Verwaltung eine Rolle. Und jüngere Israelis befürchten oft, dass sie durch die Vakzine ernsthaft erkranken könnten. So hält sich etwa die Behauptung, dass der Impfstoff zu Unfruchtbarkeit führen könne.

Kampf gegen Skepsis der Ultraorthodoxen 

Das Gesundheitsministerium arbeite aktuell mit Ärzten und religiösen Anführern zusammen, um solchen Falschinformationen entgegenzutreten, sagt Einaw Schimron, Vize-Direktorin für internationale Beziehungen in der Behörde. Dort sitzen elf Mitarbeiter in einem sogenannten Kommandozentrum, das soziale Medien wie Facebook, Twitter, Instagram und Telegram nach impffeindlichen Posts absucht. In den kommenden Tagen kann die Abteilung mit Verstärkung rechnen. Die scheint nötig, denn die Aufgabe der Online-Jäger gleicht einer Sisyphusarbeit.

Komme dem Kommandozentrum eine Desinformation unter, schalte es das Justizministerium ein, das die Online-Netzwerke sofort zur Entfernung der Inhalte dränge, berichtet Schimron. Etliche Male hätten sie auch schon die Polizei gerufen und dies damit begründet, dass die falschen Behauptungen ein öffentliches Gesundheitsrisiko darstellten.

In der ultra-orthodoxen Szene, in der Internet-Nutzung oft nicht so verbreitet ist, fallen die Massnahmen gegen Impfgegner entsprechend weniger tech-lastig aus. Rabbiner haben falsche Informationen über Vakzine auf als Paschkewils bekannten Plakaten angebracht, mit denen sie ihre Botschaften unter die Gläubigen bringen. Daher reagiert das Ministerium nun mit seinen eigenen Paschkewils.

Schützenhilfe von Facebook und Twitter

Der Rabbiner Juwal Hacohen Ascherow, ein populärer Gelehrter, hat wiederum Videos mit impffeindlichen Inhalten ins Netz gestellt, die bereits Hunderttausende Klicks haben. In einem jüngsten Video sagte er etwa fälschlicherweise, das Corona-Vakzin führe zum Tod. Das Gesundheitsministerium bat das Justizministerium um eine Intervention bei YouTube, um die Löschung der Videos zu erreichen.

Bei Awischai Matia, einem anderen Anti-Impfstoff-Aktivisten, haben Facebook und Twitter bereits die Reissleine gezogen und dessen Accounts mit Tausenden Followern stillgelegt. Matia hatte zu Unrecht erklärt, das Pfizer-Vakzin sei «ein experimentelles Medikament», das an israelischen Bürgern getestet werde. Tatsächlich hat das Mittel in den USA und Europa eine Notfall- beziehungsweise bedingte Zulassung erhalten. Im Gegenzug für ausreichende Dosen hat Israel sich zwar bereit erklärt, Daten mit Pfizer zu teilen. Experimente werden aber nicht ausgeführt.

Zugleich hantieren die Behörden nicht nur mit der Peitsche, sondern lassen vor Impfunwilligen auch das Zuckerbrot baumeln. Dazu hat das Gesundheitsministerium unter anderem Dutzende Social-Media-Influencer für eine eigene Online-Video-Kampagne verpflichtet. Passend zum Valentinstag kam ein Spot heraus, in dem ein Mann seiner Freundin eine kleine Schatulle schenkt. Ein Verlobungsring ist leider nicht drin. «Willst du dich mit mir impfen lassen?», fragt er seine Liebste stattdessen, als sie das Präsent öffnet. Es enthält eine Ampulle mit Impfstoff.

Zurück zur Startseite

AP