32 Tage vor der US-Wahl bricht die Nachricht von der Infektion des Präsidenten in den aufgeheizten Wahlkampf. Wie es bei der wohl wichtigsten Wahl des Jahres nun weitergeht und was dies für die Nation bedeutet, ist völlig offen.
Ein ohnehin dramatischer US-Wahlkampf wird nochmal unübersichtlicher – nur einen Monat vor dem Urnengang der gespaltenen Supermacht. US-Präsident Donald Trump ist mit dem Coronavirus infiziert. Je nachdem, wie der Gesundheitszustand des Präsidenten sich in den kommenden Tagen entwickelt, sind gravierende Szenarien denkbar. Aber schon jetzt ist klar, dass die Infektion Folgen haben wird.
Was ist zu Trumps Infektion bislang bekannt?
Trumps Leibarzt Sean Conley erklärte, am Donnerstagabend habe er das positive Testergebnis erhalten. Donald und Melania Trump gehe es gut – ob das bedeutet, dass sie keinerlei Symptome einer Covid-19-Erkrankung haben, blieb offen. Auf Twitter schrieben US-Journalisten, dass sie während seines Interviews am Abend schon etwas Verändertes an seiner Stimme haben hören wollen. «Seien Sie versichert, dass ich erwarte, dass der Präsident während der Genesung weiterhin ohne Unterbrechung seinen Pflichten nachkommen wird», schrieb Conley. Der Präsident und die First Lady wollen demnach im Weissen Haus bleiben. Trump äusserte sich optimistisch: «Wir werden das GEMEINSAM durchstehen», schrieb er auf Twitter.
Was ist über Trumps Gesundheitszustand bekannt?
Trump ist 74 Jahre alt. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) steigt bei Coronavirus-Infektionen das Risiko einer schweren Erkrankung ab 50 bis 60 Jahren stetig mit dem Alter an. Als weitere Risikofaktoren gelten Vorerkrankungen wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Zu Trumps generellem Zustand wird einmal im Jahr ein Gesundheitscheck veröffentlicht – dies ist bei US-Präsidenten üblich. Trump-Arzt Conley schrieb in seinem jüngsten Bericht Anfang Juni, der Präsident sei weiterhin gesund. Trump wog damals gut 110 Kilogramm. Mit seiner Körpergrösse von etwa 1,90 Metern lag Trump bei der Berechnung des Body-Mass-Index damit weiter ganz knapp oberhalb der Schwelle von 30, ab der man in der Statistik als fettleibig gilt.
Wer übernimmt die Macht, wenn ein US-Präsident ausfällt?
Die Vertretungsregelung für einen vorübergehend nicht geschäftsfähigen US-Präsidenten wurde erst in den 1960er Jahren formalisiert. Im 25. Zusatz zur US-Verfassung, 1967 von Präsident Lyndon B. Johnson unterzeichnet, ist unter anderem festgehalten, dass die Geschäfte vom Amtsinhaber dem Vize-Präsidenten übergeben werden können – für einen bestimmten Zeitraum, oder bis auf Widerruf. Sollte ein Präsident nicht willens oder in der Lage sein, seinen Ausfall selbst zu regeln, können der Vize-Präsident und eine Mehrheit der Kabinettsmitglieder dem Kongress anzeigen, dass der Vize die Amtsgeschäfte übernimmt. Dies ist allerdings seit Inkrafttreten des Amendments noch nicht vorgekommen.
Der Verfassungszusatz regelt auch die Nachfolge für den Fall des Todes, Rücktritts oder einer Amtsenthebung: Dann hätte der bisherige Vize-Präsident alle Vollmachten – in Trumps Fall also Mike Pence. Falls auch Pence ausfiele, wäre die Sprecherin des Repräsentantenhauses am Zug, die Demokratin Nancy Pelosi.
Was bedeutet Trumps Infektion für den US-Wahlkampf?
Der Präsident und die First Lady sind im Weissen Haus in Quarantäne. Vorerst gibt es also keine öffentlichen Termine mehr. Das wirft 32 Tage vor der Wahl und 13 Tage vor der nächsten TV-Debatte die gesamte Dynamik um. Wie es mit dem Wahlkampf weitergeht: offen. Ganz zu schweigen davon, was wäre, falls Trump tatsächlich ernsthaft erkranken sollte.
Aber auch falls Trump die Infektion ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen übersteht, dürfte dies Auswirkungen haben. Womöglich richtet sich nun – mehr noch als sonst – alle Aufmerksamkeit auf den Republikaner, während dieser nicht öffentlich Rede und Antwort stehen muss. Für die Demokraten eine unerwartete Situation, die zum Umplanen zwingt.
Andererseits dürften Kritiker sich bestätigt fühlen, die Trump vorwerfen, das Virus stets heruntergespielt zu haben. Ein Wahlkampf-Trumpf des Trump-Lagers ist die vom Präsidenten angestrebte schnelle Nachbesetzung eines Richterposten am höchsten US-Gericht, dem mächtigen Supreme Court – Trumps Infektion könnte nun dafür sorgen, dass diese brisante Personalie nicht ganz so stark die Schlagzeilen bestimmt wie erwartet.
