Russlands Wirtschaft Die Sanktionen wirken wie ein langsames Gift

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1.9.2023 - 00:00

Eine Öl-Tiefpumpe steht in der Nähe der Stadt Usinsk, 1500 Kilometer nordöstlich von Moskau. Die Exporte sind zurückgegangen, aber die Verkäufe nach China stark angestiegen.
Eine Öl-Tiefpumpe steht in der Nähe der Stadt Usinsk, 1500 Kilometer nordöstlich von Moskau. Die Exporte sind zurückgegangen, aber die Verkäufe nach China stark angestiegen.
Dmitry Lovetsky/AP/dpa

Die Einnahmen aus dem Erdölverkauf gehen zurück, während die Ausgaben für den Krieg gegen die Ukraine steigen. Die Sanktionen zeigen nur langsam Wirkung, doch der Lebensstandard dürfte allmählich sinken.

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  • Bislang konnte Russlands Wirtschaft die Sanktionen des Westens unerwartet gut verkraften.
  • Doch die Sanktionen entfalten langfristig ihre Wirkung. Zudem steckt Putin in einem Dilemma durch die enormen Kosten seines Angriffskrieges, sagt ein Experte für die russische Wirtschaft.

Die jüngsten Kursschwankungen des Rubels haben die Verwundbarkeit der russischen Wirtschaft offen gelegt. Die Regierung von Präsident Wladimir Putin hat dem mit einer schnellen Zinserhöhung entgegen gewirkt. Doch dieses Pflaster auf der Wunde kann das zugrunde liegende Dilemma nicht überdecken: Wie kann Russland seine Militärausgaben finanzieren, ohne die Währungsstabilität zu unterminieren und die Konjunktur zu überhitzen mit einer zerstörerischen und politisch peinlichen Inflation?

An der Oberfläche erscheint das Leben in Moskau noch ganz normal – trotz der internationalen Sanktionen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, die unter anderem zum Abzug zahlreicher westlicher Unternehmen geführt haben. Vor den Restaurants und Bars an der Prachtstrasse Bolschaja Nikitskaja sitzen gutgekleidete Menschen und geniessen die lauen Sommerabende. In die einstigen Läden der westlichen Markenwaren sind russische Modegeschäfte eingezogen. Zumindest den wohlhabenderen Einwohnern der Hauptstadt scheint es kaum an etwas zu fehlen.

Die wichtigsten Wirtschaftsdaten bewegen sich ebenfalls noch im normalen Bereich. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, das Wirtschaftswachstum ist besser, als viele Beobachter dies erwartet hätten, und die Inflation ist für russische Verhältnisse auch nicht hoch – rund vier Prozent im Monat Juli.

«Atmosphäre der Angst»

Für Menschen mit niedrigem Einkommen ist das allerdings schon schlimm genug. «Selbst als Rentner spüre ich noch nicht allzu viel davon», sagt Wladimir Tscheremesjew über einen möglichen wirtschaftlichen Abstieg. «Aber hier herrscht eine Atmosphäre der Angst – und manchmal steigt da mein Blutdruck.» Der 68-Jährige erinnert daran, dass die wirtschaftlichen Probleme nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 auch erst einige Jahre später aufgetreten seien.

Geschäftsleute beklagen oft, dass es schwieriger geworden sei, notwendige Rohmaterialien einzuführen. Andrej Lawrow, der Besitzer einer Moskauer Zahnklinik, muss Nahtmaterial und Silikon jetzt aus Asien beziehen, sieht darin allerdings kein grosses Problem. «Wenn etwas nicht mehr geliefert wird, lässt sich das leicht über parallele Kanäle ersetzen», sagt er und betont, dass auch in Russland inzwischen hochklassiges Material hergestellt werde.

Autos aus China statt aus dem Westen

Selbst die Automobilindustrie leidet nicht allzu sehr unter den westlichen Lieferstopps. Stattdessen werden jetzt eben mehr Autos aus China eingeführt. Auch die Importe aus Kasachstan und Armenien sind gestiegen – alles Länder, die keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Es gibt einen Mangel an Arbeitskräften, aber dafür sind die Löhne gestiegen.

Viele Wirtschaftsbereiche werden von der Regierung subventioniert, vor allem importabhängige Unternehmen sowie auch der Immobiliensektor. Auslandsreisen sind allerdings sehr teuer geworden, wenn denn überhaupt Visa und Flugverbindungen erhältlich sind. Aber viele Russen konnten sich solche Reisen auch früher schon nicht leisten.

Die Erdölexporte sind wegen der Sanktionen allerdings gesunken. Da die Importe gleichzeitig stiegen, ist der frühere Handelsbilanzüberschuss stark zurückgegangen. Der davon ausgelöste Druck auf den Rubel hat der russischen Wirtschaft aber nicht wirklich geschadet. Mit einem niedrigeren Wechselkurs kann die Regierung nämlich ihre eigenen Rechnungen leichter begleichen. Da die in Dollar vergüteten Exporte mehr Rubel einbringen, werden etwa Zahlungen an Rentner oder Staatsbedienstete billiger.

Im vergangenen Jahr gab es für einen Dollar etwa 60 Rubel. Als dieser Kurs Mitte August auf 100 anstieg, war dann allerdings doch eine psychologisch bedenkliche Schwelle überschritten. Der Kreml reagierte mit einer Zinsanhebung um 3,5 Prozentpunkte. Der Rubel erreichte daraufhin einen Wert von 92 pro Dollar, am Mittwoch lag der Kurs bei 96.

«Krieg ist eben super teuer»

Dennoch dürfte sich die insgesamt recht normal anmutende Situation auf lange Sicht verschlechtern, ist der Wirtschaftsexperte Robin Brooks vom Institute of International Finance in Washington überzeugt: «Das Dilemma liegt darin, dass Putin sehr viel Geld ausgeben muss – ein Krieg ist eben super teuer. Doch wie schafft er die Quadratur des Kreises, viel Bargeld und gleichzeitig hohe Zinsen zu brauchen, ohne dass da eine Spirale ausser Kontrolle gerät? Meiner Ansicht nach gibt es dafür keine gute Lösung.»

Zinsanhebungen zur Stützung des Rubels könnten die Privatwirtschaft abwürgen – also diejenigen Betriebe, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, wie Janis Kluge vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin unterstreicht. Dies käme den Ressourcen für die Kriegsführung zugute. «Seitens der Regierung ist das eine klare Priorisierung des Krieges über das Wohl der privaten Haushalte», sagt der Experte für russische Wirtschaft.

Langfristig werde dies das Wirtschaftswachstum aushöhlen und den Rubel weiter unter Druck setzen. Gleichzeitig würden die Importe steigen, weil Russland ohne ausländische Investitionen viele Waren nicht mehr selbst herstellen könne. Kluge resümiert: «All dies bedeutet, die Bürger Russlands werden sich nach einiger Zeit nicht mehr denselben Lebensstandard leisten können wie in den vergangenen Jahren.»