Russland-Expertin «Putin hätte abgewartet, bis Trump aus dem Amt ist»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

16.4.2022

Rebekah Koffler ist eine gern gesehene Expertin in rechtskonservativen Sendungen, hier bei «Candace».
Rebekah Koffler ist eine gern gesehene Expertin in rechtskonservativen Sendungen, hier bei «Candace».
Getty Images

Rebekah Koffler war Russland-Analystin im US-Verteidigungsministerium und hat den Krieg in der Ukraine vorausgesagt. Die rechtskonservative Christin kritisiert, die USA hätten nicht rechtzeitig eine Strategie gegen Putin entwickelt.

Von Marlène von Arx, Los Angeles

16.4.2022

Sie haben in Ihrem Buch «Putin’s Playbook» den Angriff auf die Ukraine vorausgesagt. Können Sie auch eine Prognose machen, wie der Krieg enden wird?

Am 9. Mai feiern die Russen den Sieg über die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Ich denke, bis dann plant Putin, die militärischen Operationen zu beenden und den Konflikt einzufrieren, wie er es in Moldawien und Georgien gemacht hat. Denn solange Gebiete in der Ukraine umstritten sind, qualifiziert sich die Ukraine nicht für die Nato-Mitgliedschaft. Das Langzeit-Ziel ist es ja, die Ukraine wieder unter eine Staaten-Allianz ähnlich wie es die Sowjetunion war, zu bringen.

Was bedeutet dieses Langzeit-Ziel für die ehemaligen Ostblock-Staaten in Europa?

Destabilisierungs-Operationen wie die Verbreitung von Desinformation gehen weiter. Aber Putin wird kein Nato-Land angreifen. Militärisch ist das nicht der Plan im Moment. Die Menschen in Ungarn, Polen, Rumänien und den baltischen Staaten können also ruhig schlafen – und auch die Finnen und Schweden. Putin hat Angst vor der Nato. Aber die Europäer müssen realisieren, dass sie zur Verteidigung beitragen müssen. Das heisst mehr Waffen und weniger Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, denn so finanziert Putin seine Kriegsmaschine.

Zur Person
ZVG

Rebekah Koffler, 56, wuchs in der Sowjetunion auf, kam als junge Frau in die USA und arbeitete nach 9/11 in der Defense Intelligence Agency als Russland-Analystin. Inzwischen ist sie als Russland-Expertin vor allem in rechtspopulistischen Medien unterwegs und hat letzten Sommer in ihrem Buch «Putin’s Playbook: Russia’s Secret Plan to Defeat America» den Krieg in der Ukraine vorausgesagt. Dieses wurde von der DIA und CIA passagenweise zensuriert.

Sie sprechen von Destabilisierungs-Methoden, die letztlich auch die USA besiegen sollen. Können Sie das näher erklären?

Der KGB-Überläufer Yuri Bezmenov warnte schon in den Achtziger Jahren, dass die Sowjets planen, Amerika von einer freien, kapitalistischen in eine im Sowjet-Stil kontrollierte Gesellschaft zu verwandeln. Russland kann man nicht für alles, was jetzt in den USA passiert, verantwortlich machen, aber was sie gesät haben, wird jetzt geerntet: Die Leute trauen sich nicht mehr, vor den Mächtigen die Wahrheit zu sagen. Das Land ist polarisiert. Das sozialistische Narrativ wird normalisiert – vor allem unter jungen Leuten, die gar nicht wissen, was Sozialismus ist. Sie meinen, es gehe darum, Sachen gratis zu bekommen, aber es geht in Wirklichkeit um die Kontrolle durch den Staat.

Sie sprechen sich im Buch dagegen aus, dass der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Trump beim Wahlkampf 2016 unter dem heimlichen Einfluss der Russen stand.  Glauben Sie, die Situation in der Ukraine wäre heute anders, wenn Donald Trump noch im Amt wäre?

Ich glaube nicht, dass er verhindert hätte, was jetzt passiert ist. Aber ich glaube, er hätte es verzögert. Obwohl Präsident Trump nie wirklich etwas Negatives über Putin gesagt hat, hat er Wichtiges gegen ihn eingeleitet. Er autorisierte Cyber-Operationen gegen feindliche Staaten wie Russland und die Entwicklung von Atomwaffen mit geringer Sprengkraft. Denn Russland hat eine «Eskalieren, um zu Deeskalieren»-Strategie und hat zehnmal mehr Atomwaffen als die USA. Präsident Biden hat die Entwicklung dieser Atomwaffen storniert. Er ist für die Russen viel einfacher einzuordnen, als Präsident Trump, der das eine sagte, aber etwas anderes machte.

Sie meinen also, ein unberechenbarer US-Präsident wie Donald Trump würde Putin besser in Schach halten?

Unberechenbarkeit ist nur ein Aspekt, der den Russen Angst macht. Russen fürchten auch starke Leader mit einer robusten, pro-kapitalistischen Pro-Amerika Politik. Dazu hat Präsident Trump 300 russische Söldner in Syrien töten lassen. Ich glaube, Putin hätte abgewartet, bis Präsident Trump aus dem Amt ist, weil er nicht einschätzen konnte, wie er reagieren würde.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Russen hätten eine hohe Toleranz fürs Leiden. Trifft das auch auf Putin zu, wenn beispielsweise Sanktionen gegen seine Familie erhoben werden?

Durch die Sanktionen wird die Familie etwas leiden müssen, aber es wird Putins Verhalten nicht ändern. Wirtschaftliches Leid ist kein Vergleich zur existentiellen Bedrohung, die er sieht. Die Distanz zwischen Nato-Streitkräften und Russland ist bei St. Petersburg von 1000 Meilen auf 100 Meilen geschrumpft. Aus militärischer Sicht ist das ein grosses Risiko. Gemäss dem russischen Geheimdienst ist ein Krieg zwischen Russland und der USA/Nato unausweichlich. Und Putin selber glaubt, dass man in so einem Fall den ersten Schlag ausführen muss.

Trotzdem hat er sich in der Ukraine ziemlich verschätzt, was die Gegenwehr betrifft. Oder wie sehen Sie das?

Genau. Putin hat vieles falsch eingeschätzt. Als ehemaliger Geheimdienstler ist das sehr peinlich für ihn. Er hat den Zusammenschluss der Nato ebenso unterschätzt, wie den Kampfwillen der Ukrainer, die Führungsstärke Selenskyjs und die Bereitschaft von Unternehmen wie Mastercard, Visa und Starbucks, auf Profite zu verzichten. Aber auch die USA hat sich nicht angemessen vorbereitet: Putin hat aus seinen Absichten nie ein Geheimnis gemacht und ich selber habe genügend Pentagon-Offizielle der Obama Administration, National Security Beamte und Berater von Kongress-Abgeordneten gebrieft und gewarnt. Und jetzt tun sie so, als ob alles eine Überraschung wäre.