Panzer und Nachschub Selenskyjs Patchwork-Armee und ihr «logistischer Albtraum»

Von Philipp Dahm

24.1.2023

Polen will Antrag für Leopard-Lieferung stellen

Polen will Antrag für Leopard-Lieferung stellen

Diese Drohnenaufnahmen von der heftig umkämpften östlich gelegenen Stadt Bachmut hat das ukrainische Militär am Sonntag veröffentlicht. Dort liefern sich ukrainische Soldaten und vor allem russische Söldner der Wagner-Truppe seit Monaten einen Abnutzungskampf. Am Montag kursierte in sozialen Netzwerken dieses Video, in dem ein offenbar ukrainischer Soldat vor Ort angibt, die Lage sei schwierig, aber stabil. Derweil kündigte die polnische Regierung nun an, in Berlin einen Antrag auf Lieferungen von Leopard-Kampfpanzern in die Ukraine zu stellen.

23.01.2023

Auch wenn der Westen der Ukraine Waffen wie Panzer liefert, kann Kiew nicht gleich in die Offensive gehen: Die Ausbildung braucht Zeit, die Wartung kann zum Problem werden und ohne genug Sprit geht eh nichts.

Von Philipp Dahm

24.1.2023

«Amateure sprechen über Strategien. Profis sprechen über Logistik.» Das Zitat wird dem US-General Omar Bradley zugeschrieben, und es beschreibt, dass eine moderne Armee ohne einen sorgfältig geplanten Nachschub nur ein Papiertiger ist.

Die Streitkräfte müssen auf ganz unterschiedlichen Ebenen versorgt werden. So wie Soldat*innen etwa mit Kleidung und Nahrung versorgt werden müssen, benötigen Fahrzeuge Sprit und Ersatzteile. Da kann die Versorgung schon mal zu einer logistischen Mammutaufgabe werden.

Während ein britischer Challenger oder der Leopard 2A6 «nur» 220 Liter auf 100 Kilometer schlucken, sind es beim amerikanischem M1 Abrams satte 720 Liter. Dabei verbrennt die Turbine kein Diesel, sondern einen Treibstoff, der auf Kerosin basiert und auch in Flugzeugen und Helikoptern zum Einsatz kommt.

Von dem Gemisch namens JP-8, wobei JP für Jet Propellant steht, haben die US-Streitkräfte im Zweiten Golfkrieg rund 3,7 Millionen Liter verbraucht – pro Tag. Um das zu stemmen, verlegen Spezialtruppen mitunter auch eigene Pipelines, um zu garantieren, dass der stetige Fluss nicht versiegt.

Patchwork-Armee

Die Treibstoff-Causa ist nur eine Frage in einem ganzen Mosaik von Problemen, das die Ukraine mit Blick auf Waffen-Lieferungen aus dem Westen bewältigen muss: Kiews Streitkräfte sind eine inzwischen eine regelrechte Patchwork-Armee geworden, in der die unterschiedlichsten Systeme nebeneinander bestehen.

Man nehme nur die 155-Millimeter-Artillerie: Die Ukraine hat 152 amerikanische M777-Geschütze, mindestens 18 polnische Panzerhaubitzen vom Typ Krab, eine unbekannte Anzahl von FH-70-Geschützen, mindestens 28 Exemplare der Panzerhaubitze 2000, 18 Ceasar-Haubitzen, mindestens 29 Panzerhaubitzen vom Typ M109, mindestens 24 Zuzana 2 und 18 RCH 155 erhalten. Das System Bohdana aus heimischer Produktion rundet die Palette ab.

Zu den westlichen Artillerie-Systemen kommen noch Bestände sowjetischer Bauart wie diese 2S7 Pion hinzu, die Mitte Dezember 2022 bei Bachmut im Einsatz ist.
Zu den westlichen Artillerie-Systemen kommen noch Bestände sowjetischer Bauart wie diese 2S7 Pion hinzu, die Mitte Dezember 2022 bei Bachmut im Einsatz ist.
AP

All diesen Systemen gemein ist nur, dass die Rohre nach einer gewissen Anzahl von Schüssen ausgetauscht werden müssen – und wegen der hohen Feuer-Kadenz ist auch der Verschleiss sehr hoch. Durch die permanenten Erschütterungen kann immer irgendetwas kaputtgehen: Die Ersatzteile für die verschiedenen Systeme vorrätig zu halten, ist ein «logistischer Albtraum», räumt Serhij Grabskyj, Oberst der Reserve, ein.

