Deutscher Historiker ist sicher«Russland wird diesen Krieg nicht verlieren»
phi
20.1.2024
Pistorius warnt vor Ausweitung des Ukraine-Krieges
Berlin, 19.01.24: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat vor einer Ausweitung des Ukraine-Krieges gewarnt. «Wir hören fast jeden Tag Drohungen aus dem Kreml – zuletzt wieder gegen unsere Freunde im Baltikum», sagte der SPD-Politiker dem «Tagesspiegel».
«Wir müssen also einkalkulieren, dass Wladimir Putin eines Tages sogar ein Nato-Land angreift», ergänzte Pistorius, der an diesem Freitag ein Jahr im Amt ist. Aktuell halte er einen russischen Angriff nicht für wahrscheinlich.
«Unsere Experten rechnen mit einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren, in denen das möglich sein könnte.» Er wolle mit seiner Warnung oder seiner Forderung, dass die Bundeswehr «kriegstüchtig» werden müsse, die Gesellschaft damit auch wachrütteln.
Dafür müssten jetzt Vorkehrungen getroffen werden. Pistorius hatte bereits eine modifizierte Wehrpflicht ins Gespräch gebracht, für die er aus seinem Ministerium Vorschläge bis April erwartet. Auch für eine Öffnung der Truppe für Soldatinnen und Soldaten ohne deutschen Pass wäre der Minister offen.
20.01.2024
Jörg Baberowski von der Berliner Humboldt-Universität ist sich sicher, dass Wladimir Putin den Krieg in der Ukraine nicht verlieren kann: Die Zeit spiele für ihn. Ein Ex-General ist aber anderer Meinung.
phi
20.01.2024, 23:24
phi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Osteuropa-Experte Jörg Baberowski glaubt, dass Russland den Krieg in der Ukraine «nicht verlieren» wird.
Als Argumente dafür führt er Putins Rückhalt im Volk, die aktive Rüstungsproduktion, das Ergebnis der Sanktionen und eine angeblich mühelos Rekrutierung neuer Soldaten an.
Weniger Hilfe aus dem Westen und die kommenden US-Wahlen hiessen, die Zeit arbeite für Russland.
Ex-Nato-General Erhard Bühler widerspricht, Moskau sei vom Exporteur von Waffen zum Importeur geworden.
Die Rekrutierung verlaufe nicht so mühelos, wie es Baberowski darstelle.
Bühler glaubt nicht, dass die USA dauerhaft Hilfen vorenthalten würden. Zudem vergrösserten die Europäer ihr Engagement.
Jörg Baberowski ist ein Experte, wenn es um Russland wie auch die Sowjetunion geht: Seit 22 Jahren ist der Historiker Professor für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nun hat der Deutsche «t-online» ein Interview zum Krieg in der Ukraine gegeben, das jenen aufstossen dürfte, die es mit Kiew halten.
Denn Baberowski glaubt: «Russland wird diesen Krieg nicht verlieren.» Das Regime von Wladimir Putin sei stabil, begründet der 62-Jährige seine These: Viele Oppositionelle hätten das Land verlassen und der Rest der Bevölkerung sei geeint, weil der Krieg als Konflikt mit dem Westen verkauft werde.
Auch ökonomisch laufe es besser als vom Westen erhofft, so Baberowski: «Die Rüstungsproduktion läuft auf Hochtouren, Russlands Wirtschaftsleistung ist durch die Sanktionen nicht eingebrochen. Auch werden die Sanktionen auf geschickte Weise umgangen, andere Staaten kompensieren, was der Westen nicht mehr leisten will.»
«Die Zeit arbeitet für Russland»
Während die Ukraine Mühe habe, weiteres Personal zu mobilisieren, könne Moskau die Reihen der Soldaten dank finanzieller Anreize mühelos wieder füllen. Die frischen Rekruten kämen «fast ausschliesslich aus den ländlichen Randregionen»: «So kommt es, dass die Bevölkerung in den grossen Städten die Auswirkungen des Krieges nicht spürt.»
