Wahlkampf in Russland Putins Botschaft ans Volk: «Ohne mich zerfällt alles»

Von Friedemann Kohler, dpa

16.3.2018

Wohin steuert das grösste Land der Erde? Bei der Wahl in Russland wird Wladimir Putin noch einmal Präsident werden. Doch sein Land ist auf Konfliktkurs zum Westen, und der 65-Jährige geht in den Spätherbst seiner Herrschaft.

Im Schatten schwerer Konflikte mit dem Westen geht Russland an diesem Sonntag in seine Präsidentenwahl. Der wachsende Druck von aussen mag Zufall sein - der Ärger der Briten wegen des Giftanschlags auf einen Ex-Agenten, neue Sanktionen der USA. Doch er passt zum Ton, den Kremlchef Wladimir Putin selbst vor seiner allseits erwarteten Wiederwahl angeschlagen hat. Seit 18 Jahren beherrscht er das grösste Land der Erde und steuert weitere sechs Jahre im Kreml an.

Putin (65) gab vor der Wahl nicht den Reformer, auch wenn er in seiner Jahresbotschaft Anfang März soziale Wohltaten und einen wirtschaftlichen Aufbruch versprach. Er liess vor allem die Muskeln spielen und berichtete von neuen Atomwaffen. Nach aussen sandte er ein beunruhigendes Signal: Russland fühlt sich bedroht, für die nächsten Jahre wird das Verhältnis konfliktträchtig bleiben. Das Signal nach innen: In der Not muss sich das Volk um den Oberbefehlshaber scharen.

Putins Eingreifen in Syrien ist Russland wenig beliebt

Dabei ist die Einstellung der Russen zu ihrem Langzeitpräsidenten vielschichtig. Die vom Westen als Völkerrechtsbruch verurteilte Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 hat seine Popularität hochgetrieben. Die Wahl ist auf den symbolträchtigen vierten Jahrestag des Anschlusses gelegt worden. Weniger beliebt ist das Eingreifen in Syrien. Russland modernisiert sich in den grossen Städten. Doch die fetten Jahre zu Anfang seiner Regierung, getragen vom hohen Ölpreis, sind vorbei. Die Wirtschaft ist über Jahre geschrumpft und hat erst 2017 wieder ein kleines Wachstum erreicht.

Hohe Ausgaben für Rüstung und Sicherheit sind zulasten von Bildung und Gesundheitswesen gegangen. Vier Jahre in Folge haben die mehr als 140 Millionen Russen real immer weniger im Geldbeutel gehabt. Der Ärger über Korruption, über Behördenwillkür und Ungerechtigkeit ist gross. Aber die Kritik richtet sich gegen die Regierung, gegen Beamte und Polizisten, gegen Oligarchen - nicht gegen den Präsidenten.

Russen sind von Putins Unersetzlichkeit überzeugt

Putin hat viele Russen von seiner Unersetzlichkeit überzeugt. «Die Hauptbotschaft von Wladimir Wladimirowitsch ist ziemlich einfach: Ohne mich zerfällt alles! Deshalb lasst uns die Stabilität wahren und nichts ändern!», sagt der Politologe Nikita Issajew.

Doch selbst auf diesem Polster ist es nicht einfach, einen Wahlsieg zu organisieren, der überzeugend wirkt. Sorgen bereitet dem Kreml die Unlust der Wähler. 2012 nahmen offiziell 65,2 Prozent der Wähler teil, und Putin siegte mit 63,6 Prozent der Stimmen. Der Wähler wird nicht nur mit Konzerten in die Wahllokale gelockt oder mit der Verlosung von Smartphones. Es gibt Hinweise, dass Druck ausgeübt wird auf Firmenbelegschaften, auf Studenten oder Soldaten, zur Wahl zu gehen und für Putin zu stimmen.

Zugleich stiessen die Organisatoren auf eine neue Art der Opposition, vor allem unter jungen Leuten. Der Anti-Korruptions-Aktivist Alexej Nawalny (41) hat schon mehrfach landesweite Demonstrationen organisiert. Auch wenn er keine Chance auf einen Sieg hätte, hat der Kreml nicht riskiert, Nawalny als Kandidaten zuzulassen. Stattdessen wurde er mit einer juristisch fragwürdigen Vorstrafe ferngehalten.

Nawalny ruft deshalb zu einem Boykott der Wahl auf, um zu zeigen, dass die Unterstützung für Putin niedrig ist. Darauf reagierten die Behörden empfindlich. Sie haben Oppositionelle seit Wochen mit Durchsuchungen, Festnahmen und Arreststrafen überzogen.

Gegenkandidaturen sind chancenlos

Die sieben zugelassenen Gegenkandidaten wie der Rechtsaussen Wladimir Schirinowski oder der altgediente Liberale Grigori Jawlinski agierten im gesteckten Rahmen. Die staatlichen Medien strichen heraus, wie zwergenhaft tief sie unter dem Amtsinhaber stehen. Höhepunkt ihrer Fernsehdebatte war, dass Schirinowski die Bewerberin Xenia Sobtschak beleidigte, und die ihn mit einem Glas Wasser überschüttete.

Trotzdem sind die Gegenkandidaturen nicht sinnlos. Es geht um Politkapital für die Zukunft. Der TV-Star Sobtschak sprach im Wahlkampf Dinge aus, die in Russland sonst tabu sind. Sie nannte die Übergriffe auf die Ukraine ein Unrecht. Vielleicht wird die 36-Jährige tatsächlich Politikerin für eine Zeit nach Putin.

Mit dem kommunistischen Bewerber Pawel Grudinin (57) manövrierte sich die Staatsmacht in eine Zwickmühle. Der Chef eines grossen Erdbeerhofs nahe Moskau hat Konten in der Schweiz verschwiegen, eigentlich ein Ausschlussgrund. Doch ein Rauswurf hätte die kommunistische Wählerschaft verprellt und die Beteiligung gedrückt.

Über allem schwebt der Eindruck, dass Putins Regierung mit dem 18. März in ihre Spätphase eintritt. Seine autoritäre Herrschaft habe «das Stadium der Reife erreicht», schreibt der Experte Andrej Kolesnikow vom Moskauer Carnegie-Zentrum. «Doch mit 2018 hat der Übergang ins Stadium des Verfalls begonnen.»

Nach der Verfassung geht Putin in seine letzte Amtszeit. An deren Ende 2024 wird er 71 Jahre alt sein. Doch die Kämpfe in der russischen Elite um seine Nachfolge dürften schon früher ausbrechen. Oder Putin bleibt noch länger an der Macht, aber auch das wird nicht ohne Spannungen in der Gesellschaft ablaufen. Das Hauptproblem für Russland, so schrieb der Jurist Ilja Schablinski in der Zeitung «Nesawissimaja Gaseta», ist «die fehlende Veränderbarkeit der Macht».

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