Ukraine-KriegSanktionen treffen Russlands Wirtschaft – auch wenn Putin es leugnet
Von Ken Sweet und Fatima Hussein, AP
25.4.2022 - 04:56
Die westlichen Sanktionen funktionieren nicht, so hat Putin es jedenfalls stolz verkündet. Aber Tatsache ist, dass die Wirtschaft leidet – und manche Folgen der Strafmassnahmen dürften erst etwas später sichtbar werden.
Von Ken Sweet und Fatima Hussein, AP
25.04.2022, 04:56
dpa/sob
Moskau hat im schon seit zwei Monaten andauernden Ukraine-Krieg aussergewöhnliche Massnahmen ergriffen, um sich gegen wirtschaftliche Sanktionen des Westens zu wehren. Tatsächlich kann der Kreml einige symbolische Erfolge vorweisen. Aber die vollen Auswirkungen der Sanktionen werden nach und nach auf sehr reale Weise spürbar.
Auf die restriktiven Strafmassnahmen wie der Blockade seiner Devisenreserven hat Russland unter anderem mit drastischen Zinsanhebungen und Kapitalkontrollen reagiert. Russische Unternehmen wurden gezwungen, ihre Profite in Rubel umzuwandeln. Damit konnte sich die Landeswährung nach einem anfänglichen deutlichen Wertverlust wieder erholen, und kürzlich hat die russische Zentralbank einen Teil ihrer Zinserhöhungen wieder zurückgenommen.
Präsident Wladimir Putin fühlte sich ermutigt und verkündete stolz, dass sein Land dem «Blitz» von westlichen Sanktionen standgehalten habe. Aber beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass Russlands Wirtschaft durchaus leidet.
So wirken die Sanktionen
- Das Land erlebt seine höchste Inflation seit zwei Jahrzehnten. Die staatliche Statistikbehörde Rosstat bezifferte sie auf 17,3 Prozent im März. Zum Vergleich: Der Internationale Währungsfonds erwartet für dieses Jahr einen Anstieg der Verbraucherpreise in Entwicklungsländern um 8,7 Prozent, nach 5,9 Prozent 2021.
- Einige russischen Unternehmen mussten schliessen, mehreren Berichten zufolge kann ein Panzerhersteller wegen Mangels an Teilen nicht mehr produzieren. US-Regierungsbeamte weisen auch auf die Schliessung von Lada-Autofabriken hin. Hersteller der Marke ist die russische Firma Awtowas, Hauptanteilseigner der französische Autobauer Renault.
- Die Metropole Moskau hat es nach städtischen Angaben mit einem Verlust von 200 000 Arbeitsplätzen zu tun, weil ausländische Firmen ihren Betrieb eingestellt haben. Mehr als 300 Unternehmen haben sich zurückgezogen, und internationale Versorgungsketten sind weitgehend gekappt, nachdem sich die Transportunternehmen Maersk, UPS, DHL und andere aus Russland zurückgezogen haben.
- Wegen der Blockade seiner Devisenreserven kann Russland Fremdwährungsanleihen nicht mehr in Dollar begleichen. Es droht ihm damit ein Zahlungsausfall bei Auslandsschulden, was das Land wahrscheinlich über Jahre hinweg aus Kreditmärkten verbannt.
Wirkung verstärkt sich mit der Zeit
Derweil weisen Finanzbeamte und Volkswirtschaftler darauf hin, dass es in der Regel Monate dauere, bis sich Sanktionen voll auswirkten. Wenn Russland längerfristig keine angemessenen Kapitalmengen, Produktionsteile oder Versorgungsgüter erhalten könne, müssten noch mehr Fabriken und Firmen schliessen, was wiederum zu höherer Arbeitslosigkeit führe.
Es dauerte beispielsweise ein ganzes Jahr, bis Sanktionen wegen der russischen Krim-Annexion 2014 griffen, wirtschaftliche Daten Folgewirkungen wie eine höhere Inflation, einen Rückgang der Industrieproduktion und eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums widerspiegelten.
