Suchhunde im TrainingSo schnell geht es, bis das verschüttete Opfer gefunden ist
Von Akilash Thamilmaran, Nicole Agostini und Monique Misteli
9.2.2023
Suchhunde im Training: «Ist das verschüttete Opfer gefunden, bellt und scharrt sie»
Hunde und Rettungskräfte von der Schweizer Organisation Redog suchen in der Türkei weiter nach Überlebenden. Wie ein Hund nach Verschütteten sucht und was es dazu braucht, hat blue News auf dem Übungsgelände von Redog erfahren.
09.02.2023
Hunde und Einsatzkräfte der Schweizer Organisation Redog suchen in der Türkei nach Überlebenden. Wie ein Hund nach Verschütteten sucht, hat blue News auf dem Winterthurer Übungsgelände von Redog erfahren.
Von Akilash Thamilmaran, Nicole Agostini und Monique Misteli
Jamaika zieht stark an der Hundeleine. So stark, dass sie ihre Halterin in Rückenlage zwingt, um die Hündin am Losspurten zu hindern. Denn Jamaika steht vor einem Trümmerfeld, bereit, eine verschüttete Person aufzuspüren.
Sobald Moni Fürst Jamaika von der Leine lässt, geht es schnell. Sehr schnell. Innert Sekunden stürmt die Hündin über steile Steinplatten den Trümmerhaufen hoch, erschnuppert sich ihren Weg. Bleibt abrupt stehen und bellt.
Das nennt man in der Fachsprache «anzeigen». Hier liegt die verschüttete Person, die sich für Trainingszwecke unter den Steinblöcken versteckt hat. Moni Fürst folgt Jamaika, gibt der 12-jährigen Hündin als Belohnung einen Suchgegenstand zum Spielen. Die schnappt es sich zufrieden. Ihr Job ist erledigt.
Nach den verheerenden Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion von Anfang Woche ist am Montagabend die Schweizer Rettungskette in die Türkei aufgebrochen. Mit dabei sind zwölf Rettungskräfte und acht Suchhunde, die unter den Trümmern nach Überlebenden suchen.
Redog
Der Verein hat schweizweit rund 775 Mitglieder und bildet in 12 Regionalgruppen Hundeteams aus. Er stellt Bund und Kantonen geprüfte Such- und Rettungshundeteams sowie Spezialist*innen der Technischen Ortung für Einsätze in der Verschüttetensuche im In- und Ausland zur Verfügung. Zudem bildet Redog auch Geländesuchhundeteams aus, die vermisste Menschen in der Schweiz suchen. Es sind oft ältere Menschen, Ausflüglerinnen, Pilzsammler. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie befinden sich unter Umständen in einer lebensbedrohlichen Situation, bei der keine Zeit zu verlieren ist. Als Mitglied der Rettungskette Schweiz ist Redog eine von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) anerkannte Organisation und verfügt über Einsatzerfahrung bei humanitären Katastropheneinsätzen. Zudem ist Redog Aktivmitglied des Schweizerischen Roten Kreuzes sowie Partnerorganisation der Schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega) und der Alpinen Rettung Schweiz.
Laut dem Einsatzleiter der Regionalgruppe Zürich, Hanspeter Burkart, kann ein solcher Einsatz bis zu zehn Tagen dauern. 72 Stunden sei die Faustregel, um Menschen noch lebend aus den Trümmern bergen zu können, sagt Burkart. So lange kann ein Mensch ohne Wasser überleben. Danach schwinden die Überlebenschancen rapide.
Die Suche mit Hunden hat zwei entscheidende Vorteile: Erstens können Hunde schneller ein viel grösseres Gebiet absuchen. Zweitens können sie dank ihres ausgeprägten Geruchsinnes Menschen präziser lokalisieren, auch nachdem auditive Zeichen wie Klopfen oder Rufen verhallt sind.
Schweiz schickt Helfer ins Erdbebengebiet in der Türkei
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06.02.2023
Strenge Ausbildung, Einsatz ungewiss
Einen Suchhund auszubilden verlangt viel von Mensch und Tier: Ausdauer, Pflichtbewusstsein, Belastbarkeit und viel Zeit. Die Ausbildung dauert zwei bis fünf Jahre. Die Einsatzprüfung besteht aus zwei Tages- und einem Nachteinsatz. Jedes Jahr müssen die Hunde und ihre Halter*innen eine Kontrollprüfung bestehen. Trainiert wird von März bis Oktober, einen Abend in der Woche und einen Tag am Wochenende. Hinzu kommen Trainingswochenenden und die Bereitschaft, während 24 Stunden sieben Tage die Woche auf Abruf zu sein. Alles freiwillig und unentgeltlich. Für Einsätze gehen mitunter Ferientage drauf.
Tatjana Schwarz, die mit ihrer zweijährigen Hündin noch in Ausbildung ist, sagt: «Es ist mehr als ein Hobby, es ist eine Berufung.» Ihre Kolleginnen pflichten ihr einstimmig zu. Sie alle sind an diesem Nachmittag auf dem Übungsgelände in Winterthur, weil sie noch nicht oder nicht mehr einsatzfähig sind.
Die Ausbildung ist zwar darauf ausgelegt, dass die Suchteams nebst der Schweiz auch im Ausland zum Einsatz kommen. Doch ob man nach bestandener Prüfung eingesetzt wird, ist nicht sicher. Denn die Auflagen sind streng: Für Auslandseinsätze darf der Hund nicht älter als 10 Jahre sein, die Führer*innen nicht älter als 65. Der Hund darf nur so schwer sein, dass der oder die Besitzerin ihn tragen können. Und sie müssen einen jährlichen Gesundheitstest vorweisen können. Sind Hund oder Mensch nicht einsatzfähig, dürfen sie nicht einrücken.
Hinzu kommen organisatorische Auflagen: Ein Krisengebiet muss innerhalb von 24 Stunden erreichbar sein. Also innerhalb eines Tages müssen die Einsatzkräfte mobilisiert und am Ort eingetroffen sein. Und auf politischer Ebene muss ebenfalls der Wille vorhanden sein, dass internationale Hilfe vor Ort komme, erklärt Einsatzleiter Burkart.
Sind zu wenige Suchhunde im Einsatz?
Eine zweite Hundestaffel ist unabhängig von der Rettungskette in die Türkei geflogen, um die Partnerorganisation GEA, eine türkische Rettungsorganisation, im Einsatz zu unterstützen. Bis Mittwochabend hat die Rettungskette fünf Personen lebend retten können. Das Redog-Team mit GEA konnte 28 Menschen retten.
Dass nicht mehr Suchhunde geschickt werden, hänge auch von der Situation vor Ort ab. Einerseits können die Hunde erst auf die Trümmerfelder, sobald sie von den Sicherheitskräften freigegeben werden. Anderseits müsse man genug Retterinnen und Retter haben, die die aufgespürten Verschütteten bergen, so Burkart.
Burkart selbst war für Redog in Indien und in Griechenland im Einsatz. Heute gibt er neben den Aufgaben als Leiter der Regionalgruppe seine Erfahrungen als Ausbildner weiter.
Hündin Jamaika ist trotz ihres Alters fit. Sie wedelt und schnüffelt über die Betonklötze auf der Übungsanlage. Auch wenn sie nicht mehr für ausländische Einsätze aufgeboten wird, trainiert sie weiter: Auch in der Schweiz kann es Verschüttete geben, die auf die Hilfe von Redog angewiesen sind.