Missbrauchsverdacht Skandalumwitterter Kardinal George Pell gestorben

dpa

11.1.2023 - 04:47

Kardinal George Pell am 26. Februar 2019 vor dem Gericht in Melbourne, Australien, wo eine mehrjährige Gefängnisstrafe gegen ihn verhängt wurde.
Kardinal George Pell am 26. Februar 2019 vor dem Gericht in Melbourne, Australien, wo eine mehrjährige Gefängnisstrafe gegen ihn verhängt wurde.
Bild: Keystone/EPA/Erik Anderson

Wegen sexuellen Kindesmissbrauchs wurde der katholische Kardinal Pell zu mehreren Jahren Haft verurteilt, jedoch später freigesprochen. Nun ist er in Rom gestorben.

Als bisher ranghöchster katholischer Geistlicher wurde George Pell in seinem Heimatland Australien wegen Kindesmissbrauchs verurteilt und später im Berufungsverfahren freigesprochen – nun ist der Kardinal tot. Er sei am Dienstag im Alter von 81 Jahren in Rom gestorben, teilte sein Freund, der Geistliche Robert McCulloch, mit. Laut dem Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, kam es bei Pell nach einer Hüftoperation zu tödlichen Komplikationen am Herzen. Der Kardinal hatte in Rom vergangene Woche die Trauerfeier für den Ende Dezember verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. besucht.

Pell galt als ein enger Berater von Papst Franziskus. Der Pontifex ernannte den Australier 2014 zum Präfekten des neu geschaffenen Wirtschaftssekretariats der Römischen Kurie – so sein offizieller Titel als Finanzchef. In seinem Amt versuchte Pell international gültige Haushalts- und Buchhaltungspläne aufzustellen und für mehr Transparenz in den notorisch undurchsichtigen Finanzen des Heiligen Stuhls zu sorgen.

Im Jahr 2017 kehrte Pell nach Australien zurück, um zu versuchen, sich von Vorwürfen des sexuellen Kindesmissbrauchs aus seiner Zeit als Erzbischof in Melbourne reinzuwaschen. Dem Kardinal wurde zur Last gelegt, 1996 in der Sakristei der St. Patrick's Kathedrale in der zweitgrössten Stadt Australiens zwei damals 13-jährige Chorjungen missbraucht zu haben, nachdem er sie dabei erwischt hatte, wie sie den Messwein tranken.

Pell war damals 55 Jahre alt und wenige Monate zuvor zum Erzbischof von Melbourne berufen worden. Die Geschworenen befanden Pell auch für schuldig, eines der Opfer mehr als einen Monat nach dem mutmasslichen Übergriff in einem Korridor der Kathedrale bedrängt und dessen Penis gedrückt zu haben. Das Gericht verhängte 2019 eine mehrjährige Gefängnisstrafe gegen den Kardinal

404 Tage verbrachte Pell in Isolationshaft, ehe Richter am höchsten Gericht Australiens im Frühjahr 2020 im Berufungsverfahren den Schuldspruch gegen ihn einstimmig kippten. Hinter Gittern hielt Pell in einem Tagebuch sämtliche Details des Gefängnisalltags fest, von seinen Gebeten und seiner Bibellektüre bis hin zu Gesprächen mit Kaplanen und dem Wachpersonal. Seine Aufzeichnungen erschienen später als dreiteilige Buch-Serie mit dem Titel «Prison Journal», mit dem Erlös zahlte er seine nicht unerheblichen Gerichtskosten ab.

Pell stritt stets jegliches Fehlverhalten ab, doch war sein Ruf durch die Vorwürfe auch nach seinem Freispruch besudelt. Er und seine Unterstützer beklagten, dass er für Verbrechen der australischen katholischen Kirche und deren Versagen im Umgang mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker zum Sündenbock gemacht worden sei. Für die Opfer und Kritiker verkörperte Pell hingegen all das, was in der Kirche in der Auseinandersetzung mit dem Problem falsch laufe.

Später kam eine Untersuchungskommission zum institutionellen Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch in Australien zum Schluss, dass Pell von Geistlichen gewusst habe, die sich in den 70er Jahren an Kindern vergangen hätten, jedoch nicht angemessen darauf reagiert habe. Über die Erkenntnisse zeigte sich Pell überrascht und erklärte, dass es dafür keine Beweise gebe.

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis kehrte Pell nach Rom zurück, wo er eine vielbeachtete Privataudienz beim Papst hatte. Franziskus habe gewürdigt, was er damals als Finanzchef habe erreichen wollen, sagte Pell 2020 in einem Interview. Der Papst selbst erklärte vor kurzem in einem Gespräch des italienischen Senders Mediaset, dass er Pell zugute halte, den Vatikan auf den Pfad finanzieller Transparenz geführt zu haben. Es sei schade, dass Pell gezwungen gewesen sei, seine Arbeit aufzugeben, um sich in seiner Heimat der «Verleumdung» durch die Missbrauchsvorwürfe zu stellen, sagte Franziskus.

Geboren wurde George Pell am 8. Juni 1941 in der Kleinstadt Ballarat im australischen Bundesstaat Victoria. Er ist das älteste von drei Kindern. Sein Vater war Schwergewichtsboxer, Schankwirt und Mitglied der anglikanischen Kirche, die Mutter entstammte einer katholischen Familie mit irischen Wurzeln. In seiner Jugend zeigte der 1,93 Meter grosse Pell einiges Talent im australischen Football und bekam einen Profi-Vertrag angeboten, entschied sich aber fürs Priesterseminar.

Nach seinem Freispruch hielt sich Pell mal in Sydney, mal in Rom auf. Über seinen Tod schrieb der Erzbischof von Sydney, Anthony Fisher, bei Facebook: «Diese Nachricht ist ein grosser Schock für uns alle». Fisher rief zu Gebeten für den Seelenfrieden Pells auf. In Rom soll es für Pell eine Totenmesse geben. Sein Begräbnis wird vermutlich in Sydney stattfinden.