Fragen und Antworten Das bedeutet die Panzerwende für die Ukraine und den Westen

dpa/uri

8.1.2023 - 07:50

Deutsche Panzer-Zusage: Russland reagiert empört

Deutsche Panzer-Zusage: Russland reagiert empört

Nach langem Zögern hat Deutschland sich durchgerungen, Schützenpanzer an die Ukraine zu liefern. Russland reagiert erwartungsgemäss empört – hat die Entscheidung Deutschlands zur Lieferung von Schützenpanzern und eines Patriot-Flugabwehrsystems an die Ukraine als «Schritt hin zur Konflikteskalation» verurteilt.

07.01.2023

Immer wieder hat Kiew seine westlichen Verbündeten um Kampf- und Schützenpanzer gebeten – und blitzte damit lange ab. Inzwischen haben die USA und Deutschland Schützenpanzer zugesagt, Frankreich will leichte Kampfpanzer liefern. Es ist ein Meilenstein.

dpa/uri

8.1.2023 - 07:50

Nach langer Debatte erhält die Ukraine längst geforderte Panzer westlicher Bauart: Kiew soll deutsche Schützenpanzer vom Typ Marder und Bradley-Panzer aus US-Beständen bekommen. Frankreich kündigte die Lieferung von leichten Kampfpanzern vom Typ AMX-10 RC an.

Die Nato-Staaten waren Kiews Wunsch nach solchen Waffen bislang nicht nachgekommen. Vor allem die deutsche Regierung galt hier als Hemmschuh, denn sie wollte jeden Schritt vermeiden, um in den Krieg hineingezogen zu werden.

Deshalb sprechen manche nun bezüglich der angekündigten Lieferung der Marder gar von einem Tabubruch in Berlin: Ein Schlussstrich unter die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine ist das aber längst noch nicht.

Immerhin gibt es nun zumindest eine Teilantwort: Die Panzerlieferung ist Teil einer konzertierten Aktion mit den USA und Frankreich, womit die Nato-Staaten der dringlichen Bitte der Ukraine nachkommen. Ganz erfüllt ist sie mit den jetzt erfolgten Zusagen aber noch nicht.

Deutsche Schützenpanzer vom Typ Marder und anderes Gerät wird in Deutschland für ein Manöver an der Ostflanke der Nato zum Transport vorbereitet. 
Deutsche Schützenpanzer vom Typ Marder und anderes Gerät wird in Deutschland für ein Manöver an der Ostflanke der Nato zum Transport vorbereitet. 
Archivbild: Keystone

Warum kam die Entscheidung erst jetzt?

Die Nato-Verbündeten hatten nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zunächst auf die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern sowjetischer Bauart gesetzt, über die einige osteuropäische Staaten noch verfügten. Der Grund: Dafür war für die Ukrainer keine zusätzliche Ausbildung erforderlich, die Panzer waren sofort einsatzbereit.

Nach Darstellung Berlins ist das Konzept erst jetzt an seine Grenzen gestossen. Panzer wurden zerstört, die Munition wird knapp. Ausserdem sei zu befürchten, dass im Frühjahr das Kampfgeschehen wieder zunehme, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag. Seit einiger Zeit verlegt Russland zusätzliche Waffen ins Kriegsgebiet, was von westlichen Militärexperten als Vorbereitung für eine neue russische Offensive verstanden wird.

Was bringen die Panzer der Ukraine?

Die deutschen Marder wurden zwar schon vor mehr als 50 Jahren für die Bundeswehr entwickelt und sind damit ebenso wie die Panzer aus den USA und Frankreich Gerät aus dem Kalten Krieg. Sie wurden allerdings immer wieder modernisiert und können in einer solchen Situation eine wichtige Hilfe sein.

An der Front machen die deutschen Marder die Truppen etwa flexibler, indem sie einen gepanzerten Transport von Soldaten ermöglichen. Zugleich geht von der Lieferung dieses westlichen Waffensystems eine Botschaft an die Truppe aus. In der Materialschlacht gegen Russland signalisiert der Westen: Wir können nachliefern. 

Jetzt doch: Berlin liefert Marder-Schützenpanzer an die Ukraine

Jetzt doch: Berlin liefert Marder-Schützenpanzer an die Ukraine

Die Bundesregierung will nach monatelangem Zögern nun doch Marder-Schützenpanzer an die Ukraine liefern, Berichten zufolge geht es um zunächst 40 Fahrzeuge. Auch die USA und Frankreich liefern jetzt Panzer an Kiew.

06.01.2023

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, bedankte sich in einem Interview vom Samstag bei der deutschen Regierung und erklärte: «Vom Schützenpanzer Marder werden unsere Bodentruppen enorm profitieren. Somit schliesst sich die ukrainische Verteidigung am Himmel und am Boden.»

War die Entscheidung abgestimmt?

Der deutsche Kanzler Scholz hat immer betont: Bei den Panzern wird es keine Alleingänge geben. Diesem Anspruch ist er gerecht geworden. Die Entscheidung wurde über mehrere Wochen mit den USA und Frankreich vorbereitet und abgestimmt. Die Verkündung war dann allerdings nicht besonders gut koordiniert.

Der französische Präsident Emmanuel Macron preschte bereits am Mittwoch vor, und sagte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Lieferung von schwer bewaffneten Spähpanzern zu. Erst einen Tag später gaben Scholz und Biden dann die Lieferung der Schützenpanzer der Typen Marder und Bradley bekannt. Regierungssprecher Hebestreit sieht darin kein Problem: Ob es da einen Abstand von einigen Stunden in der Kommunikation gebe oder nicht sei «letztlich Mumpe», sagt er.

