Schweizer Regisseur in Kiew«Putins Krieg ist auch ein Angriff auf das, woran ich glaube»
Von Lia Pescatore
22.8.2022
Schweizer Regisseur in Kiew: «Putins Krieg ist auch ein Angriff auf das, woran ich glaube»
Während in anderen Teilen des Landes der Krieg tobt, findet in Kiew die Schweizer Filmwoche statt. Gezeigt wird auch der neuste Film von Regisseur Marc Raymond Wilkins.
18.08.2022
Während in anderen Teilen des Landes der Krieg tobt, findet in Kiew die Schweizer Filmwoche statt. Gezeigt wird auch der neuste Film von Regisseur Marc Raymond Wilkins.
Von Lia Pescatore
22.08.2022, 06:55
22.08.2022, 07:27
Lia Pescatore
In Kiew kehrt langsam der Alltag zurück, während in anderen Teilen des Landes gekämpft wird. Cafés werden eröffnet, Spitäler wieder aufgebaut und Filme geschaut. Am Samstag fand die dezimierte Schweizer Filmwoche statt – gezeigt wurde der Film «The Saint of the Impossible», in Anwesenheit des Regisseurs Marc Raymond Wilkins, der Kiew seit 2016 seine Heimat nennt.
Nachdem er und seine Frau nach Kriegsbeginn nach Berlin geflüchtet waren, kehrten sie bereits nach drei Tagen in die Ukraine zurück. Beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Menschen, begann Wilkins unter dem Titel «u4ukraine» die individuellen Hilfsaktionen zu dokumentieren und dabei Geld für ihre Projekte zu sammeln.
Im Interview spricht der Filmemacher über seine persönliche Verteidigungsstrategie und das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Ukraine.
Herr Wilkins, am Samstag wurde Ihr Film «The Saint of the Impossible» in Kiew gezeigt. Wie haben Sie die Premiere erlebt?
Es ist ein grosses Glückgefühl gewesen, diesen Film endlich in Kiew zeigen zu können. Der Film hat ja ganz lange kein Publikum gefunden und ist wegen der Pandemie und dann wegen des Kriegs in der Schublade verschwunden. Jetzt den Film zum ersten Mal meinen Freunden und meiner Community zeigen zu können, war wahnsinnig schön und wichtig für mich.
War das Erlebnis nicht surreal, im Kino zu sitzen, während im Land noch Krieg herrscht?
Infotafeln haben uns darauf hingewiesen, dass man bei einem Bombenalarm in den Keller muss, das war schon ein wenig absurd. Da habe ich natürlich umso mehr gehofft, dass es keinen Fliegeralarm gibt, damit mein Film nicht unterbrochen wird. (Lacht) Wir sind uns einig, dass wir den Krieg nicht ignorieren, aber uns auch das Leben nicht verderben lassen wollen. Ich kann nur Widerstand und anderen Hilfe leisten, wenn ich auch mir selbst Sorge trage. Ich gehe weiterhin mit Freunden ins Café, arbeite an meinem nächsten Filmprojekt, höre Musik, dadurch bin ich auch widerstandsstärker und kann auch besser unterstützen. Hier ist jeder involviert in Hilfs- und Verteidigungsprojekten.
Ihre Frau und Sie sind zu Kriegsbeginn nach Berlin geflüchtet, warum sind Sie zurückgekehrt?
Nach drei Tagen in Berlin haben wir festgestellt, dass es einfacher ist, hier zu sein an dem Ort, den wir gernhaben, anstatt im Ausland nur die Nachrichten lesen zu können. Das macht einen viel angespannter.
Gäbe es einen Grund, warum Sie das Land nochmals verlassen würden?
Ich werde Vater, meine Frau und ich erwarten im Dezember unser erstes Kind. Wir haben uns ganz bewusst entschieden, dass das Kind in Kiew auf die Welt kommen soll, wenn Kiew weiterhin so bleibt. Wenn die Front näherrückt, dann gehen wir natürlich in die Schweiz.
«Kiew ist nicht eine Stadt, die ich nur wegen meines Jobs gewählt habe, sondern meine Wahlheimat.»
