Das Massaker vom 4. Juni 1989Das Tiananmen-Massaker wird auch nach 30 Jahren noch totgeschwiegen
Von David Eugster
3.6.2019
Das Massaker am Tiananmen-Platz in Peking jährt sich zum dreissigsten Mal. Die hoffnungsvolle Bewegung für Demokratie wurde in der Nacht auf den 4. Juni 1989 blutig niedergeschlagen. Wie kam es dazu?
Am 18. Mai 1989, 11 Uhr, in der Grossen Halle des Volkes, Peking: Draussen besetzten ungefähr eine Million Menschen den Platz des Himmlischen Friedens. Drinnen filmte das chinesische Fernsehen, wie Premierminister Li Peng mit einer Delegation protestierender Studenten diskutierte, die mit roten Schriftzeichen bemalte Stirnbänder trugen und matt in den Stühlen hingen. Sie befanden sich im Hungerstreik, einige wurden sogar künstlich ernährt. Doch der Diskussionston war entschlossen und schroff.
Einer der Studenten drohte dem Premierminister sogar mit erhobenem Finger und betonte, der Platz werde nicht geräumt werden, solange die Regierung nicht auf die Protestierenden zugehe. Die Studenten schienen die Oberhand über die Regierung erlangt zu haben, und Premier Li Peng wirkte gedemütigt.
Wochen der Hoffnung
Die Protest-Bewegung hatte sich den Tiananmen-Platz, zu Deutsch Platz des Himmlischen Friedens, nicht zufällig ausgewählt. Entzündet hatte sich der Protest und mit ihm die die Besetzung des Platzes Mitte April 1989 aus Trauer über den Tod von Hu Yaobang, der hier aufgebahrt worden war. Der Verstorbene war der ehemalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) und stand für eine Lockerung der chinesischen Regimes in den 1980er Jahren ein. Diese Reformen drohten nun mit ihm beerdigt zu werden.
Viele fürchteten sich vor der Wiederaufnahme der «Kampagne gegen geistige Verschmutzung», die Anfang der 1980er Jahre die westlichen Einflüsse zurückzudämmen versuchte. Studenten nahmen die Trauerfeierlichkeiten zum Anlass für Vorlesungsboykotts, es folgten Sit-ins von 10'000 Studierenden auf dem Tiananmen-Platz. Korrespondenten berichteten damals begeistert von der aufgelockerten, fast festlichen Stimmung inmitten des damals sonst eher als unfreundlich bekannten Pekings.
Im Verlauf der Wochen entwickelte sich der Platz in der Mitte Pekings zum Zentrum einer Volksbewegung der Unzufriedenen, die verschiedenste Dinge forderte. Einen gemeinsamen Nenner fand man im Ruf nach Presse- und Meinungsfreiheit, Demokratisierung und der Bekämpfung von Korruption.
Umsturzängste und fallende Maultaschen
Die chinesische Regierung reagierte von Anfang an abweisend auf die Proteste, sie diffamierte sie als Umsturzversuch einer antisozialistischen Minderheit. Das erzürnte die Studierenden, denn sie selbst sahen sich als patriotische Erneuerungsbewegung. Als die Regierung nach bald einem Monat noch immer nicht auf ihre Gesprächsangebote eingegangen war, entschlossen sich Mitte Mai Tausende zu einem Hungerstreik auf dem Platz des Himmlischen Friedens und erreichten so endgültig die Sympathie die Weltöffentlichkeit.
Am 15. Mai empfing Deng Xiaoping, der als direkter Nachfolger Mao Tse Tungs China ohne klaren Titel führte, Michail Gorbatschow, den Präsidenten der Sowjetunion. Gorbatschow wurde von den Protestierenden als Erneuerer gefeiert – die chinesische Regierung führte ihn verschämt an den Massen vorbei. Beim Abendessen mit dem russischen Reformpolitiker Abend fiel Deng Xiaoping beim Staatsbankett eine Maultasche von seinen Ess-Stäbchen. Viele sahen in seinem Zittern, das ebenfalls im Fernsehen übertragen wurde, den Anfang vom Ende des harten Kurses der Partei.
Dann endlich machte die Partei ein Zugeständnis: Präsident Li Peng erklärte sich dazu bereit, mit den Studierenden zu sprechen. Am 18. Mai 1989 war die Stimmung auf dem Platz ausgelassen und hoffnungsvoll. Nur die Flugblätter der Hungerstreikenden glichen Klageliedern: «In unserer blühenden Jugend bleibt uns keine andere Wahl, als die Schönheit des Lebens aufzugeben. Durch den Tod erwarten wir ein weitreichendes, ewiges Echo. Wenn ein Vogel im Sterben liegt, ist sein Schrei am klagendsten.»
Sie sollten Recht erhalten: Denn während Premierminister Li Peng in der Grossen Halle des Volkes Dialogbereitschaft signalisierte, wusste er bereits, dass es eigentlich nicht mehr viel zu diskutieren gab. Er ist an diesem Morgen direkt von einer Sitzung des Ältestenrats, in der der Ausnahmezustand beschlossen worden war, zur Diskussion gefahren. Landesvater Deng Xiaoping meinte angesichts der Aufruhrs: «Zweihundert Tote können China zwanzig Jahre Frieden bringen.»