USA erwägen Lieferung von Schützenpanzern an die Ukraine

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Die US-Regierung zieht die Lieferung von Schützenpanzern des Modells «Bradley» an die Ukraine in Erwägung. Die gepanzerten Kettenfahrzeuge verfügen laut US-Militär normalerweise über eine Kanone, ein Maschinengewehr sowie panzerbrechende Raketen.

07.01.2023

Warum schickt Berlin auch Patriot-Systeme?

Diese Ankündigung ist eine Überraschung. Nachdem die USA sich vor Weihnachten entschieden, Patriot-Batterien für die Luftabwehr zur Verfügung zu stellen, hiess es aus Deutschland zunächst: Wir haben keine Kapazitäten mehr. Jetzt kann die Bundeswehr doch noch eines der Systeme aus US-Produktion entbehren, obwohl sie selbst nur noch 12 von einst 36 zur Verfügung hat – und davon befindet sich etwa die Hälfte bei der Industrie zur technischen Aufrüstung. Als einen nötigen «Kraftakt» für die Truppe, bezeichnet der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, die Abgabe der Raketensysteme und die nun geplante schnelle Ausbildung der Ukrainer: «Aber es muss sein in diesen besonderen Zeiten.»

Werden die Nato-Staaten nun Kriegspartei?

Politiker der deutschen Regierungskoalition weisen immer wieder darauf hin, dass Deutschland und andere Verbündete nach internationalem Rechtsverständnis mit ihren Waffenlieferungen nicht zur Kriegspartei werden. Für Scholz hat es oberste Priorität, nicht in den Krieg hineingezogen zu werden.

Moskau behauptet dagegen seit Monaten, dass die Nato bereits Kriegspartei in der Ukraine sei. Diese Aussage dient einerseits innenpolitischen Zwecken, um das Desaster des bisherigen Verlaufs des russischen Einmarsches in der Ukraine der eigenen Bevölkerung zu erklären, andererseits schwingt aussenpolitisch die Drohung mit, den Konflikt bei Überschreiten «roter Linien» eskalieren zu lassen. Die «roten Linien» haben sich aber schon mehrfach verschoben.

Wie reagiert Moskau auf die Panzer-Zusage?

Der Kreml selbst reagierte zunächst nicht. Das hing wohl auch damit zusammen, dass Russland vor dem orthodoxen Weihnachtsfest stand. Das tägliche Briefing von Kremlsprecher Dmitri Peskow gab es daher am Freitag nicht. Die russische Botschaft in Berlin erklärte allerdings, Deutschland überschreite mit den Marder-Lieferungen eine moralische Grenze, worauf es angesichts der von den Nationalsozialisten verübten Verbrechen kein Recht habe.

Bekommt die Ukraine bald auch Kampfpanzer?

Moderne westliche Kampfpanzer sind viel besser bewaffnet und besser gegen Angriffe geschützt als die Schützenpanzer Marder und Bradley. Sie können damit gegen russische Kampfpanzer in die direkte Konfrontation gehen («Duellfähigkeit»). Die Ukraine hofft deswegen, dass Nato-Staaten ihre Offensivfähigkeiten mit Panzern der Typen Leopard (Deutschland), M1 Abrams (USA) oder auch Leclerc (Frankreich) stärken werden.

Es ist eine politische Entscheidung, bei der es nicht zuletzt wieder auf grünes Licht aus Deutschland ankommt. Einige Staaten wie Finnland und Spanien haben noch ältere Modelle wie den Leopard 2A4 auf Lager. Es gibt schon vereinzelte Signale, dass sich diese Staaten einer gemeinsamen Initiative mit Deutschland anschliessen könnten. Noch lenht die deutsche Regierung einen solchen Schritt ab, doch der Druck nimmt auch aus den eigenen Reihen zu.  

So machen sich etwa die Vizepräsident*innen des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Wolfgang Kubicki (FDP) laut einem Vorabbericht der Funke Mediengruppe bereits dafür stark, deutsche Kampfpanzer vom Typ Leopard an die Ukraine zu liefern. Bei der Zusage für Marder-Schützenpanzer «stehen zu bleiben, wäre falsch», sagte Göring-Eckardt in dem Vorabbericht. Und: «Wir sollten alles tun und liefern, was möglich ist. Dazu gehören auch Leopard-Panzer».

Nachdem die Ukraine Schützenpanzer vom Typ Marder (links) erhalten soll, hofft Kiew weiter auf stärkere Kampfpanzer vom Typ Leopard (rechts).  
Nachdem die Ukraine Schützenpanzer vom Typ Marder (links) erhalten soll, hofft Kiew weiter auf stärkere Kampfpanzer vom Typ Leopard (rechts).  
Archivbild: Keystone

Was wünscht sich Kiew noch? 

Der ukrainische Vizeaussenminister und Ex-Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat wiederholt die Lieferung von Kampfflugzeugen oder Kriegsschiffen in die Ukraine gefordert. Der deutsche Politikwissenschaftler Carlo Masala meint, dass zumindest Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart vom Typ MiG-29 sinnvoll wären. «Das ist genau das Gerät, das die Ukraine in dieser Phase des Krieges dringend benötigt.» Bei Schiffen ist dagegen ein schneller Nutzen kaum zu erkennen. Was sich hingegen schon als erfolgreich bewiesen hat: Raketen oder schwimmende Drohnen, die russische Schiffe vor der Schwarzmeer-Küste der Ukraine zerstören können.

dpa/uri