Wartung auch via Internet

Eine Rotation der Systeme, wie sie in der NATO zur Überholung üblich ist, kann wegen des Krieges nicht stattfinden. Wenn eine Panzerhaubitze 2000 den Geist aufgibt, muss sie entweder in einem Wartungszentrum in Litauen oder in Deutschland selbst repariert werden. Kleinere Probleme werden in der Ukraine selbst behoben – mit deutscher Hilfe via Internet, berichtet die «Süddeutsche Zeitung».

Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr beim Manöver: Zur Not wird ukrainischen Mechanikern via Internet geholfen.
Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr beim Manöver: Zur Not wird ukrainischen Mechanikern via Internet geholfen.
IMAGO/Sven Eckelkamp

Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um Panzer-Lieferungen Stückwerk. Grossbritannien mag 14 Challenger 2 versprochen haben, auch um es Deutschland zu erleichtern, sich zu einem Export des Leopard 2 durchzuringen. Doch die Ersatzteile für die Panzer müssen von der Insel kommen und nach Osteuropa geliefert werden: Das ist kompliziert.

Der Leopard 2 stellt hingegen mit rund 3'600 produzierten Exemplaren 48 Prozent der europäischen Kampfpanzer-Flotte. Er könnte in Polen gewartet werden, während die Ersatzteile aus ganz Europa fliessen würden. Doch auch bei diesem deutschen Produkt steckt der Teufel im Detail.

Deutscher Leopard 2A6 anders als spanischer Leopard 2A6

Zum einen ist relevant, um welche Version es sich genau handelt: Die deutsche Bundeswehr modernisiert ihre Flotte derzeit auf den 2A7V-Standard. Das Modell muss den Vergleich mit russischen T90- oder modernisierte T-72-Panzern nicht scheuen.

Doch ältere Versionen wie die Versionen 2A4, 2A5 oder 2A6, die für die Ukraine infrage kämen, sieht es anders aus: Sie unterscheiden sich in Sachen Bewaffnung, Panzerung und technischen Systemen wie dem Feuerleitsystem oder der Aufklärung.

Das Problem: «Ein deutscher Leopard 2A6 ist nicht identisch mit einem spanischen oder griechischen Leopard 2A6», so die «Süddeutsche Zeitung». «Das bedeutet, dass die Ukraine allein mit der Logistik des Leopard 2 eine ganze Menge zu tun hätte.»

Bundeswehr könnte 19 Leopard 2 liefern

Laut einer geheimen Liste, die dem «Spiegel» vorliegt, verfügt die Bundeswehr über 312 Leopard 2, von denen im Mai 2022 99 für Instandsetzungsarbeiten bei der Industrie waren. Von den verbleibenden 213 Exemplaren waren 53 vom neuesten Typ 2A7V. 19 Leopard 2A5, die aktuell in Manövern feindliche Panzer darstellen, könnte die Bundeswehr demnach abgeben.

Ein Leopard 2A5 der dänischen Armee im Juni 2014 bei einem Manöver in Gaiziunai in Litauen.
Ein Leopard 2A5 der dänischen Armee im Juni 2014 bei einem Manöver in Gaiziunai in Litauen.
imago images/Scanpix

Militärisch sei es sinnvoll, mit diesen Modellen und polnischen Leopard 2A4 ein Panzer-Bataillon aufzustellen, doch die Zusammenstellung eines solchen Pakets sei «technisch nicht trivial», schreibt das Hamburger Magazin. So hätten die deutschen Leos eine elektrische Turmsteuerung, während das im Rest Europas hydraulisch funktioniere. Dabei wäre «eine homogene Flotte von Vorteil».

Und was ist mit den Herstellern? Diese haben nicht genutzte Bestände der Armee zurückgekauft, erklärt Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations in Berlin dem «Spiegel» – «in der Erwartung, dass sie die irgendwann mal weiterverkaufen können».

