Wer nicht spurt, fängt eine Kugel Russen treiben eigene Soldaten ins MG-Feuer und in Minenfelder

phi

11.8.2023

Ein Ukrainer bereitet im Oblast Donezk ein Maschinengewehr vor: Russen sollten ohne Waffen eine Festung in einem Waldstück stürmen, die mit vier MGs und einem Mörser geschützt war. Zuvor mussten sie 50 Meter durch ein freies Feld stürmen, das vermint war.
Ein Ukrainer bereitet im Oblast Donezk ein Maschinengewehr vor: Russen sollten ohne Waffen eine Festung in einem Waldstück stürmen, die mit vier MGs und einem Mörser geschützt war. Zuvor mussten sie 50 Meter durch ein freies Feld stürmen, das vermint war.
Keystone

Russische Soldaten wenden sich an die Öffentlichkeit: Die einen beklagen im Video hohe Verluste und «unterirdische Moral», die anderen äussern sich auf Telegram – und berichten von einer grausamen Minen-Praxis.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In Tonaufnahmen berichten russische Soldaten, wie ihr Vorgesetzter sie auf ein Himmelfahrtskommando geschickt hat.
  • Sie sollten ohne Waffen und Unterstützung durch ein Minenfeld hindurch eine schwer befestigte Stellung angreifen.
  • Wer sich weigerte, bekam vom Kommdandeur persönlich eine Kugel ins Bein.
  • Von 100 Soldaten hätten nur 24 überlebt, die nun inhaftiert worden sind.
  • Sie sollen in eine FSB-Einrichtung für Deserteure im Oblast Donezk gebracht worden sein.
  • Andere Russen wenden sich per Video ans Komitee der Soldatenmütter und erbitten Hilfe, weil sie ohne Training und Ausrüstung an die vorderste Front geschickt wurden.

Der Telegram-Kanal ASTRA wird von unabhängigen russischen Journalisten betrieben, die sich der staatlichen Zensur entziehen. Es ist also kein Wunder, dass Angehörige von Mitgliedern des russischen Militärs diesen Leuten Tonaufnahmen von Gesprächen zur Verfügung stellen, die sie mit Russen von der Front geführt haben.

Was diese Menschen zu berichten haben, ist schlichtweg grausam. Es handelt sich um Soldaten des 15. Garde-Mot-Schützenregiments, das sein Hauptquartier in Kalininez im Oblast Moskau hat. Ihre Einheit ist in der Ukraine sehenden Auges aufgerieben worden.

«Wir sind gezwungen worden, den sogenannten ‹Usyos›, ein Waldstück, zu nehmen», wird in der Tonaufnahme berichtet. Der Kommandeur, der den Kampfnamen Utyos trägt, hat demnach die Männer in ein Minenfeld geschickt. «Warum wurden wir dorthin getrieben? Weil die Bosse bereits gemeldet hatten, dass sie schon alles eingenommen haben.»

Kommandant schiesst Verweigerern persönlich ins Bein

Ihr Ziel ist eine ukrainische Festung in dem Waldstück, die von vier MG- und einer Mörser-Stellung gedeckt wird. Zusammen mit der Deckung durch Bäume und Minen ist das ein Himmelfahrtskommando für die Russen. Doch kneifen gilt nicht: «Diejenigen, die sich weigerten, schoss Utyos persönlich in die Beine.»

Die Angreifer haben keine Chance. «Im Verlaufe des Gefechts kamen auch Panzer.» Es erwischt die Russen entweder in dem 50 Meter weiten Minenfeld in offenem Gelände oder in dem Waldstück. Von den 100 Männern werden 76 verletzt oder getötet, berichtet die Stimme. 

Waffen hätten die Männer nicht bekommen, heisst es weiter. Wo genau die Soldaten aufgerieben werden, ist unklar. Möglicherweise fand das Ganze im Oblast Luhansk statt. Die Zeugen reden nicht gern über das, was passiert ist: «Als wir diese Tonaufnahmen gemacht haben, hatten sie  Angst, in den Keller in Sajzewe gesteckt zu werden», sagt ein Verwandter eines der Militärs gegenüber ASTRA.

FSB-Folterkammer für Deserteure

Inzwischen ist der Kontakt zu den Leuten abgebrochen, schreibt ASTRA weiter. Bei dem besagten Keller handelt es sich um eine FSB-Einrichtung für Deserteure und Dienst-Verweigerer, in dem die Inhaftierten gefoltert und misshandelt werden. Der russische Geheimdienst hat sich ausgerechnet im Haus der Kulturen in der Stadt im Oblast Donezk einquartiert.

Inzwischen sei bestätigt, dass sich die 24 Männer in Sajzewe befinden. «Sie wurden geschlagen und bekamen weder Essen noch Wasser«, sage die Schwester eines der Soldaten zu ASTRA.

Dasselbe Schicksal könnte auch dem traurigen Rest blühen, der ein Video auf Telegram verbreitet hat, in dem das Komitee der Soldatenmütter Russlands um Hilfe gebeten wird. In dem Clip beklagen sich russische Rekruten, dass sie ohne jedes Training an die Front gekarrt worden sind: Gerade mal ein Magazin hätten sie abgefeuert, bevor es in die Ukraine ging.

«Die Moral der Truppe ist unterirdisch»

Der Wortführer der sieben Männer nennt sich Leutnant Konstantin Podobaew. Sie kämen aus der Gegend von Moskau und seien in die Hafenstadt Skadowsk am Schwarzen Meer verlegt worden. Dort hätten sie über zehn Monate bloss Gräben ausgehoben und Arbeiten verrichtet, aber sich nicht auf den Krieg vorbereitet.

«Dann wurden wir an die vorderste Front verlegt, wo wir nun seit zwei Wochen sind», erklärt Podobaew. Sie hätten dem Vorgesetzten Generalmajor mit dem Rufnamen Altios erklärt, dass sie weder die Ausbildung noch die Ausrüstung hätten, um seine Aufträge auszuführen. Sie hätten trotzdem kämpfen müssen, sagt der Leutnant.

Es mangele an Artillerie-Unterstützung und Munition: Ihre Einheit habe 40 Prozent an Stärke verloren. Er und die sechs anderen seien die Einzigen, die übrig geblieben seien: «Die Moral der Truppe ist jetzt unterirdisch», sagt Podobaew. Die Handys seien ihnen abgenommen worden, doch er zeichne seine Botschaft dennoch auf. «Ich bitte euch um Hilfe», ruft er den Soldaten-Müttern zu. Ob ihnen noch zu helfen ist, ist unklar.