Wahlprognose des Experten «Putin wird mindestens 80 Prozent bekommen»

Von Philipp Dahm

25.2.2024

Wladimir Putin hinterlässt am 22. Februar beim Besuch des Zentrums für kulturelle Entwicklung im russischen Ziwilsk ein Autogramm.
Wladimir Putin hinterlässt am 22. Februar beim Besuch des Zentrums für kulturelle Entwicklung im russischen Ziwilsk ein Autogramm.
AP

Vom 15. bis zum 17. März gibt es Präsidentschaftswahlen: Russland-Kenner Ulrich Schmid erklärt, welche Opposition es noch gibt, welches Ergebnis Wladimir Putin einfährt und was Alexej Nawalnys Tod damit zu tun hat.

Von Philipp Dahm

25.2.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Russland-Kenner Ulrich Schmid erklärt mit Blick auf die Tragweite des Ukraine-Krieges für den Wahlkampf, dass es in Russland keine Innenpolitik mehr gibt.
  • Es habe nur einen annähernd oppositionellen Kandidaten gegeben, doch weil der Kreml «auf Nummer sicher» gehe, wurde Boris Nadeschdin ausgeschlossen.
  • Schmid prognostiziert eine Wahlbeteiligung von mindestens 70 Prozent und mindestens 80 Prozent Zustimmung für Putin, wenn vom 15. bis 17. März gewählt wird.
  • Schmid glaubt nicht daran, dass es ein Zufall ist, dass Alexey Nawalny im Vorfeld der Wahlen gestorben ist.
Zur Person
IHK SG

Ulrich Schmid ist Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen mit den Schwerpunkten russische Medientheorien und Nationalismus in Osteuropa. Der Zürcher lehrte oder lehrt an den Universitäten Bern, Basel, Bochum und Oslo.

Geht Wladimir Putins Kalkül auf, mit militärischen Erfolgen in der Ukraine bessere Bedingungen für die Präsidentschaftswahl im März zu schaffen?

Man kann es so formulieren: Es gibt in Russland keine Innenpolitik mehr. Die Oppositionellen sind entweder im Gefängnis, im Ausland oder tot. Deswegen muss Putin auch kaum Wahlkampf führen. Wir sollten dabei aber keine westlichen demokratischen Kategorien auf Russland anwenden: Es geht ja bei diesen Präsidentschaftswahlen nicht darum, einen Kandidaten in ein Amt zu wählen.

Sondern?

Es geht darum, vorzuführen, dass Putin gewissermassen die Verkörperung des geeinten russischen Volkswillens ist, und da hat es gar keinen Platz für unterschiedliche Ansichten. Putin versteht sich als Vollstrecker einer historischen Mission, die demokratisch gar nicht verhandelt werden kann oder soll.

Wladimir Putin (rechts) setzt sich ins Bild, bevor er am 22. Februar in Kasan einen Interkontinental-Bomber vom Typ Tu-160M besteigt und sich beim Fliegen fotografieren lässt.
Wladimir Putin (rechts) setzt sich ins Bild, bevor er am 22. Februar in Kasan einen Interkontinental-Bomber vom Typ Tu-160M besteigt und sich beim Fliegen fotografieren lässt.
EPA

Es gibt also keine Opposition?

Der einzige Kandidat, der entfernt wie ein Oppositioneller ausgesehen hat, war Boris Nadeschdin. Er ist unter fadenscheinigem Vorwand nicht zur Wahl zugelassen worden, obwohl er spielend seine 100'000 Unterschriften für die Registrierung als Kandidat gesammelt hat. Die Regeln besagen, dass höchstens 5 Prozent der Unterschriften ungültig sein dürfen. Ihm hat man jetzt vorgeworfen, er habe 15 Prozent ungültige Unterschriften. Aber das ist natürlich nur ein formaler Vorwand, um ihn von den Wahlen auszuschliessen.

Ist es für Putin undenkbar, Gegenkandidaten zuzulassen?

Jetzt ist klar, dass der Kreml auf Nummer sicher geht, aber es gab ein Szenario, das Beobachter für möglich hielten: Boris Nadeschdins einziger Programmpunkt war seine Ablehnung des Kriegs. Nadeschdin – der Name bedeutet pikanterweise auch «Hoffnung» – wäre in diesem Szenario des Kremls bei der Präsidentschaftswahl auf 1,5 Prozent der Stimmen gekommen.

Boris Nadeschdin erscheint am 15. Februar vor dem Obersten Gericht in Moskau, wo er ein Einspruch gegen seinen Wahlausschluss eingelegt hat.
Boris Nadeschdin erscheint am 15. Februar vor dem Obersten Gericht in Moskau, wo er ein Einspruch gegen seinen Wahlausschluss eingelegt hat.
EPA

Und Putin?

Putin – und ich denke, das gilt nach wie vor – wird mindestens 80 Prozent der Stimmen bekommen. In diesem Szenario hätte der Kreml gewissermassen einen offiziellen Ausweis gegenüber dem Volk gehabt: «Schaut, 80 Prozent stehen hinter Putins Kurs und nur 1,5 Prozent stellt sich gegen die militärische Spezialoperation.»

Sie wirken sehr sicher bei Ihrer Putin-Prognose.

Diese Zahl ist relativ einfach abzuleiten: Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2018, bei denen übrigens Alexej Nawalny als Kandidat geblockt wurde, hat Putin 76 Prozent der Stimmen bei 67 Prozent Wahlbeteiligung bekommen. Jetzt, da «die Heimat in Gefahr ist», muss die Mobilisierung natürlich grösser sein. Zwischen 15. und 17. März werden wir ein Resultat bekommen, das eine Wahlbeteiligung von 70 Prozent und mindestens 80 Prozent Zustimmung für Putin ausweisen wird.

Gedenken an Alexej Nawalny bei einem Monument in Litauen, das an die Grauen der Sowjetzeit erinnert, am 17. Februar.
Gedenken an Alexej Nawalny bei einem Monument in Litauen, das an die Grauen der Sowjetzeit erinnert, am 17. Februar.
AP

Steht der Tod Alexej Nawalnys im Zusammenhang mit der Wahl?

Ich vermute hier die Fortsetzung der sowjetischen Gewaltstrategie. Die Bolschewiki haben im Sommer 1918 die Romanow-Familie hingerichtet – also sowohl den Zaren als auch seine Thronfolger. So sollte dem Gegner jede Hoffnung auf die Verwirklichung seiner Pläne genommen werden. Ich denke, es ist kein Zufall, dass Nawalny im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen gestorben ist. Mit Nawalny will man ähnlich wie bei Nadeschdins Ausschluss allen oppositionell gesinnten Bürgerinnen und Bürgern die letzte Hoffnung nehmen.

Mehr Videos zum Thema

Ein Kriegsjahr zum Vergessen

Ein Kriegsjahr zum Vergessen

Wie fühlt sich die Ukraine am zweiten Jahrestag des russischen Überfalls? Wie ist das zweite Kriegsjahr verlaufen – und wie sind die Aussichten für die nächsten zwölf Monate? Der Versuch einer Einordnung.

23.02.2024