Burka-Verbot Umstrittene Ausnahmen beim Verhüllungsverbot

lt, sda

4.2.2022 - 00:00

Im Cabriolet gilt das Verhüllungsverbot nicht, da es sich um einen «privaten Raum» handelt. (Symbolbild)
Im Cabriolet gilt das Verhüllungsverbot nicht, da es sich um einen «privaten Raum» handelt. (Symbolbild)
Bild: Getty Images

Der Plan des Bundesrates, das sogenannte «Burka-Verbot» mit einem Artikel im Strafgesetz umzusetzen, kommt bei den Kantonen, Parteien und Verbänden gut an. Umstritten sind jedoch die verschiedenen Ausnahmen, sei es bei Demonstrationen, im Treppenhaus oder im Cabriolet.

Keystone-SDA, lt, sda

Seit der Annahme der sogenannten Burka-Initiative gibt es in der Schweizer Verfassung einen Artikel, der «die Verhüllung des eigenen Gesichts» im öffentlichen Raum oder an öffentlich zugänglichen Orten verbietet. Weil die Kantone einen Flickenteppich von Regeln befürchteten, baten sie Justizministerin Karin Keller-Sutter, auf Bundesebene ein Gesetz zur Umsetzung des Verbots auszuarbeiten.

In der Folge entschied der Bundesrat, dass er das Verhüllungsverbot in einem eigenen Artikel im Strafgesetzbuch verankern will. Dieser Ansatz wird von den Kantonen, Städten und Verbänden, die bis am Donnerstag Zeit hatten, sich in der Vernehmlassung dazu zu äussern, mehrheitlich begrüsst.

Einzig der Kanton Genf sprach sich für ein eigenständiges Gesetz aus, denn nur so könne man der «besonders heiklen Natur des Themas» gerecht werden. Die Änderung des Strafgesetzbuches hingegen sei «teuer und schwer, wenn nicht gar unmöglich umzusetzen».



Der Kanton Waadt seinerseits stört sich an der vagen und ungenauen Definition einer Gesichtsverhüllung im Gesetz: «Ist es ausreichend, eine Sonnenbrille, eine chirurgische Maske, einen Hut oder alles zusammen zu tragen?»

Kritik an 10'000 Franken Busse

Einzelne Kritik gibt es auch an der Höchststrafe gemäss Strafgesetzbuch, die bei einer Missachtung bis zu 10'000 Franken betragen könnte. Weil es sich dabei um ein Bagatelldelikt handle, verlangt die SP hier eine maximale Bussenhöhe von 1500 Franken.



Der Kanton Zug beantragt neben einer Höchstbusse unter 10'000 Franken auch ein vereinfachtes Verfahren: Es sei jetzt schon absehbar, dass die Übertretungen voraussichtlich von Touristinnen aus dem Ausland begangen werden dürften. Ein Strafverfahren mit Verzeigung an die Staatsanwaltschaft würde eine Bestrafung praktisch verunmöglichen. Mit einem Ordnungsbussverfahren hingegen könnten die Fälle rasch vor Ort geahndet werden.

Ausnahmen geben zu Reden

Daneben geben vor allem die zahlreichen Ausnahmen Anlass zu Diskussionen: Im Gesetzesentwurf steht, dass das Gesicht in Sakralstätten verhüllt werden darf, ebenso zum Schutz der Gesundheit, zur Gewährleistung der Sicherheit, zum Schutz vor klimatischen Bedingungen, zur Pflege des einheimischen Brauchtums, bei Auftritten zu Werbezwecken und bei Versammlungen im öffentlichen Raum, wenn dies für die Meinungsäusserungs- oder Versammlungsfreiheit notwendig sei.

Der Schweizerische Städteverband (SSV) kritisiert die Auflistung als kaum «für die Praxis taugliche und justiziable Strafnorm». Dazu seien diese Ausnahmen «zu weit und unpräzise formuliert oder nicht an objektiv überprüfbaren Kriterien oder Voraussetzung geknüpft».

Er fordert deshalb, die Ausnahmesituationen zu präzisieren und an Kriterien zu binden. Bei der Definition der Ausnahme bei Einzelauftritten und Versammlungen im öffentlichen Raum müsse eine alternative Formulierung geprüft werden. Der Kanton Bern wünschte sich hier eine «Vollzugsempfehlung», um eine Aushöhlung des Vermummungsverbots zu vermeiden.