«Die Dinge, nach denen wir Ausschau halten sollten, um zu sehen, ob die Sanktionen funktionieren, sind, offen gesagt, noch nicht leicht erkennbar», sagt David Feldmann, ein Wirtschaftsprofessor an der US-Universität William & Mary. «Wonach wir schauen müssen, sind der Preis für Waren, die Menge an produzierten Waren und deren Qualität.»
Wirtschaft wird um 15 Prozent schrumpfen
Einblicke darin, wie sich die Sanktionen auswirken, sind begrenzt, zum grossen Teil wegen der ausserordentlichen Massnahmen, die der Kreml zur Stützung der Wirtschaft ergriffen hat. Hinzu kommt, dass der grösste Sektor – Öl und Gas – wegen der europäischen, chinesischen und indischen Abhängigkeit von russischer Energie weitgehend unberührt geblieben ist.
Nach einer Schätzung der Volkswirtschaftler Benjamin Hilgenstock und Elina Ribakova vom Institute of International Finance in Washington im März könnte die russische Wirtschaft dieses Jahr um mehr als 20 Prozent schrumpfen, wenn die EU, Grossbritannien und die USA gemeinsam auf russisches Öl und Erdgas verzichteten. Derzeitige Vorhersagen gehen von einem 15-prozentigen Rückgang der Wirtschaft aus.
Bislang haben sich die 27 EU-Mitgliedsländer nicht auf einen Einfuhrstopp von Öl und Erdgas geeinigt: Die Gemeinschaft ist weit mehr auf eine Versorgung aus Russland angewiesen als Grossbritannien und die USA, die russische Ölimporte gestoppt haben oder sie auslaufen lassen. Derweil erhält Russland von Europa pro Tag umgerechnet etwa 790 Millionen Euro für sein Öl und Gas.
Nahrungsmittel teurer
Dennoch bekommt auch die russische Bevölkerung die Folgen der Sanktionen zunehmend zu spüren – durch höhere Preise von Nahrungsmitteln. Bewohner eines Moskauer Vororts berichten, dass ein 19-Liter-Behälter mit Trinkwasser, den sie regelmässig bestellen, fast um 35 Prozent teurer geworden ist. In Supermärkten und Läden sei der Preis für ein Kilo Zucker um 77 Prozent und der für einige Gemüsesorten um 30 bis 50 Prozent gestiegen.
Und es gibt örtliche Berichte über zahlreiche geschlossene Geschäfte in Einkaufszentren, nachdem westliche Unternehmen wie Starbucks, McDonald's und Apple ihren Betrieb ausgesetzt oder sich ganz aus Russland zurückgezogen haben.
Der Kreml und seine Verbündeten werden aber nicht müde, in sozialen Medien auf die Rubel-Erholung als Zeichen dafür hinzuweisen, dass die Sanktionen nicht funktionierten. Der Rubel war anfangs auf 150 im Vergleich zum Dollar abgestürzt, aber erholte sich dann auf 80 zum Dollar, ungefähr der Stand wie vor der Invasion. Nach jüngsten Rosstat-Daten verlangsamt sich die Inflation, aber das überrascht nach den drastischen Zinserhöhungen der Zentralbank auf anfangs 20 Prozent nicht. Inzwischen liegt der Zinssatz bei 17 Prozent.
Der Congressional Research Service, ein Forschungsdienst des US-Kongresses, meint, dass sich die Sanktionen nach der Krim-Annexion nur mässig ausgewirkt haben, weil die USA praktisch allein gehandelt hätten. Diesmal gebe es viele internationale Mitspieler. Aber Michael Alexeev, ein Experte für russische Wirtschaft an der amerikanischen Indiana University, ist sehr skeptisch. «Solange Russland weiter Öl und Gas verkaufen kann, werden sie sich durchhangeln.»