Kurz: Es ist noch unklar, ob die Infektion Trump letztlich schadet oder er womöglich sogar profitiert. Auf Twitter wurde umgehend und wild über ein Wahlkampfmanöver spekuliert, ohne dass es dafür den geringsten Beweis gibt – auch ein Symptom für die gereizte Stimmungslage.
Könnte der Wahltermin verschoben werden?
Die Hürden für eine Verschiebung sind extrem hoch, weil der Termin seit 1845 gesetzlich festgeschrieben ist. Nötig wäre eine Änderung durch den Kongress, die noch dazu vor Gerichten angefochten werden könnte. Im Kongress wird das Repräsentantenhaus von den Demokraten kontrolliert. Zudem wären auf diesem Weg nur einige Wochen zu gewinnen, denn der weitere Zeitplan ist in der Verfassung festgeschrieben und damit noch starrer. Der Starttermin für den neuen Kongress ist demnach der 3. Januar, der Amtsantritt des neuen Präsidenten am 20. Januar. Die Frage hatte in diesem Jahr schon eine Rolle gespielt: Der Präsident hatte im Juli eine Verschiebung ins Gespräch gebracht, bevor er sich wieder von der Idee distanzierte.
Wie hat Trump sich bislang in der Corona-Krise verhalten?
Trump trägt in der Öffentlichkeit meistens keine Maske und hat sich mehrfach abfällig über das Masken-Tragen seinen Herausforderer Joe Biden geäussert – zuletzt am Dienstag. Trump und das Weisse Haus führten als Begründung stets an, der Präsident und sein Umfeld würden regelmässig auf das Coronavirus getestet.
Der politische Kurs des Präsidenten in der Krise steht scharf in der Kritik. Die Pandemie wütet in den USA besonders heftig, mehr als 200 000 Menschen in dem Land sind bereits im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 gestorben. Doch der Präsident fiel vor allem damit auf, China, die Weltgesundheitsorganisation oder demokratische US-Gouverneure Verantwortung zuzuschieben – und schnell das Wiederöffnen der Wirtschaft in den Vordergrund zu rücken.
In einem Interview des Investigativreporters Bob Woodward räumte er ein, die Gefahr durch das Virus heruntergespielt zu haben. Der Präsident führte zu seiner Verteidigung an, keine Panik in der Bevölkerung auslösen zu wollen. Trump selbst betonte aber jüngst, ohne das Krisenmanagement seiner Regierung hätten die USA «zwei Millionen, zweieinhalb Millionen und drei Millionen» Tote zu beklagen.
Wie geht es Joe Biden?
Biden (77), tritt als Gegenentwurf zu Trump an. Der einstige Vize von Trump-Vorgänger Barack Obama hatte sich wegen der Corona-Krise mit Vor-Ort-Auftritten demonstrativ zurückgehalten und trägt in der Öffentlichkeit auch stets eine Maske. Trump hat ihn dafür schon verspottet und dies als Zeichen von Schwäche dargestellt. «Wenn ich ein Psychiater wäre, würde ich sagen, der Junge hat eine Menge Probleme», sagte Trump.
Allerdings haben mehrere Umfragen gezeigt, dass die meisten US-Wähler dem früheren Vizepräsidenten Biden eher als Trump zutrauen, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Es wird interessant zu sehen, wie Biden nun auf die Infektion Trumps reagiert. Ob Biden in den jüngsten Tagen auf das Coronavirus getestet wurde, war zunächst nicht bekannt. Am Dienstag war er bei der ersten TV-Debatte auf Präsident Trump getroffen.
Welche Spitzenpolitiker hatten schon Corona?
Welche Spitzenpolitiker hatten schon Corona?
Grossbritanniens Premierminister Boris Johnson (56) war bereits zu Beginn der Pandemie im Frühjahr an Covid-19 erkrankt und musste zeitweise sogar auf der Intensivstation behandelt werden. Ähnlich wie Trump nahm es Johnson zu Beginn mit der Corona-Disziplin nicht so genau: «Ich schüttle weiterhin die Hand», liess er im Frühjahr verlauten. Doch seine schwere Erkrankung läuterte den Briten: «Ich kann ihnen nicht genug danken», sagte er kurz nach seiner Entlassung von der Intensivstation über seine Ärzte und Pfleger. «Ich verdanke ihnen mein Leben.»
Und dann gab es noch die Situation in Brasilien, die gewisse Parallelen zu der in den USA aufweist: Schlechtes Krisenmanagement, Zehntausende Tote und dann der Präsident selbst infiziert. Der rechte Präsident Jair Bolsonaro hat innenpolitischen Spannungen angeheizt, war dann selbst infiziert und hatte Corona verharmlost («kleine Grippe»). Seine Umfragewerte waren danach so gut wie lange nicht.
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