«Tiefe Krise der Demokratie»Wichtigster Politiker Polens räumt Kauf von Spionagesoftware ein
AFP/AP/tpfi
8.1.2022
Noch vor Kurzem haben Regierungsmitglieder den Besitz eines israelischen Spähprogramms bestritten, mit dem Oppositionelle überwacht worden sein sollen. Die Opposition fühlt sich an Watergate erinnert.
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08.01.2022, 00:00
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Der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, hat den Erwerb von israelischer Spionage-Software des Typs Pegasus durch Polen eingeräumt. Polnische Dienste müssten diese Art von Geräten haben, sagte Kaczynski der Wochenzeitung «Sieci» in einem Interview, das am Freitag in Auszügen veröffentlicht wurde.
Die von dem israelischen Unternehmen NSO entwickelte Pegasus-Software ist in der Lage, sämtliche Daten von damit angegriffenen Mobiltelefonen auszulesen. Ausserdem kann Pegasus unbemerkt Kamera und Mikrofon des Gerätes anschalten.
Regierungskritiker mit Pegasus ausgespäht
Auf die Frage, ob die Regierung in Warschau Pegasus zum Abhören von Oppositionspolitikern genutzt habe, antwortete Kaczynski, die Software werde zum «Kampf gegen Verbrechen und Korruption in vielen Ländern» eingesetzt. Dies unterliege der Kontrolle von Gerichten und Staatsanwälten.
In Polen sei «das Überwachungssystem für solche Aktivitäten eines der strengsten in Europa». Die Vorwürfe der Opposition in diesem Zusammenhang bezeichnete er als «viel Lärm um nichts».
Die Forschungsgruppe Citizen Lab mit Sitz in Kanada hatte bestätigt, dass Pegasus unter anderem gegen den Anwalt Roman Giertych, die Staatsanwältin Ewa Wrzosek und den Oppositionspolitiker Krzysztof Brejza eingesetzt wurde, als dieser 2019 den Wahlkampf für die Zentrumspartei Bürgerplattform mitorganisiert hatte.
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wies die Erkenntnisse von Citizen Lab und AP als Falschmeldungen zurück und legte nahe, ausländische Geheimdienste stünden hinter den Spähangriffen.
Amnesty International: «Erkenntnisse sind schockierend»
Kaczynski bestritt einen Einsatz der Software während des Wahlkampfs. Die Opposition habe «verloren, weil sie verloren hat», sagte der Chef der PiS-Partei. «Kein Pegasus, keine Dienste, keine heimlich beschafften Informationen jeglicher Art haben im Wahlkampf 2019 eine Rolle gespielt».
Auch Vizeverteidigungsminister Wojciech Skurkiewicz beteuerte noch Ende Dezember, polnische Dienste besässen das Pegasus-Programm überhaupt nicht. «Es wird nicht verwendet, um irgendjemanden in unserem Land zu verfolgen oder zu überwachen» versicherte er damals.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte am Freitag, sie verfüge ebenfalls über unabhängige Informationen darüber, dass Brejza anhand von Pegasus ausspioniert worden sei. «Diese Erkenntnisse sind schockierend, aber nicht überraschend», erklärte die Organisation.
Vergleiche zum US-Watergateskandal
Amnesty forderte einen weltweiten Stopp für den Export, den Verkauf, die Weitergabe und den Einsatz von Überwachungstechnologie, «bis ein solider, menschenrechtskonformer Rechtsrahmen geschaffen ist». Der Einsatz der Pegasus-Software in Polen gebe «Anlass zu ernster Besorgnis, nicht nur für Politiker, sondern für die gesamte polnische Zivilgesellschaft».
Die Opposition zog Vergleiche zum US-Watergateskandal in den 1970er Jahren, bei dem die Regierung versucht hatte, Wahlkampfpläne der Opposition auszuspähen. In Polen wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss gefordert.
Oppositionsführer Donald Tusk hatte Ende Dezember eine «tiefe Krise der Demokratie» in Polen beklagt und einen Untersuchungsausschuss zu den Vorwürfen gefordert, nach denen die polnische Regierung mit Pegasus Oppositionspolitiker aushorche.