Nach Spionageverdacht US-Aussenminister Blinken verschiebt Peking-Reise

Von Christiane Jacke, Andreas Landwehr und Bastian Hartig, dpa

3.2.2023 - 18:46

Ein gewaltiger chinesischer Ballon schwebt über dem Norden der USA und sorgt für einen diplomatischen Eklat. Washington vermutet Spionage. Peking weist das zurück. Der Vorfall belastet die Beziehungen.

3.2.2023 - 18:46

Ein mysteriöser Ballon im amerikanischen Luftraum hat für neue schwere Spannungen zwischen den USA und China gesorgt: Die US-Regierung warf Peking Spionage vor und sagte einen Peking-Besuch von Aussenminister Antony Blinken am Freitag praktisch in letzter Minute ab.

China gab nach einigem Zögern zu, dass es sich um ein chinesisches Flugobjekt handelt. Der Ballon diene aber lediglich wissenschaftlichen Zwecken und sei von seiner Flugbahn abgekommen, bis in den Nordwesten der USA. Die US-Regierung blieb dagegen bei ihrer Einschätzung. Sie wertete die Aktion als Verstoss gegen die Souveränität der USA und internationales Recht.

Vorfall belastet angespannte Beziehungen zusätzlich

Blinken wollte ursprünglich noch am Freitag aufbrechen, um mit der chinesischen Führung in Peking Gespräche zu führen. Die Entdeckung des Ballons – so kurz vor dem Besuch – wurde in den USA als Provokation gewertet. Der Vorfall belastet die ohnehin angespannten Beziehungen der beiden Mächte zusätzlich.

Das US-Verteidigungsministerium hatte die Entdeckung am Donnerstagabend publik gemacht. Demnach wurde der Ballon bereits am Mittwoch über dem Bundesstaat Montana im Nordwesten gesichtet. Ein hochrangiger Pentagon-Mitarbeiter sagte, Verteidigungsminister Lloyd Austin habe die Führungsriege des Ressorts deshalb zusammengetrommelt. Auch Präsident Joe Biden sei informiert worden und habe militärische Optionen erbeten.

Abschuss des Ballons zu gefährlich

Es sei erwogen worden, den Ballon abzuschiessen, sagte der Beamte. Provisorisch wurden demnach auch F-22-Kampfjets in Bereitschaft versetzt und der Flugverkehr in Montanas grösster Stadt Billings vorübergehend eingestellt. Wegen der Gefahr durch herabfallende Trümmer sei am Ende aber die Entscheidung gefallen, den Ballon nicht zu zerstören. Es seien allerdings diverse Vorkehrungen getroffen worden, um sensible Informationen zu schützen.

Auf einem Stützpunkt der US-Luftwaffe in Montana lagern nach Angaben der Zeitung «Wall Street Journal» 150 mit Atomsprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen vom Typ Minuteman III. Die Spionagesysteme eines Ballons lieferten aber nur einen «begrenzten Mehrwert» im Vergleich zu Informationen, die China mit Satelliten sammeln könne.

«Derzeit gehen wir davon aus, dass dieser Ballon nur einen begrenzten Zusatznutzen für die Informationsbeschaffung hat», hiess es auch aus dem Pentagon. Schon in der Vergangenheit habe es ähnliche Vorfälle gegeben. Diesmal halte sich der Ballon aber länger als sonst über den USA auf. Er stelle keine militärische Bedrohung oder Gefahr für Menschen am Boden dar. Auch für Flugzeuge sei der Ballon aufgrund seiner extremen Flughöhe ungefährlich. Der Pentagon-Beamte sagte, Peking sei auf verschiedenen Kanälen kontaktiert worden. «Wir haben ihnen deutlich gemacht, wie ernst wir diese Sache nehmen.»

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Peking weist Spionagevorwurf zurück

Die chinesische Regierung warnte zunächst vor übereilten Spekulationen. Später folgte eine weitere Erklärung: Das Aussenministerium in Peking wies den Spionagevorwurf zurück, gab aber eine Überschreitung der Grenze zu. Es habe sich um ein «ziviles» chinesisches Luftschiff für Forschungszwecke vor allem meteorologischer Art gehandelt, das durch starke Westwinde «weit von seinem geplanten Kurs abgekommen» sei. «China bedauert den unerwarteten Eintritt in den Luftraum der USA durch höhere Gewalt.»

Die US-Regierung gab sich damit nicht zufrieden, sondern liess die fürs Wochenende geplante Peking-Reise – erster Besuch eines US-Aussenministers seit 2018 – platzen. Ein hochrangiger Blinken-Mitarbeiter sagte, man habe das Bedauern aus Peking zur Kenntnis genommen. Dies sei jedoch eine «klare Verletzung unserer Souveränität». «Es ist nicht hinnehmbar, dass dies geschehen ist.» Angesichts dessen seien die Umstände für einen Besuch nicht gegeben. Blinken wolle die Reise aber nachholen. Die Kommunikationskanäle nach Peking blieben offen.

Beziehungen zwischen Peking und Washington schwer angespannt

Die Beziehungen zwischen den USA und China sind ohnehin schon schwer angespannt. Streitpunkte sind Chinas Rückendeckung für Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, chinesische Drohungen gegen Taiwan, Ansprüche Pekings im Südchinesischen Meer, der Handelskrieg und US-Exportkontrollen für Hochtechnologie. China wirft den USA vor, seinen Aufstieg eindämmen zu wollen und einen neuen Kalten Krieg zu verfolgen.

Aus den Reihen der US-Republikaner kamen laute Forderungen nach einer härteren Gangart. Der republikanische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, wertete die Ballon-Aktion als «dreiste Missachtung der US-Souveränität». Biden dürfe dazu nicht schweigen.

Der frühere Pentagon-Chef Mark Esper, der unter dem republikanischen Präsidenten Donald Trump im Amt war, sprach von einer «dreisten Aktion». Dem Fernsehsender CNN sagte Esper: «Die Chinesen spionieren uns schon seit Jahrzehnten aus.» Auf politischer Ebene müsse es eine klare Ansage geben, dass sich die USA das nicht gefallen liessen. «Man muss den Chinesen auf Augenhöhe begegnen», mahnte er. «Sie reagieren nur auf Entschlossenheit.»

Von Christiane Jacke, Andreas Landwehr und Bastian Hartig, dpa