Beginn der Gegenoffensive? Ukrainische Truppen erreichen Ostseite des Dnipros

AP/tpfi

24.4.2023

Bakhmut in der Region Donezk ist Schauplatz schwerer Kämpfe mit russischen Truppen.
Bakhmut in der Region Donezk ist Schauplatz schwerer Kämpfe mit russischen Truppen.
Bild: Keystone/AP/Iryna Rybakova

Beobachter spekulieren über ein mögliches Anzeichen für den Beginn einer Gegenoffensive. Die ukrainische Seite äussert sich nicht.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die ukrainischen Truppen sind nach Analysen westlicher Experten im teilweise befreiten Gebiet Cherson nun auch auf die bisher von russischen Besatzern kontrollierte Uferseite des Flusses Dnipro vorgestossen.
  • Aus Geodaten und Texten russischer Militärblogger gehe hervor, dass die ukrainischen Streitkräfte Positionen am linken beziehungsweise Ostufer im Gebiet Cherson eingenommen hätten.
  • Unklar seien aber das Ausmass und die Ziele dieser erstmals so registrierten Erfolge der Ukrainer.

Die ukrainischen Streitkräfte haben nach Angaben von US-Beobachtern erfolgreich Stellungen auf der Ostseite des Dnipros errichtet. Die Einschätzung, die das Institute for the Study of War in Washington veröffentlichten, liess am Sonntag Spekulationen aufkommen, die Vorstösse könnten ein frühes Zeichen für die lang erwartete Gegenoffensive der ukrainischen Truppen sein. Aus den Reihen des ukrainischen Militärs wurde jedoch zur Geduld aufgerufen.

Das Institut berichtete am späten Samstag, Geodaten von kremlnahen Militärbloggern deuteten darauf hin, dass die ukrainischen Truppen in der Nähe der Stadt Oleschky Fuss gefasst hätten und über stabile Nachschublinien verfügten. Ukrainische Medien berichteten, die Errichtung solcher Stellungen deuteten auf den Beginn einer Gegenoffensive hin, die Sprecherin des ukrainischen Einsatzkommandos Süd mahnte jedoch zur Geduld.

Natalia Humeniuk bestätigte oder dementierte die Angaben nicht. Sie erklärte lediglich, Einzelheiten über militärische Operationen im Dnipro-Delta könnten aus operativen und Sicherheitsgründen nicht bekannt gegeben werden. Es sei sehr schwierig, ein Hindernis wie den mächtigen Fluss zu überwinden, durch den die Front verlaufe.

Russland dementiert

Der vom Kreml eingesetzte Verwaltungschef annektierten Region Cherson bestritt am Sonntag, dass ukrainische Streitkräfte sich am Ostufer des Dnirpo festgesetzt hätten. Wladimir Saldo teilte im Netzwerk Telegram mit, die russischen Streitkräfte hätten das Gebiet vollständig unter Kontrolle. Er vermutete, die Bilder, auf die sich ISW bezog, zeigten möglicherweise ukrainische Sabotageeinheiten, denen es gelungen sei, ein Foto über den Dnipro zu machen, bevor sie zurückgedrängt worden seien.

Beobachter gehen davon aus, dass im Fall einer ukrainischen Gegenoffensive der Ukraine im Frühjahr ein Hauptziel darin bestünde, den Landkorridor zwischen Russland und der annektierten Halbinsel Krim zu durchbrechen. Das würde die Überquerung des Dnipros im Süden des Landes erfordern.

Der ISW berichtete zudem, dass die ukrainischen Truppen nicht nur in der Nähe von Oleschky gefasst hätten, sondern sich auch dem nahe gelegenen Dorf Datschi näherten. Das Institut berief sich dabei auf Angaben russischer Militärblogger. In Mitteilungen im Netzwerk Telegram vom Donnerstag und Samstag behaupteten die Blogger laut ISW, dass die ukrainischen Streitkräfte diese Stellungen seit Wochen hielten und stabile Nachschublinien zu ihnen aufgebaut hätten. Das deute auf eine fehlende russische Kontrolle über das Gebiet.

Generäle drängen auf Konsoliderung

Die Nachrichtenagentur AP bestätigte die Beiträge der Blogger, aber es war nicht umgehend möglich, die von ihnen geteilten Daten unabhängig zu überprüfen.

Es wird erwartet, dass Russland im Frühjahr seine Angriffe verstärken könnte. Das ISW sah jedoch Anzeichen dafür, dass ranghohe russische Vertreter eher auf eine Konsolidierung bestehender Erfolge in der Ukraine als auf kostspielige neue Operationen drängen. Begründet wird dies mit fehlendem Material und nicht ausreichend Einsatzkräften.

London erwartet grosse Mobilisierungswelle

Das britische Verteidigungsministerium teilte mit, die russischen Behörden hätten eine gross angelegte Kampagne zur Rekrutierung zusätzlicher Soldaten gestartet. Sie setze auf soziale Medien, aber auch auf Plakate und Aufrufe im staatlichen Fernsehen. Russland werde sicherlich versuchen, eine neue Zwangsmobilisierung so lange wie möglich hinauszuzögern, um den Dissens im eigenen Land zu minimieren. Gleichzeitig vermutete das Ministerium in London, dass mit den jüngsten Bemühungen das erklärte Ziel des russischen Verteidigungsministeriums, 400’000 neue Freiwillige zu gewinnen, wahrscheinlich nicht erreicht werden würde.

Unterdessen wurde um die Stadt Bachmut im Osten des Landes weiter gekämpft. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sagte am Sonntag, das russische Militär habe zwei weitere Stadtteile im Westen von Bachmut erobert. Details nannte er nicht. Es war auch nicht klar, welche Teile der Stadt noch unter ukrainischer Kontrolle waren.