Empfindliche Lebenslinien Schlagadern der Kommunikation: Angriffe auf Unterseekabel geplant?

Deb Richmann, AP

3.4.2018

Die russische Marine entwickelt zunehmend Interesse an den Unterseekabeln, die die USA mit ihren Verbündeten verbinden. Hinweise auf aktuelle Sabotageakte gibt es zwar nicht. Experten glauben jedoch, Russland bereite derzeit Operationen für mögliche Konflikte vor.

Russische Schiffe ziehen ihre Bahnen um die Unterwasserkabel, über die ein grosser Teil der Kommunikation zwischen den USA und ihren Verbündeten läuft. Die Sorge wächst, dass der Kreml sich für militärische Aktionen unter Wasser rüstet. Will Moskau die Kabel abhören oder im Konfliktfall sogar kappen? Will Moskau den Westen das zumindest glauben lassen? Oder gibt es eine harmlose Erklärung dafür? Wenig überraschend: Russland schweigt dazu.

Doch welche Interessen auch immer Moskau verfolgt - in den USA und bei ihren Verbündeten ist man zunehmend besorgt über das Interesse des Rivalen an den rund 400 Glasfaserleitungen, über die die meisten Telefonate, E-Mails oder Textnachrichten der Welt laufen und über die jeden Tag Finanztransaktionen mit einem Volumen von zehn Billionen Dollar (9,5 Billionen Franken) abgewickelt werden.

Verdächtige Aktivitäten

«Wir haben Aktivitäten der russischen Marine, besonders unter Wasser von U-Booten, beobachtet, wie wir sie seit den 1980er Jahren nicht mehr erlebt haben», berichtete General Curtis Scaparrotti, Befehlshaber des amerikanische-europäischen Kommandos, diesen Monat dem Kongress in Washington.

Manche der Kabel sind nicht grösser als ein Gartenschlauch. Würde man sie alle hintereinanderlegen, würde ihre Länge fast 25 Mal um die Erde reichen. Die meisten gehören privaten Telekommunikationsunternehmen, darunter auch Google und Microsoft. Fällt einmal ein Kabel aus, sind die Folgen überschaubar. Doch wenn mehrere Kabel gleichzeitig gekappt oder Knotenpunkte getroffen würden, hätte das weitreichende Auswirkungen.

«Die Russen machen ihre Hausaufgaben, und im Fall einer Krise oder eines Konflikts mit ihnen könnten sie uns üble Dinge antun», sagt Michael Kofman, ein Experte für russische Militärfragen bei der amerikanischen Nonprofit-Forschungsorganisation CNA Corporation.

US-General Curtis Scaparrotti, Befehlshaber des amerikanische-europäischen Kommandos, betrachtet die russischen U-Boot-Aktivitäten mit Sorge.
US-General Curtis Scaparrotti, Befehlshaber des amerikanische-europäischen Kommandos, betrachtet die russischen U-Boot-Aktivitäten mit Sorge.
Keystone

«Sie legen das Fundament für künftige Operationen»

Eines der russischen Schiffe, die im Fokus stehen, ist die «Jantar», ein gut 100 Meter langes Schiff mit etwa 60 Besatzungsmitgliedern. Die russische Parlamentszeitung «Parlamentskaja Gaseta» berichtete im vergangenen Oktober, das Schiff sei für das Nachspüren in tiefer See und Verbindungen mit streng geheimen Kommunikationskabeln ausgestattet. Im September 2015 habe die «Jantar» vor der Küste des US-Staates Georgia Informationen über die Ausrüstung amerikanischer U-Boote und das militärische Informationsnetz der USA gesammelt.

Laut einem Bericht des staatlichen russischen TV-Senders Rossija kann das Schiff auch Unterwassersensoren mit einem Spezialsystem blockieren. Das russische Verteidigungsministerium wollte sich dazu nicht äussern.

Nach Aussage eines kanadischen Experten für Schiffskommunikation, Steffan Watkins, gibt es derzeit keine Belege dafür, dass die «Jantar» in feindselige Aktivitäten verwickelt ist. Allerdings frage er sich, was das Schiff tue, wenn es über kritischen Kabeln stoppe oder sein Funksystem AIS ausschalte, das zur Lokalisierung von Schiffen beiträgt. Über die Besatzung sagt er: «Ich denke nicht, dass die Männer aktuell irgendwelche Sabotage machen. Ich denke, sie legen das Fundament für künftige Operationen.»

Ein wunder Punkt

Unterseekabel waren schon früher Ziele für Angriffe und Abhöraktionen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs kappten die Briten eine Handvoll deutscher Verbindungen und hörten den umgeleiteten Verkehr dann ab. Während des Kalten Krieges setzten die USA im Ochotskischen Meer vor der Küste Russlands Taucher ein, um Abhöreinrichtungen zu installieren. Aus den Informationen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden ging hervor, dass britische und amerikanische Geheimdienste Glasfaserkabel auch in den vergangenen Jahren abhörten.

Im Jahr 2007 brachten vietnamesische Behörden mehrere Schiffe auf, deren Besatzungen Glasfaserkabel aus dem Meer gestohlen hatten, um diese zu verkaufen. Wegen des Diebstahls waren die Verbindungen mehrere Monate lang eingeschränkt. Im Jahr 2013 wurden in Ägypten Sporttaucher festgenommen, die ein Kabel durchtrennen wollten, das von Frankreich bis Singapur führt. Die Hintergründe für die Tat sind bis heute unklar.

Auch wenn relativ wenig über Sabotage an Tiefseekabeln bekannt wird - für die meisten Ausfälle sind Unfälle verantwortlich. Jedes Jahr werden rund zweihundert sogenannte kabelbasierte Ausfälle gemeldet. Meistens sind Schiffsanker oder die kommerzielle Fischerei mit ihren Netzen und anderen Geräten der Grund dafür, manchmal auch Erdbeben, Tsunamis oder andere Naturkatastrophen.

«Das hatte grosse Folgen»

Aber selbst zufällige Unterbrechungen können den Erfolg von Militäreinsätzen gefährden. Im Jahr 2008 mussten die unbemannten Aufklärungsflüge der US-Luftwaffe über dem Irak für mehrere Tage ausgesetzt werden, weil ein Schiffsanker Hunderte Kilometer entfernt ein Kabel zerrissen hatte.

Über das Kabel waren die Informationen der Einsatzkräfte vor Ort zu dem Kontrollzentrum in den USA übermittelt worden, wie der pensionierte US-Luftwaffenoberst Dave Lujan berichtete. «Stellen sie sich vor, sie bedienen ein ferngesteuertes Auto und plötzlich haben sie keinerlei Kontrolle mehr», sagt Lujan, der damals im Irak stellvertretender Befehlshaber des Einsatzes war. «Das hatte grosse Folgen.» Für rund drei Tage hätten Piloten stattdessen die gefährlichen Aufklärungsflüge übernehmen müssen.

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite