Presseschau «Trumpifizierung britischer Politik»: Das Medienecho zum Johnson-Sieg

dpa

13.12.2019

Boris Johnsons Sieg bei der britischen Wahl sorgte für ein grosses Medienecho.
Boris Johnsons Sieg bei der britischen Wahl sorgte für ein grosses Medienecho.
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Boris Johnson triumphiert, die britischen Medien analysieren. Von «Trumpifizierung» der britischen Politik ist die Rede.

Boris Johnson hat mit einer breiten Mehrheit die Parlamentswahl in Grossbritannien für sich entschieden. Der Sieg der Konservativen fand in britischen und internationalen Medien am Freitag ein breites Echo:

«The Times» (Grossbritannien)

«Boris Johnson ist ein aussergewöhnliches politisches Manöver gelungen. Er übernahm die Führung der Konservativen in einem Moment, in dem seine Partei zwischen der Brexit-Partei und den Liberaldemokraten kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen schien. Jetzt hat er einen grossen Sieg errungen. Er und Dominic Cummings haben ihr Timing und ihre Botschaft richtig hinbekommen. Sie waren auch skrupellos darin, ihre Koalition zusammenzuschweissen. (...)

Sie verliessen sich auch auf ihr Glück, der grösste Teil davon war Jeremy Corbyn. Er sorgte dafür, dass die gemässigteren Konservativen die Tories wählten, obwohl sie Zweifel an Boris Johnson hatten. Er vereinte weder die liberale Linke noch die Mitte hinter einer Leitlinie zum Aufhalten des Brexits oder die traditionelle Labour-Wählerschaft hinter einem populistischen Manifest. Er war nicht in der Lage, sich der Rücksichtslosigkeit von Johnson und Cummings zu widersetzen.»

«The Telegraph» (Grossbritannien):

«Man kann sich kaum daran erinnern, wann die schottischen Nationalisten nicht selbstbewusst daherkamen, aber wir können davon ausgehen, dass ein voraussichtlicher Erdrutsch(sieg) der SNP bei dieser Wahl dazu führen wird, dass sie in der nächsten Woche in Westminister herumstolzieren werden. (...)

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon ist in einer paradox gefährlichen Lage: Ihre Aktivisten erwarten ein weiteres Referendum, während sie darauf bestanden hat, dass es auf der gleichen Basis wie das Referendum von 2014 organisiert werden muss – mit Zustimmung der britischen Regierung.

Wenn es eine solche Zustimmung gibt – und die Zeichen dafür stehen schlecht, wie auch immer das Ergebnis der Parlamentswahlen in Schottland am Ende aussehen wird –, wird (Sturgeon) zwischen dem Baum ihrer eigenen Partei und der Borke der Downing Street 10 stecken. Eine rechtliche Anfechtung von Johnsons Position ist zu erwarten. Scheitert das, wird sich Sturgeon in einem ungemütlichen verfassungsmässigen und rechtlichen Raum wiederfinden.»

«The Independent» (Grossbritannien):

«Die gesamte Landschaft der britischen Politik verändert sich. Die ‹rote Mauer› (der Labour-Partei) zerbröckelt. Denn was wir durchaus beobachten können, sind die Trumpifizierung der britischen Politik und die Umformung des alten konservativen Bundes in eine getriebene populistische Bewegung ohne feste Grundsätze und mit mehr als nur Anzeichen eines Personenkults.

Zweifellos wird Grossbritannien die EU im kommenden Monat formell verlassen. Der Premierminister hat dafür ein Mandat gewonnen, wenngleich mithilfe zweifelhafter Ankündigungen, und seine persönliche Autorität sowie die parlamentarische Arithmetik bedeuten, dass er seinen Austrittsdeal leicht durch das Parlament bekommen wird. Doch damit ist der Brexit noch nicht fertig. Dies ist erst das Ende der ersten Phase.»

«Financial Times» (Grossbritannien)

«Die gute Nachricht ist, dass drei Jahre der politischen Lähmung vorbei sind. Endlich ist, ob gut oder schlecht, der Weg zum Brexit klar; Grossbritannien hat sich vom Hardline-Sozialismus abgewandt und das Land hat wenigstens eine stabile Regierung mit einer arbeitsfähigen Mehrheit. Das Ergebnis ist ein riesiger persönlicher Triumph für Boris Johnson.

Die weniger gute Nachricht ist, dass das Land nun bald herausfinden wird, dass mehr als die Stimmabgabe bei einer Wahl erforderlich ist, um den ‹Brexit zu vollenden›, dass Boris Johnson nun unkontrolliert in die nächste Runde der EU-Verhandlungen gehen wird und dass eine gewaltige nationalistische Aufwallung in Schottland durchaus ein neues Unabhängigkeitsreferendum einläuten könnte. Selbst bei all ihrem Jubel könnten die Konservativen fürchten, dass sie zwar den Brexit gesichert, aber das Vereinigte Königreich verloren haben.»

