AKWs im VisierPutin «spielt mit dem Feuer» – auch vor der Haustür der EU
Von Philipp Dahm
21.11.2022
AKW Saporischschja unter Beschuss – «Spiel mit dem Feuer»
Russland und die Ukraine beschuldigten sich gegenseitig für den Angriff. IAEA-Chef Grossi sagte: «Wer auch immer dahinter steckt, muss sofort aufhören!»
20.11.2022
Das AKW Saporischschja wird gezielt beschossen, sagt die Internationale Atomenergiebehörde, die heute die Schäden dokumentieren will. Zugleich warnt Kiew vor russischer Sabotage an einem Kraftwerk in Belarus nahe der EU-Grenze.
Von Philipp Dahm
21.11.2022, 11:31
21.11.2022, 12:01
Philipp Dahm
Die Einschläge kommen näher. Schon wieder. Erst Anfang November zerstörten in Saporischschja Artilleriegranaten Hochspannungsleitungen, die Verbindung zum Stromnetz riss und Diesel-Generatoren mussten einspringen, um die Kühlung des Atomkraftwerks zu gewährleisten.
Als das Problem behoben war, kehrte eine Periode relativer Ruhe ein – die am 19. November geendet hat. Auch am Sonntag, 20. November, gibt es in der Umgebung des AKWs Explosionen, für die sich die Kriegsparteien gegenseitig verantwortlich machen.
UPDATE: Since this morning, shelling at the site of Ukraine’s #Zaporizhzhya Nuclear Power Plant (#ZNPP) has stopped. There has been damage to parts of the site, but no radiation release or loss of power. IAEA experts will conduct an assessment tomorrow. https://t.co/lvIQk7gaorhttps://t.co/Ja3CbHPgJ9
— IAEA - International Atomic Energy Agency ⚛️ (@iaeaorg) November 20, 2022
Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) findet klare Worte: «Wer auch immer dahintersteckt: Es muss umgehend aufhören», verlangt Rafael Grossi. «Wie ich schon oft gesagt habe: Ihr spielt mit dem Feuer!» Die IAEA-Experten haben laut Grossi die Explosionen von ihren Fenstern aus gesehen.
«Terroranschläge geplant»
Sie wollen heute in dem von Russen besetzten Kraftwerk die Schäden dokumentieren. Klar sei, dass der Beschuss kein Zufall sei: «Die Leute, die das tun, wissen, was sie treffen. Es wird absolut bewusst gezielt», legt Grossi im französischen TV nach. Dieser «Wahnsinn» müsse aufhören.
Dass Grossi Gehör findet, muss bezweifelt werden. Seine Behörde fordert seit Langem, das Gebiet um das AKW zu entmilitarisieren, doch die IAEA stösst auf taube Ohren. Russland nutzt an dem Frontabschnitt die geografische Lage aus: Von der östlichen Seite des Dnepr nimmt Moskaus Artillerie in der Nacht sechs Mal Nikopol ins Visier, das auf der anderen Seite des Flusses liegt, melden ukrainische Streitkräfte.
Und das AKW Saporischschja ist nicht das einzige Kraftwerk, um das man sich sorgen muss: Der ukrainische Geheimdienst warnt, dass russische Agenten Atommeiler in Belarus sabotieren könnten, um die Schuld dann Kiew in die Schuhe zu schieben. Demnach sei «eine Reihe von Terroranschlägen bei kritischen Infrastruktureinrichtungen in Belarus geplant».
«Zwischenfall» an der EU-Grenze
Die «angeblichen ‹Zwischenfälle›» sollen demnach im Grenzgebiet zwischen Belarus und der EU stattfinden. Konkret gehe es um das Atomkraftwerk Belarus in Astrawez, das nur 45 Kilometer von der litauischen Hauptstadt Vilnius entfernt liegt. Die beiden Meiler sind erst seit November 2020 in Betrieb.
Laut ukrainischem Geheimdienst arbeiten russische Spezialeinheiten an dem «Projekt»: Ukrainische und NATO-Kräfte sollen beschuldigt werden, sich mit weissrussischen Militäruniformen in die Anlage einzuschleichen. Durch die Sabotage soll auch ein Kriegseintritt von Belarus forciert werden, heisst es weiter. Der weissrussische Geheimdienst sei in die Aktion eingeweiht.
Das Kraftwerk Belarus sei mit russischem Geld gebaut worden, wobei es «grobe Verstösse gegen technische und ökologische Standards» gegeben habe. Es habe in der kurzen Laufzeit bereits mehrere schwere Unfälle gegeben. Das AKW ist auch der EU ein Dorn im Auge, die den Betrieb mehrfach kritisiert hat.