Lagebild Ukraine Putin will Momentum nutzen und setzt in Awdijiwka nach

Von Philipp Dahm

21.2.2024

Russland: Mit Einnahme von Industrieanlage ganz Awdijiwka unter Kontrolle

Russland: Mit Einnahme von Industrieanlage ganz Awdijiwka unter Kontrolle

In Awdijiwka haben russische Truppen nach eigenen Angaben den Rest der seit Monaten umkämpften Stadt im Osten der Ukraine eingenommen. Der weitläufige Komplex der Koks- und Chemiefabrik sei unter vollständiger Kontrolle, berichteten russische Nachrichtenagenturen am 19. Februar.

19.02.2024

Nach der Eroberung von Awdijiwka lässt Wladimir Putin seine Truppen weiter nach Westen vorrücken. Auch in Robotyne sind die Russen auf dem Vormarsch. Kiew feiert derweil kleine Erfolge mit Drohnen- und Himars-Schlägen.

Von Philipp Dahm

21.2.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Bilanz: Die Eroberung von Awdijiwka hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin 30 Prozent mehr Verluste pro Quadratmeter gekostet als noch bei Bachmut.
  • Kiews Truppen ziehen sich nach Westen zurück, doch die russische Armee legt nach und es fehlt an Deckung und Defensivstellungen.
  • Weiter südlich sollen Moskaus Männer von Marjinka aus den Weg nach Wuhledar ebnen.
  • Ein Himars-Angriff auf versammelte Soldaten und ein Drohnenschlag auf eine Lagerhalle sorgen in Russland für Aufregung.
  • Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu meldet die Einnahme des Brückenkopfes in Krynky, doch die eigenen Leute widersprechen.

Der Fall von Awdijiwka hat sich abgezeichnet. Doch der Preis, den Russland für die Eroberung zahlt, ist hoch. «Alles gef*****», sagt ein filmender Russe, als er durch die Stadt fährt, die in Trümmern liegt. Überall sind Leichen zu sehen. Die Armee hat zum zweiten Mal einen Bradley-Schützenpanzer erbeutet, der abtransportiert wird. «Alles ist zerstört», sagt der Soldat.

Die ukrainische Seite schätzt, dass in der Schlacht um Awdijiwka zwischen dem 3. Oktober und dem 17. Februar mehr als 47'000 Russen verletzt oder getötet worden sind. 364 Panzer, 748 gepanzerte Fahrzeuge, 248 Artilleriesysteme und fünf Flugzeuge sollen zerstört worden sein.

Awdijiwka ist nur halb so gross wie Bachmut – und ist doppelt so schnell gefallen. In Bachmut sollen rund 80'000 Soldaten gefallen sein. Das heisst, dass die russische Armee in Awdijiwka mit 47'000 Mann Verlust pro Quadratmeter rund 30 Prozent mehr Leute verheizt hat, rechnet Reporting from Ukraine vor.

Was nach Awdijiwka kommt

Doch auch die Regierung in Kiew hat Grund, zu klagen: Beim Rückzug sollen 850 bis 1'000 Kämpfer gefangen genommen worden oder verloren gegangen sein, berichtet die «New York Times». Das Militär dementiert diese Zahl. Unbestritten ist, dass der ukrainische Munitionsmangel Russland weiter in die Karten spielt.

Die ukrainischen Streitkräfte wurden ins westliche Hinterland in neue Defensivstellungen verlegt. Die Gegenseite versucht, den Schwung auszunutzen und nachzusetzen. Von Awdijwka aus haben Moskaus Männer zuletzt die Siedlung Lastochkyne attackiert – siehe obige Karte. Dabei wurden aber offenbar Verluste eingefahren.

Gut zur Verteidigung eignet sich das flache Terrain westlich von Awdijiwka aber nicht, wenn es keine Bunker gibt. «Sie haben keine zweite Linie, hinter die sie sich zurückziehen können», erklärt Russland-Experte Michael Kofman der «New York Times». «Viel hängt davon ab, ob die russischen Kräfte weiter Druck machen können oder das Momentum verlieren.»

Drohnenerfolg südöstlich von Wuhledar

26 Kilometer weiter südlich liegt Marjinka. Wie Awdijiwka liegt diese Stadt schon seit 2014 an der Frontlinie – und auch sie wurde inzwischen vollständig erobert. Marjinka und das acht Kilometer südlich gelegene Nowomychajliwka sind für den Kreml wichtig, um endlich auch Wuhledar zu erobern.

Über Marjinka und Nowomychajliwka will die russische Armee in den Norden von Wuhledar kommen.
Über Marjinka und Nowomychajliwka will die russische Armee in den Norden von Wuhledar kommen.
Karte: MilitaryLand

An Wuhledar beisst sich die russische Armee immer wieder die Zähne aus, wenn sie die Stadt von Süden aus angreift. Die Eroberung von Marjinka soll den Grundstein für Attacken aus dem Norden legen. Wuhledar ist bedeutend, weil der Ort zu nah an der russischen Eisenbahnlinie liegt, die nach Saporischschja und auf die Krim führt und wichtig für den Nachschub ist.

Gebremst wird der russische Vormarsch in der Region von ukrainischen Drohnenpiloten: In Staromlyniwka, das 30 Kilometer westlich von Wuhledar liegt, finden sie eine Lagerhalle, fliegen hinein und zerstören bei mehreren Angriffen das Gebäude inklusive Lastwagen, Munition und eines raren Schützenpanzers BMPT Terminator.

Soldaten im offenen Feld versammelt – 65 Tote 

Für Empörung in Russland sorgt eine ukrainische Attacke auf Trudivske, das 34 Kilometer südöstlich von Wuhledar liegt. Dort hatten sich Soldaten aufgereiht, als Kiews Himars-Artillerie mit Streumunition zuschlug: Dass mindestens 65 Personen sterben mussten, weil sie im offenen Gelände standen, macht russische Militärblogger wütend.

Ein weiterer Schwerpunkt der russischen Armee liegt nun auf Robotyne im Süden der Ukraine: Sie will die Gebiete, die die Ukraine mühsam im Herbst gewonnen hat, zurückerobern. Zehntausende Soldaten wurden angeblich zusammengezogen, die sich zäh nach Robotyne vorkämpfen.

Laut Verteidigungsminister Sergei Schoigu haben seine Leute sogar den ukrainischen Brückenkopf am linken, östlichen Dnipro-Ufer ausradieren können. Doch nicht nur das ukrainische Militär, sondern sogar die eigenen Militärblogger dementieren das. Es gibt zwar ein Video, in dem Russen ihre Fahne bei einem Haus in Krynky hissen, doch weil sie anschliessend weglaufen, ist klar, dass es dort noch gegnerisch Kräfte gibt.