Lagebild Ukraine Putin verliert viele Panzer, macht aber Boden gut

Von Philipp Dahm

12.12.2022

Russischer Drohnen-Angriff auf Stromnetz in Odessa

Russischer Drohnen-Angriff auf Stromnetz in Odessa

STORY: Nach einem russischen Drohnen-Angriff auf das Stromnetz in der südukrainischen Region Odessa am Samstag dauerten dort die Stromausfälle an. Einzelne Bars, Restaurants und Geschäfte griffen auf ihre Dieselgeneratoren zurück. So konnten die Gäste die Spiele der Fussball-WM verfolgen und an zentralen Punkten ihre Handys aufladen. Wegen der erheblichen Beschädigung seien zunächst mit Ausnahme der kritischen Infrastruktur alle Bewohnerinnen und Bewohner von der Stromversorgung abgeschnitten, teilte Bürgermeister Truchanow mit. Der Gouverneur der Region Odessa, Maxym Martschenko, erklärte, eine eingeschränkte Stromversorgung werde in den nächsten Tagen wiederhergestellt. Eine komplette Reparatur des Netzes könne jedoch einige Monate dauern. Vor der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar lebten in Odessa mehr als eine Million Menschen.

12.12.2022

In West-Luhansk scheint die ukrainische Armee nördlich von Kreminna erfolgreich vorgestossen zu sein, während die Materialschlacht bei Bachmut weitergeht. Zudem kauft Kiew Berlin eine neue Flugabwehr ab.

Von Philipp Dahm

12.12.2022

Der Krieg zieht unbarmherzig seine Kreise. Allein in den vergangenen 24 Stunden will die ukrainische Seite 620 feindliche Soldaten getötet und 24 Panzer zerstört haben. Insgesamt sollen 2966 Panzer «demilitarisiert» worden sein. Diese Angaben lassen sich allerdings nicht überprüfen. 

Das niederländische Projekt Oryx belegt hingegen russische Verluste – etwa mit Bildern. Demnach hat Russland in der Ukraine bereits mindestens 1566 Panzer verloren. Zum Vergleich: Während des zehn Jahre dauernden Afghanistan-Einsatzes wurden 147 Panzer der Roten Armee kampfunfähig gemacht.

Der Anteil älterer Modelle, die vor 1991 produziert sind, steigt dabei stetig, wie der Isländer Ragnar Gudmundsson nachgerechnet hat. Er ist von 32 Prozent im März auf 45 Prozent im November angestiegen. Der britische Geheimdienst glaubt denn auch, es sei «unwahrscheinlich», dass die geschwächte russische Armee «in den kommenden Monaten» signifikante Offensiven starten könne.

Ukrainische Militärs hoffen auf kälteres Wetter

Kiew wartet derweil weiter darauf, dass es kälter wird, um noch offensiver zu werden, wie Verteidigungsminister Oleksij Resnikow am 11. Dezember gesagt hat. Der Grund: Noch herrschen an der Front im Donbass am Tag Temperaturen um die 5 Grad. Nachts liegen sie unter dem Gefrierpunkt. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei über 83 Prozent.

In dieser Lage kommen nur noch Ketten-Fahrzeuge voran, doch deren Nachschub ist meist auf Rädern unterwegs. Sobald es aber richtig kalt wird, wird auch der Boden wieder befahrbar, weiss Resnikow. «Das ist ein Krieg der Ressourcen, und [Russlands] Ressourcen nehmen ab», erläutert der 56-Jährige das geplante Vorgehen.

Am Boden im Westen von Luhansk wird trotz der Wetterlage weiter erbittert gekämpft – etwa um das Dorf Novoselivske südwestlich von Swatowe. Hier hat die russische Seite angeblich die TOS-1A zum Einsatz gebracht, um in dem ohnehin zerstörten Ort mit thermobarischer Munition auch noch das letzte Leben auszulöschen.

West-Luhansk: Ukraine überquert die Krasna 

Weiter südlich kann Kiew dagegen Erfolge vermelden: Im Norden von Kreminna ist die ukrainische Armee vorgerückt und hat beim Dorf Pischtschane angeblich die Krasna überquert, die die russische Verteidigungslinie bildet.

Zudem soll bei Schytliwka ein wichtiger Bahn-Knotenpunkt eingenommen worden sein. Damit ist nicht nur der russische Nachschub über die Autobahn P-66 gefährdet, sondern auch der über die Schiene. Südlich von Kreminna rücken Kiews Kräfte über Bilohoriwka und Shypylivka auf die strategisch wichtige Stadt vor.

