Kritische Infrastruktur Russland plant Sabotage-Akte in europäischen Gewässern

phi

21.4.2023

Eine Recherche von Journalisten aus Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland deckt auf, wie Russland die Gewässer Nordeuropas ausspioniert, um im Ernstfall Strom-, Daten- und Energie-Leitungen zu sabotieren.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Journalisten aus Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland haben herausgefunden, dass Russland auch zivile Schiffe für Spionage benutzt.
  • Die Schiffe schalten ihr Positionssystem aus, um unerkannt in Ost- und Nordsee zu operieren. Bewaffnete fahren mit.
  • In den letzten zehn Jahren hat es mindestens 50 auffällige Fahrten gegeben.
  • Geheimdienste und Experten sind sich sicher, dass Russland kritische Infrastruktur kartiert und entsprechende Sabotageakte für den Ernstfall vorbereitet.

Eigentlich ist die 1975 in Stettin gebaute Admiral Vladimirsky ein Forschungsschiff, doch dieser Tage untersucht das 146 Meter lange Boot die Gewässer in Nordeuropa nicht im Auftrag der Wissenschaft.

Mehrere Wochen war die Admiral Vladimirsky in der Ostsee unterwegs, ohne ihr Positionierungssystem AIS einzuschalten, das wie ein Transponder bei Flugzeugen funktioniert. Dafür sendet das Schiff Funksprüche an eine russische Marinebasis.

Die Admiral Vladimirsky (Zweite von links) 2010 in Kronstadt.
Die Admiral Vladimirsky (Zweite von links) 2010 in Kronstadt.
Commons/A.Savin

Es sind diese Funksprüche, die Journalisten von Danmarks Radio (DR) auf die Spur des Kahns bringen. Sie entdecken ihn in der Ostsee, wenige Kilometer vor der Insel Själland. Als sich das Schlauchboot mit einem Journalisten und einem Fotografen nähert, erscheinen vermummte Männer an Deck.

Einer von ihnen hat eine Schutzweste an und ein Sturmgewehr im Arm. Die Männer filmen das Schlauchboot: Eine Forschungsreise ist das offenbar nicht.

Erwischt: Die Admiral Vladimirsky spioniert die europäische Infrastruktur am Meeresboden aus.
Erwischt: Die Admiral Vladimirsky spioniert die europäische Infrastruktur am Meeresboden aus.
Commons/Mil.ru

Tatsächlich ergeben Recherchen der Dänen und ihrer Kollegen aus Norwegen (Norsk rikskringkasting), Schweden (Sveriges Television) und Finnland (Yleisradio), dass das russische Schiff schon seit Wochen heimlich durch europäische Gewässer schippert.

«Das Schiff war auf einer Mission»

Die Admiral Vladimirsky ist durch die Ostsee, den Grossen Belt und Kattegat in die Nordsee gefahren – und hat stets bei Offshore-Windparks Halt gemacht. Geheimdienste und Experten sind sich sicher: Die Russische Föderation lotet mit militärischen und zivilen Schiffen Ziele aus, die im Falle eines Konflikts mit der Nato angegriffen werden.

Links die Admiral Vladimirsky.
Links die Admiral Vladimirsky.
Commons/lex ‹Florstein› Fedorov

Die Admiral Vladimirsky hat wahrscheinlich in der Nähe der Offshore-Windparks Stromkabel auf dem Meeresboden kartiert, sagt der Marine-Experte H.I. Sutton zu DR. «Es wird Bündel von Kabeln geben, bei denen eine Bombe den gesamten Windpark zerstören kann», erklärt er.

Der Oberleutnant und Militäranalyst Jens Wenzel Kristoffersen von der Universität Kopenhagen bestätigt die Einschätzung: «Das Schiff war auf einer Mission, um zu kartieren, was es dort draussen Neues gibt und ob sich seit dem letzten Mal etwas verändert hat, um herauszufinden, wie man die Windparks am besten anfahren kann.»

«Sie wissen, wo sie zuschlagen müssen»

Anders Henriksen, Leiter der Spionageabwehr beim dänischen Sicherheits- und Nachrichtendienst (PET), ist über derlei Aktionen im Bilde: «Im Falle eines Konflikts mit dem Westen sind [die Russen] bereit und wissen, wo sie zuschlagen müssen, wenn sie die dänische Gesellschaft lahmlegen wollen.»

«Es handelt sich um eine strategische Fähigkeit für Russland, die als sehr wichtig angesehen und direkt von Moskau aus gesteuert wird», ergänzt Nils Andreas Stensønes, Leiter des norwegischen Geheimdienstes. Die Admiral Vladimirsky ist nur eines von vielen Spionageschiffen.

Die Recherchen der Journalisten aus den vier nordeuropäischen Ländern, die als Serie unter dem Namen «Skyggekrigen» («Schattenkriege») veröffentlicht wird, hat ergeben, dass in den letzten zehn Jahren 50 russische Schiffe auf verdächtige Weise gefahren sind.

Europa ist bei Minen «am verwundbarsten»

«Sie können spezifische Missionen ausführen wie das Legen von Seeminen und das Kartieren von Pipelines, Kommunikationskabeln und anderen relevanten Sabotagezielen», sagt Åse Gilje Østensen, Expertin für hybride Bedrohungen an der norwegischen Verteidigungsakademie. Ståle Ulriksen vom selben Institut fügt an, dass Moskau für solche Aktionen auch Frachtschiffe und Fischtrawler nutzt: «Wir sprechen hier von mehreren Hundert Schiffen, die potenziell eingesetzt werden könnten.»

Die Admiral Vladimirsky (Zweite von links) im August 2020 im Militärhafen Kronstadt bei Sankt Petersburg.
Die Admiral Vladimirsky (Zweite von links) im August 2020 im Militärhafen Kronstadt bei Sankt Petersburg.
Commons/Reshinna

Die erhobenen Daten werden für das Unterwasser-Kriegsprogramm GUGI gespeichert: «GUGI ist eine militärische Organisation und ein militärisches Programm in Russland, das westliche Infrastrukturen auf dem Meeresboden kartieren will», sagt Norwegens Geheimdienstchef Nils Andreas Stensønes. «Sie haben Überwasser-Schiffe, U-Boote und Tauchboote, um diese Operationen durchzuführen.»

Mit den Daten können auch harmlose Schiffe zu einem Problem werden: «Wo wir vielleicht am verwundbarsten sind, ist das Legen von Minen. Es ist ziemlich einfach, von einem zivilen Schiff aus Minen an strategischen Stellen abzuwerfen», erklärt Ståle Ulriksen. Sollte die kritische Infrastruktur im Ernstfall angegriffen werden, könne der Ausfall von Energie- und Kommunikationsleitungen ein Land lahmlegen, warnen die Experten.