Was macht Kiew für Sie so besonders?
Kiew ist nicht eine Stadt, die ich nur wegen meines Jobs gewählt habe, sondern meine Wahlheimat. Ich bin sehr bewusst hierhergezogen, weil die Stadt mich fasziniert und die Menschen hier inspirieren und ich sie sehr gernhabe. Eine Wahlheimat kann man nicht einfach verlassen. Vor allem nicht, wenn es so offensichtlich ist, warum die Wahlheimat in Gefahr ist. Putin ist genau dieses freiheitliche, kulturelle und demokratische Leben, das ich so schätze, ein Dorn im Auge. Sein Angriffskrieg ist für mich darum auch ein persönlicher Angriff auf das, woran ich glaube.
Welche Rolle spielt denn die Kunst in der Verteidigung?
Die Kunst ist eigentlich das Herz einer Kultur und damit auch der Gesellschaft und Gemeinschaft. Der Grund, dass ein Land besteht, ist die Kultur. Darum ist wichtig, dass die Kultur auch während des Kriegs weiterlebt, dass man Filme dreht, Musik hört, sich Geschichten erzählt, als Teil des Widerstands. Eigentlich ist unsere Präsenz hier allein schon Verteidigung. Mit unserer Gegenwart halten wir die Stadt am Leben, indem ich zum Beispiel Zmittag gegessen habe bei einer kleinen Grillbude, die mein Freund betreibt, die Steuern und Stromrechnung zahle, mit der U-Bahn fahre.
Sie nannten sich selbst einmal Pazifist, haben aber auch schon einen Image-Film für die ukrainische Armee produziert. Wie geht das zusammen?
Ich würde gern jeden Pazifisten fragen, ob er auch gegen die Polizei ist, dass einem einer hilft, wenn man ausgeraubt wird oder bedroht wird. Eine Gemeinschaft braucht Regeln, die sie selbst setzt, die dann aber auch durchgesetzt werden müssen. Dafür braucht es die Polizei und auf internationaler Ebene die Armee. Natürlich hätte ich lieber Frieden. Aber ich glaube an ein Recht, dass man sich verteidigen darf, wenn man angegriffen wird. Wenn man mit Waffen angegriffen wird, kann man sich halt nicht Blumen verteidigen.
«Was die politische Ebene anbelangt, stellt die deutsche Zögerlichkeit die schweizerische in den Schatten.»
Hat sich auch Ihr Verhältnis zur Armee verändert?
Für mich stand die Armee immer im Widerspruch zum Kreativen, Künstlerischen und Liberalen. Das Militär hielt ich für konservativ, tot und starr. Das Bild hat sich in der Ukraine aber komplett aufgelöst. Hier schützt das Militär die kreative, neugierige Kulturszene. Es sind auch viele Kreative selbst im Militär, auch die Gay-Community ist repräsentiert. Es gibt ein virtuelles LGBTQ-Bataillon, mit einem speziellen Einhorn-Abzeichen. Das ist für die Ukraine ehrlich gesagt revolutionär, zumal das Land noch mit Homophobie zu kämpfen hat.
Nochmals zurück zur Filmpremiere: Diese fand anlässlich einer Schweizer Filmwoche statt. Wie wird die Schweiz denn in der Ukraine wahrgenommen?
Die Ukrainer*innen haben einen freundschaftlichen Blick auf die Schweiz, man wertschätzt, wie sich die Schweizer Zivilgesellschaft den ukrainischen Flüchtlingen annimmt und auch Hilfsgüter schickt. Was die politische Ebene anbelangt, stellt die deutsche Zögerlichkeit die schweizerische in den Schatten. Wenn man sich ärgert über mangelnde Unterstützung, dann schaut man eher nach Deutschland als auf die Schweiz. Natürlich gibt es Momente, als die Schweiz zum Beispiel Waffenlieferungen blockierte oder ukrainischen Soldaten den Zugang zu ihren Spitälern verweigerte, wo man sich gewundert hat, aber im grossen Ganzen fühlt man sich unterstützt.