Egerkinger Komitee gegen Demo-Ausnahme

Das Egerkinger Komitee, die Initiantin der Volksinitiative, möchte diesen Absatz sogar ganz weglassen: Es sei der Wille des Initiativkomitees gewesen, «kriminell motivierter Verhüllung» im Rahmen von Demonstrationen den «Riegel» zu schieben. Die Formulierung lasse jedoch «zu viele Schlupflöcher für missbräuchliche Gesichtsverhüllung» offen.



Auch die Kantone Solothurn und Zürich lehnen diesen Punkt ab: Beide Kantone erachten ihn als kaum umsetzbar. Für die SP dagegen ist die Ausnahme an Demonstrationen zentral. Es sei unabdingbar, dass auch in Zukunft Personen zum Schutz ihrer Persönlichkeit anonymisiert an Kundgebungen teilnehmen könnten.

Die Operation Libero ihrerseits möchte eine «ausdrückliche Ausnahme für religiöse Gesichtsschleier» im Gesetz verankern. Ansonsten stünde das Verhüllungsverbot in Widerspruch mit der Religionsfreiheit und dem Diskriminierungsverbot. Ausserdem fordert die Bewegung, dass explizit erwähnt wird, dass die «aufgeführten Ausnahmegründe nicht abschliessend sind.

Cabrio vs. Velo

Wie schwierig die Umsetzung darüber hinaus werden könnte, zeigen auch folgende Kritikpunkte am erläuternden Bericht des Bundesrates: Demnach darf das Gesetz nicht auf private Räume angewendet werden. Dazu gehören auch Fahrzeuge, die privat genutzt werden, wie Autos, Kutschen, Boote oder Cabrios, «unabhängig davon, ob die Verhüllung von aussen her sichtbar ist oder nicht».

Auf «Fortbewegungsmittel des Langsamverkehrs» wie Fahrräder, Trottinetts, Skateboards oder Inlineskates hingegen soll die Gesichtsverhüllung verboten werden. Denn dabei sei «ein gewisser Kontakt zum Publikum» normal, gleich wie bei Fussgängerinnen.

Für den Kanton Zug dürfte diese Unterscheidung für die Bevölkerung «nicht nachvollziehbar sein». Er verlangt deshalb, dass sie entweder besser verständlich gemacht wird oder aber alle Fahrzeuge und Fortbewegungsmittel gleich behandelt werden.

Treppenhaus und Waschküche

In diesem Zusammenhang fordert das Egerkinger Komitee eine weitere Verschärfung. Denn gemäss Bundesrat gelten als private Räume auch Balkone, Gärten, Höfe sowie gemeinsame Räume in Mehrfamilienhäusern wie Treppen, Waschküchen, gemeinsame Garagen oder Spielplätze. Dabei ist es irrelevant, ob eine verhüllte Person von öffentlichem Grund aus sichtbar sei oder nicht.

Ein No-Go für das Egerkinger Komitee: Denn es sei «gegenüber einer Mehrheitsgesellschaft in der Schweiz unzumutbar», wenn Mieterinnen und Mieter an solchen Orten «ganzkörperverhüllte Frauen hinnehmen» müssten. Deshalb verlangen die Initianten, dass das Verhüllungsverbot auch an allen privaten Plätzen gelten soll, «die von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar sind».

Für die SVP sind die vorgeschlagenen Ausnahmen inakzeptabel. Insbesondere den vom Bundesrat vorgeschlagenen Geltungsbereich lehnt die Partei ab. Die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum sei unbefriedigend. Auch in Gemeinschaftsräumen von Mietshäusern müsse das Verhüllungsverbot anwendbar sein.

SVP gegen Demo-Ausnahme

Zudem widerspreche das rein private Interesse, sein Gesicht aus Angst vor Diskriminierung bei einer Demonstration nicht öffentlich zu zeigen, dem Verhüllungsverbot, hält die SVP zur vorgeschlagenen Demo-Ausnahme fest, welche sie ablehnt.

Die Grünen wiederum begrüssen die vorgesehenen Ausnahmen vom Verbot. Am liebsten sähen sie es jedoch, dass das Verbot zur Gesichtsverhüllung auf kantonaler Ebene umgesetzt würde. Werde an einer nationalen Umsetzung festgehalten, so sei das Strafgesetzbuch der falsche Ort dafür. Das Anliegen gehöre wenn schon in ein eigenes Gesetz gegossen.

Die Busse für einen Verstoss gegen das Verhüllungsverbot sollte nach Ansicht der Grünen zudem möglichst niedrig gehalten werden und nicht über einen symbolischen Betrag von maximal zehn Franken hinausgehen.

Die Antworten der anderen Bundesratsparteien lagen bis am Donnerstagabend noch nicht vor. FDP hat eine Fristerstreckung beantragt, die Mitte nimmt nicht an der Vernehmlassung teil.