Kanton St. GallenBehörden schauten bei illegalen Adoptionen weg
gn, sda/amo
7.7.2022 - 18:05
Illegal aus Sri Lanka adoptiert: Nun hilft der Bund
Der Bundesrat will Menschen, die zwischen 1973 und 1997 aus Sri Lanka adoptiert wurden, bei der Suche nach ihren leiblichen Eltern helfen. Damals schauten die Behörden trotz «erheblichen Unregelmässigkeiten» weg.
16.05.2022
Die St. Galler Behörden haben bei Adoptionen aus Sri Lanka zwischen 1973 und 2002 die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten. In einem am Donnerstag präsentierten Forschungsbericht ist von schwerwiegenden Mängeln die Rede.
gn, sda/amo
07.07.2022, 18:05
SDA/amo
Hunderte als Kleinkinder illegal aus Sri Lanka in die Schweiz Adoptierte wissen auch nach Jahrzehnten nicht, wer ihre leiblichen Eltern sind. Im Kanton St. Gallen wurden im fraglichen Zeitraum insgesamt 85 Kinder – vor allem Mädchen jünger als sechs Monate – aus Sri Lanka adoptiert.
Im Auftrag des Kantons erstellte ein Forschungsteam für jedes adoptierte Kind ein digitales Dossier. Die Auswertung zeigt, dass die involvierten kommunalen und kantonalen Behörden die damals geltenden Vorschriften in hohem Mass nicht umsetzten.
«So ist in keinem einzigen analysierten Verfahren überliefert, dass sämtliche damals geltenden Gesetzesvorschriften eingehalten worden wären», sagte die Historikerin Francesca Falk.
Den Kindern sei keine gesetzliche Vertretung zur Seite gestellt, das Pflegeverhältnis mangelhaft beaufsichtigt oder aber Kinder Paaren zugesprochen worden, ohne vorgängig die dort vorherrschenden Verhältnisse ausreichend abzuklären.
Fünf Säuglinge aus Sri Lanka gelangten nach St. Gallen, obwohl keine Geburtsscheine überliefert sind, wie es in der Studie weiter heisst. Insgesamt 40 Geburtsscheine würden Ungereimtheiten aufweisen.
Vermittlerin soll Kommerzialisierung bewusst gewesen sein
Deutliche Hinweise auf die Kommerzialisierung des Adoptionswesens seien nicht beachtet worden. Zur Sprache kommt dabei auch die 1997 verstorbene Adoptionsvermittlerin Alice Honegger. Ihre Tätigkeit sei zwar damals von vielen Seiten kritisiert, aber nur während einer kurzen Zeit unterbunden worden.
Erstmals zugängliche Quellen zeigten auf, dass «Alice Honegger bewusst gewesen sein muss, in kommerzielle Adoptionen verwickelt zu sein», sagte Falk. Honegger sei während fast 50 Jahren federführend bei der Vermittlung der Kinder gewesen. «Adoption ist a very easy matter in Switzerland», habe sie dem für Auslandsadoptionen zuständigen Commissioner in Colombo mehrmals schriftlich versichert.
Weitere Schlüsselfiguren bei den illegalen Adoptionen waren laut dem Bericht mehrere sri-lankische Anwältinnen und Anwälte. Sie verlangten bis zu 15'000 Dollar für die Vermittlung der Säuglinge. Alice Honegger kooperierte mit den Anwälten, die Ehepaare profitierten.
Weiterführende Recherchen in sri-lankischen Archiven wären eminent wichtig, sagte die Historikerin. Mit mündlichen Befragungen solle auch den Betroffenen und ihren leiblichen Eltern Gehör verschafft werden.
Besondere Verantwortung
Die St. Galler Regierung anerkenne die Verantwortung des Kantons für die einstigen Verfehlungen in kantonaler Zuständigkeit, sagte SP-Regierungsrätin Laura Bucher. Der Kanton wolle die Betroffenen bei der Herkunftssuche unterstützen und die Problematik umfassend historisch aufarbeiten. Neben dem Bund unterstützen auch die Kantone das Betreuungskonzept des Vereins «Back to the Roots».
Der Kanton St. Gallen, der damals die fragwürdige Arbeitsweise von Alice Honegger toleriert habe, stehe in einer besonderen Verantwortung, sagte Vereinspräsidentin Sarah Ineichen. Die Angaben in den Akten seien konsequent gefälscht worden. «Vielen von uns bleibt deshalb das Recht verwehrt, die eigene Identität zu kennen», so Ineichen.
Die Nachfrage nach der Anlaufstelle von «Back to the Roots» sei sehr gross und werde mit jedem neuen Bericht wachsen. Die Aufarbeitung der illegalen Adoptionen in der Schweiz wurde ausgeweitet. Der Bundesrat gab eine ergänzende Studie in Auftrag, die klären soll, ob es auch bei Adoptionen aus anderen Herkunftsländern systematische Unregelmässigkeiten gab.