Die Armee rückt an
Diejenigen in der Partei, die Sympathien für die Bewegung zeigten, wurden in den nächsten Tagen endgültig an den Rand gedrängt. Am 20. Mai warfen Helikopter Flugblätter über dem Tiananmen-Platz ab, die davor warnten, weiter zu protestieren. Panzer und fast zwei Dutzend Truppendivisionen versuchten in die Mitte Pekings vorzurücken. Die Menge auf dem Platz setzte sich darüber hinweg.
Die Bevölkerung redete auf die Soldaten ein, beschimpfte und blockierte sie. Hunderte Motorradfahrer, die «Fliegenden Tiger», fuhren als Späher durch die Stadt und berichteten den Protestierenden vom Vorgehen der Armee. Strassenbarrikaden aus Bussen wurden errichtet, die Wut galt nun insbesondere Li Peng: «Nieder mit der Marionette Li Peng» wurde gerufen. Tage später errichtete man eine «Göttin der Freiheit» aus Styropor und Gips auf dem Platz, Leute tanzten ausgelassen an Rockkonzerten.
Der Rock-Song «Nothing To My Name» von Cui Jian wurde zu einer Hymne der Protestbewegung auf dem Tiananmen-Platz.
In den folgenden Tagen kam es immer wieder zu Zusammenstössen mit der Polizei. Die Protestierenden warfen mit Steinen nach den Beamten, wehrten sich mit improvisierten Waffen. Die Armee wirkte handlungsunfähig – denn noch war den Soldaten der Waffeneinsatz verboten. Für die Demonstranten roch es nach Sieg.
Menschen flüchten in Panik
Am 3. Juni 1989 traf sich die Parteispitze der KPC zu einer Sondersitzung. Li Peng forderte nun, dass die Armee «unbarmherzig» durchgreifen solle. Noch am Abend des 3. Juni begann die Räumung des Tiananmen-Platzes, die Grosse Halle des Volkes wurde zuerst besetzt.
Um 22 Uhr forderte die Regierung die Bevölkerung Pekings dazu auf, nach Hause zu gehen oder die Innenstadt zu meiden. Doch noch immer strömten Menschen auf den Platz. Im Glauben, die Truppen würden keine scharfe Munition verwenden, bewarfen sie die Soldaten mit Steinen. Um 22.30 Uhr begann die Armee, in die Menge zu schiessen. Menschen flüchten in Panik rückwärts, etliche wurden niedergetrampelt.
Überall in der Stadt schossen die Soldaten nun. Um Mitternacht fuhren die ersten Panzer auf den Platz. Molotow-Cocktails flogen, der Platz des Himmlischen Friedens brannte. Doch noch standen 5'000 Protestierende auf dem Platz. Erst um drei Uhr war der Kampf um den Platz entschieden: Die Demonstranten zogen ab, der Protest auf dem Tiananmen-Platz war besiegt.
Die Bewegung, die ganz China erfasste, wurde in den nächsten Tagen zerschlagen. In den Strassen Pekings kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Armee und den Protestierenden. Viele von ihnen gingen nach der Niederschlagung ins Exil, andere lagen mit Schüssen im Rücken auf Pekings Strassen.
Aufstieg zur ökonomischen Weltmacht
Die Weltöffentlichkeit schaute erstarrt nach China – sogar die DDR-Führung hielt explizit fest, sie wolle keine Tiananmen-Lösung in der Auseinandersetzung mit der eigenen Bevölkerung. Die Niederschlagung der Proteste in China stand als abschreckendes Beispiel am Anfang des Endes des Kalten Krieges.
Im Herbst 1989 fiel die Mauer, die Deutschland teilte, friedliche Revolutionen veränderten den Ostblock. 1991 zerfiel auch die Sowjetunion. Doch in China regierte weiterhin Li Peng, der nach Tiananmen viel um die Welt reiste und mächtige Hände schüttelte. Es galt, wirtschaftlichen Sanktionen entgegenzuwirken.
1992 durfte Premier Li Peng am World Economic Forum in Davos sprechen: Er sprach von Öffnung und Reformen, vor allem aber vom wirtschaftlichen Aufstieg Chinas. Beim Abendessen überzeugte er Nelson Mandela von den Vorzügen der ökonomischen Privatisierung. In der Erinnerung erscheint Li Peng heute nicht mehr als der «Schlächter von Tiananmen», wie er in China unter der Hand lange genannt wurde, sondern als Strahlegesicht des chinesischen Wirtschaftswunders.
Wie viele Menschen in jener Nacht im Sommeranfang 1989 getötet wurden, bleibt unklar. Die Regierung spricht von 200 Menschen, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International gehen hingegen von bis zu 3'000 Toten aus. China hat den Zugang zum Netz in den letzten Wochen massiv eingeschränkt und die Überwachung um und auf dem Platz des Himmlischen Frieden hochgefahren – das Sprechen über Tiananmen ist noch immer nicht wirklich möglich.
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