Die Kriesgparteien führten einen Abnutzungskampf, bei dem die westliche Unterstützung nachlasse, während sich die USA zusehends nur noch auf den Präsidentschaftswahlkampf konzentrierten. «Der Kreml beobachtet diese Entwicklungen sehr genau. Macht hat, wer warten kann», weiss der deutsche Professor und fügt hinzu: «Die Zeit arbeitet für Russland.»
Wie wird der Krieg also ausgehen? «Vermutlich wird Putin der Sieger sein, wenigstens aber nicht der Verlierer. Und die Gegner von einst werden sich an einem Tisch versammeln und verhandeln. Der Krieg wird enden, wenn die Erschöpfung ihm ein Ende setzt.» Anstatt zu moralisieren, müsse sich der Westen fragen, wie der krieg beendet und die zwischenstaatlichen Beziehungen nach einem Frieden fortgeführt werden sollten.
Ja, aber...
In dem Ukraine-Podcast «Was tun, Herr General?» kontert der frühere Nato-Kommandierende Erhard Bühler: «Politiker und Militärs haben eines gemeinsam: Wir haben keine Glaskugel, um in die Zukunft zu schauen.» Normalerweise schliesse man aus Fakten Schlüsse: Weil es für die Zukunft noch keine Fakten gebe, müsse mit Annahmen gearbeitet werden.
«Ja, Putins Regime ist stabil, weil er die Bevölkerung hinter sich versammelt», gibt Bühler zu. «Sie ist stabiler, als von vielen gedacht.» Es stimme auch, dass die Wirtschaftsleistung «nicht in dem Umfang, wie erhofft» eingebrochen sei. Doch diese bestehe vor allem aus Energie- und Rüstungsgütern: «Energie muss [Putin] billig an die verkaufen, die sie noch abnehmen.»
Die Rüstungsindustrie laufe «auf Hochtouren», so Bühler: «Gegenwärtig können sie pro Monat 100 Raketen und Marschflugkörper bauen.» Doch bei den Panzern sei der Verbrauch höher als die Produktion. Am Ende könne Putin die Rüstungsgüter nicht mehr verkaufen, weil die eigene Armee sie selbst benötige: Russland sei vom Exporteur von Kriegsgerät zum Importeur geworden.
«Aber das nützt Putin nichts»
Mit den fehlenden Einnahmen würden Investitionen in andere Wirtschaftszweige entfallen. An Fachkräften – insbesondere im IT-Bereich – mangele es seit der letzten Teilmobilisierung, nach der viele Russen das Land verlassen hätten. Bühler erinnert zudem daran, dass Russland im Herbst 300'000 Kräfte mobilisiert und Sträflinge an der Front verheizt hat: Auch Moskau tue sich also schwer damit, neues Personal zu rekrutieren.
«Putin hat, und das ist gar keine Frage, das grössere Potenzial an Menschen», fasst Bühler zusammen. «Aber das nützt ihm nichts, solange er keine zweite Mobilmachung ausrufen kann. Und diesen Schritt scheut er ja nicht ohne Grund.» Vor der Wahl im März werde nichts passieren, damit Putin die Unterstützung der Bevölkerung nicht verliert.
Die russische Armee verliere rund 1000 Soldaten pro Tag und stelle ungefähr ebenso viele neue Rekruten ein: Der Kreml könne den Bestand also «gerade mal» halten. Dass man in den russischen Städten vom Krieg nichts bemerke, bezweifelt der Ex-General angesichts ukrainischer Drohnen-Attacken und Aufständen in der Peripherie.
Zur Unterstützung aus dem Westen verweist Bühler auf ein neues Engagement der Europäer. Auch der US-Kongress werde sich irgendwann auf neues Hilfspakete einigen. Zudem baue Kiew seine Rüstungsproduktion weiter aus. Der Westen müsse sich jedoch weiter «zusammenreissen».