Altpanzer werden «komplett auseinandergenommen»

«Vom Leopard 2 verfügen wir noch über 22 Fahrzeuge, die wir einsatzbereit machen und an die Ukraine liefern könnten», sagt dazu der Vorstandsvorsitzende des Rüstungsriesen Rheinmetall der «Bild am Sonntag». «Vom Leopard 1 haben wir noch rund 88 Fahrzeuge.»

Panzer auf dem Gelände eines deutschen Entsorgungsbetriebes in Ebenfeld in Thüringen.
Panzer auf dem Gelände eines deutschen Entsorgungsbetriebes in Ebenfeld in Thüringen.
Google Earth

Die Instandsetzung würde jedoch bis zu ein Jahr beanspruchen: «Sie werden komplett auseinandergenommen und dann wieder neu aufgebaut», fährt Armin Papperger fort. «Das heisst: Selbst wenn morgen die Entscheidung fällt, dass wir unsere Leopard-Panzer nach Kiew schicken dürfen, dauert die Lieferung bis Anfang nächsten Jahres.»

Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» ergänzt, von den 88 Leopard 1 könnten 80 wiederhergestellt und 20 davon innert acht Monaten geliefert werden. Ob die kaum gepanzerten Fahrzeuge Kiew eine Hilfe wären, steht auf einem anderen Blatt. Zumal der Zustand nicht gut sein soll.

Auch Munition spielt eine Rolle

«Man muss das Alter der Fahrzeuge sehen, die waren alle im Einsatz», sagt ein Experte dem «Spiegel». «Die Fahrzeuge sind drinnen verschimmelt, [sie] haben ein riesiges Elektronikproblem. Die Instandsetzung ist insgesamt schon sehr aufwendig.»

«Deutschland hat leider gerade versagt»

«Deutschland hat leider gerade versagt»

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im deutschen Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, hat die verschobene deutsche Entscheidung über Kampfpanzer-Lieferungen an die Ukraine scharf kritisiert.

22.01.2023

Unterschiede gibt es auch in Sachen Munition: Alleine Deutschland hat alte Geschosse, die 230 Millimeter Stahl durchschlagen, aber auch neue Munition, die 540, 640 oder auch 750 Millimeter Panzerung penetriert. Wird statt solcher Munition mit einer Wolframlegierung amerikanische Ladungen benutzt, die aus abgereichertem Uran bestehen, werden sogar 800 Millimeter durchschlagen.

Ein letzter Punkt, der beim Waffenexport bedacht werden muss, ist die Dauer der Ausbildung. Die ukrainischen Streitkräfte haben sich in dieser Sache stets flexibel und willig gezeigt: So werden Kiews Soldat*innen am Flugabwehrsystem Patriot zehn Wochen statt zehn Monate geschult, hat Verteidigungsminister Oleksij Resnikow verraten.

Vier bis sechs Wochen Ausbildung «sind genug»

Auch wenn die Lieferung von Leopard-2-Panzern an Kiew noch nicht in trockenen Tüchern ist, verliert Kiew bei der Schulung keine Zeit. «Länder, die den Leopard haben, können mit dem Training unserer Mannschaften beginnen», sagt Resnikow der «Voice of America». «Wir werden damit beginnen.»

Einen Hinweis darauf, wie lange das dauern wird, gibt Wadym Prystajko. Der ukrainische Botschafter in Grossbritannien sagt in einem Interview, die Ausbildung am Challenger 2 habe im Vereinigten Königreich begonnen. «Ich denke, ein bis eineinhalb Monate sind genug. Wenn nötig, wird das Training verlängert.»

Grossbritannien: Challenger-Kampfpanzer für die Ukraine

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Grossbritannien will der Ukraine Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 zur Abwehr des russischen Angriffskriegs zur Verfügung stellen.

14.01.2023

Die Verschiffung des Kriegsgerät auf den Kontinent sei bereits in Planung. «Die Panzer, die wir bekommen sollen, werden vorbereitet, um in die Ukraine geschickt zu werden.» Zwischen Londons Zusage für den Challenger-Export und dem Interview sind nur sechs Tage vergangen: Ob Deutschland genauso rasch handeln kann, muss ich erst noch zeigen.