Wieder weiter südlich liegt die Stadt Kadijiwka, wo die Ukraine am 11. Dezember ebenfalls zugeschlagen hat: Die Artillerie hat angeblich ein Hotel getroffen, in dem Soldaten der Gruppe Wagner untergebracht waren. Serhij Hajdaj, der ukrainische Gouverneur von Luhansk, spricht von hohen Verlusten in dem lokalen Hauptquartier, die noch steigen würden, weil 50 Prozent der verletzten Soldaten nicht versorgt werden könnten.

Überlebende in Bachmut: «Wir frieren»

Russische Quellen berichten derweil, dass Moskaus Männer weiter auf den Ostteil von Bachmut vorrücken, der vor dem Fluss Bachmutka liegt. Beim Dorf Klischtschijwka versuchen sie, Bachmut südlich zu umgehen. Dort ist angeblich auch eine Su-24M mit einer schultergestützten Flugabwehr-Rakete abgeschossen worden, nachdem die Gruppe Wagner Unterstützung angefordert hatte, um gegen einen Panzer-Vorstoss vorzugehen.

Russland versucht, Bachmut (in der Bildmitte) einzuschliessen.
Russland versucht, Bachmut (in der Bildmitte) einzuschliessen.
Karte: LiveUAMap

Die Lage in Bachmut selbst ist trostlos. Freiwillige versorgen diejenigen, die die Stadt nicht verlassen wollten oder konnten, mit dem Nötigsten: Besonders Öfen sind bei den Überlebenden gefragt. «Wir frieren», sagt Einwohnerin Oksana, als «Sky News»-Reporterin Deborah Haynes sie trifft. «Es sind drinnen nur drei bis fünf Grad», berichtet sie unter Tränen. «Wir sind in der Steinzeit. Es ist erschreckend, im 21. Jahrhundert so zu leben.»

Kein Wasser, keine Wärme, kein Strom – und permanentes Artilleriefeuer. «Man kann die Gefahr und die Verzweiflung hören», sagt Haynes. Südlich von Bachmut kann sich der Kreml darüber freuen, dass ein Teil des Dorfes Optyne erobert worden ist, womit die russische Armee die eigenen Einheiten über die Strasse T0513 versorgen kann.

Russen gegen Russen

In Bachmut kämpfen auch Russen gegen Russen: Die Legion Freiheit Russlands ist hier stationiert, die gegen Putin kämpft. «Ja, ich töte meine Landsleute», sagt Soldat Caesar dem US-Sender CNN. «Aber sie sind zu Kriminellen geworden. Sie sind in ein fremdes Land gekommen, um zu stehlen, zu töten und zu zerstören. Sie töten Zivilisten, Kinder und Frauen.»

Dem müsse er sich stellen, findet Caesar. Die Seiten zu wechseln, sei ihm dennoch nicht leichtgefallen. «Es war ein sehr schwieriger Prozess. Es hat mich mehrere Monate gekostet.» Es sei seine Pflicht als Christ, zu helfen. «Ich kämpfe einen noblen Kampf», sagt Caesar, der nach der Ukraine sein Heimatland von Tyrannei befreien will.

Ganz im Süden der Ukraine im Oblast Saporischschja kommt ebenfalls Bewegung in die zuletzt festgefahrene Front: Russische Artillerie hat demnach das Dorf Lobkowe unter Beschuss genommen, das östlich von Kamjanske liegt. Das lässt darauf schliessen, dass die Ukraine dort wieder das Sagen hat.

Waffen-Update

Deutschland wird der Ukraine ein hochmodernes Flugabwehrsystem liefern, das allerdings erst Anfang 2024 ausgeliefert werden kann. Laut «Handelsblatt» hat Kiew beim Rüstungskonzern Rheinmetall zwei Exemplare von Skynex für 182 Millionen Euro gekauft, wobei die Bundesregierung die Kosten tragen will.

Das Herzstück des Systems ist eine automatische 35-Millimeter-Kanone Oerlikon Mk. 3, die stationär, auf einem Lastwagen oder Panzer installiert werden kann. Sie kann Flugzeuge, Drohnenschwärme, Raketen oder Granaten abschiessen. Das System soll nicht nur hochgradig präzise, sondern auch relativ kostengünstig sein.