«The Guardian» (Grossbritannien)

«Der Höhepunkt ist wirklich überschritten und die Wahrheit ist ein fremdes Land geworden. Und es sind die Tories, die die schlimmsten Übeltäter waren und jeden Trick aus dem Steve-Bannon-/Donald-Trump-Spielbuch übernommen haben. Warum eine kleine Lüge erzählen, wenn du mit einer grossen noch besser dran bist? Und wenn du beim Lügen erwischt wirst, entschuldige dich nie. Setz einfach noch einen drauf. Erzähl eine Lüge oft genug, dann werden einige Leute es glauben. Und eine beachtliche Zahl war dumm genug gewesen, auf (Johnsons Slogan) ‹Get Brexit done› (den Brexit erledigen) hereinzufallen. Die ungeheuerlichste Lüge überhaupt.

Es war weniger eine Wahl als vielmehr ein Unbeliebtheitswettbewerb. Boris und Corbyn waren im ganzen Land sehr unbeliebt und ihnen wurde misstraut. Worum es wirklich ging, war, welcher Führer am wenigsten gehasst wurde. Ein Rennen, das Boris mühelos gewann. Niemand erwartete von ihm, dass er die Versprechen einhielt, die er gemacht hatte, aber man machte sich darüber weniger Sorgen als über die Versprechen, die Labour einhalten könnte.»

«Corriere della Sera» (Italien)

«Europa verliert London, dieses Mal wirklich. Die älteste Demokratie der Welt war in der Nacht zum 23. Juni 2016 in ein Labyrinth eingetreten. Dreieinhalb Jahre der Verhandlungen und Überlegungen; eine vorgezogene Wahl, die nichts gelöst hatte; der Sturz Theresa Mays; das Eintreten Boris Johnsons. Die wahre Nacht des Brexits ist diese hier. Wenn die Prognosen sich bestätigen, könnte der Premier jetzt einen grösseren Handlungsspielraum haben: Auch, um einen weichen Austritt zu verhandeln, der die Rechte der ausländischen Arbeitnehmer und die Freiheit des Handelsaustauschs garantiert. Boris Johnson hatte für diese historischen Wahlen auf den Brexit gesetzt. Er hat gewonnen.»

«NRC Handelsblad» (Niederlande)

«Die politische Landschaft Grossbritanniens ist gewaltig erschüttert worden. Wenn sich die Vorhersagen bewahrheiten, wird nicht nur das Unterhaus anders aussehen, auch der Ton der Debatte wird sich verändern und die politischen Lager werden völlig unterschiedliche Merkmale haben. Das vertraute Bild der Patt-Abstimmungen im Parlament über den Brexit wird es nicht mehr geben. Premierminister Boris Johnson steuert auf einen Erdrutschsieg von 368 Sitzen zu. Wenn er nächste Woche einen Gesetzentwurf einreicht, um einen britischen Austritt aus der EU vor dem 31. Januar 2020 zu veranlassen, wird das Unterhaus dem zustimmen. (...)

Die Basis für seinen Sieg liegt in Mittel- und Nordengland, in Städten, die jahrzehntelang, manchmal fast hundert Jahre lang, in den Händen von Labour waren. Die Tories gewannen in Gebieten wie Blyth Valley, einem ehemaligen Bergbaugebiet, in dem die Konservativen gehasst wurden (...) Dies sind Gegenden, wo der Brexit gewollt wird. Aber es sind auch Gebiete, wo die Armut gross ist und es Probleme mit Sozialleistungen und mangelnder Gesundheitsversorgung gibt. Die neuen Konservativen müssen das im Blick haben, wenn sie sich das Vertrauen ihrer Wähler bewahren wollen.»

«Neue Zürcher Zeitung» (Schweiz)

«Sein gebetsmühlenartig vorgetragener Slogan ‹Bringen wir den Brexit hinter uns› hat seine Wirkung offensichtlich nicht verfehlt. Die meisten Brexit-Anhänger – unter ihnen eine beachtliche Anzahl traditioneller Labour-Wähler – haben ihre Stimme für die Tories eingelegt. (...) Der nun zu erwartende EU-Austritt am 31. Januar wird zur Überraschung vieler Briten nur eine kurze Atempause bringen. Denn ‹ofenfertig› ist der Brexit, anders als vom Premierminister im Wahlkampf behauptet, keineswegs.

Im Februar wird zunächst die vereinbarte Übergangsfrist beginnen, und das Drama geht dann sogleich in die nächste Runde: Es folgen die komplexen Verhandlungen über das künftige Verhältnis Grossbritanniens zur EU. Ein Abkommen muss in der kurzen Frist bis Ende 2020 erreicht werden – eine Verlängerung hat Johnson bereits ausgeschlossen. Falls bis dann kein Vertrag vorliegt, droht erneut der Absturz in ein ‹no deal›-Szenario. Man wäre mit anderen Worten wieder zurück auf Feld eins.»

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