Covid-19 Ungereimtheiten bringen Astrazenecas Impfstoff in Misskredit

Von Maria Cheng, AP

24.3.2021 - 05:17

Ampulle mit dem Corona-Impfstoff von AstraZeneca.
Ampulle mit dem Corona-Impfstoff von AstraZeneca.
Bild: Keystone/dpa/Julian Stratenschulte

Wieder gibt es Verwirrung um Astrazenecas Covid-Impfstoff – diesmal um Ergebnisse einer breit angelegten Studie in den USA. Der Pharmakonzern will die Zweifel rasch ausräumen. Aber es könnte bereits bleibender Schaden entstanden sein.

24.3.2021 - 05:17

Am Montag sah es gut aus für Astrazeneca und die vielen Menschen, die sich von seinem Corona-Impfstoff Schutz erhoffen. Da legte der Pharmakonzern ermutigende Ergebnisse seiner grossangelegten Erprobung des Vakzins in den USA vor, und die Hoffnungen waren gross, dass nach einem mehr als holprigen Start der Markteinführung nun alles glatt laufen wird.

Aber nur Stunden später sorgten US-Gesundheitsbeamte für einen Dämpfer: In einer ungewöhnlichen Erklärung äusserten sie die Sorge, dass Astrazeneca teils «veraltete Informationen» präsentiert und «ein unvollständiges Bild von den Wirksamkeitsdaten» vermittelt haben könnte.

Schon früher hatte es bei der Vorlage von Daten Ungereimtheiten gegeben, und erst kürzlich lösten Berichte über das Auftreten von Blutgerinnseln in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit Astrazenecas Mittel Besorgnisse aus. Experten befürchten nun, dass die erneute Verwirrung die Reputation des Vakzins dauerhaft beschädigen und insgesamt das Vertrauen in Impfstoffe beeinträchtigen könnte.

«Das wird wahrscheinlich mehr Zögern bei Impfungen auslösen», sagt beispielsweise Paul Hunter, Medizinprofessor an der britischen University of East Anglia. Dabei gilt das in Zusammenarbeit mit der Oxford University entwickelte Mittel bislang als ein Schlüssel bei der globalen Bekämpfung der Pandemie: Es kostet wenig und lässt sich leicht lagern.



Kette von Problemen

Die Kette der Probleme um den Impfstoff hatte mit der ersten grösseren Erprobung des Stoffes begonnen. Teilergebnisse – die Grundlage für Grossbritanniens Genehmigung des Vakzins – wurden durch einen Fehler bei der Herstellung des Mittels getrübt, den Wissenschaftler nicht sofort zugaben.

Dann veranlassten unzureichende Daten über die Wirksamkeit des Stoffes bei älteren Menschen einige Länder anfangs dazu, die Anwendung auf jüngere Leute zu beschränken, bevor es wenig später zu einem Kurswechsel kam. Und in den USA setzten Gesundheitsbeamte eine Astrazeneca-Studie sechs Wochen lang aus, um sich detailliert über aus Grossbritannien gemeldete Probleme zu informieren. Sie kamen dann zu dem Schluss, dass diese nicht vom Impfstoff herrührten, und die Tests wurden wiederaufgenommen.    

In der vergangenen Woche stoppten – entgegen dem Rat internationaler Gesundheitsbehörden – mehr als ein Dutzend Länder vorübergehend die Anwendung des Vakzins. Anlass waren Berichte über das Auftreten seltener Thrombosen bei einigen Geimpften. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA befand dann, dass das Mittel das Risiko derartiger Blutgerinnsel nicht erhöhe. Aber anscheinend blieben Zweifel in der Bevölkerung haften.

In Norwegen warnte ein Spitzenbeamter am Montag, dass der Stoff möglicherweise nicht mehr eingesetzt werden könne, weil so viele Leute ihn ablehnten. Im rumänischen Bukarest teilte Impfkoordinator Valeriu Gheorghita vergangene Woche mit, dass innerhalb von 24 Stunden 33 000 Impftermine abgesagt worden seien, und etwa ein Drittel der 10 000 Menschen, deren Impfung weiter angesetzt war, schlicht nicht aufgetaucht seien. Im serbischen Belgrad blieb ein zu einer Impfeinrichtung umfunktioniertes Ausstellungszentrum am Montag weitgehend leer.



Frankreich als Paradebeispiel für Verwirrung

«Dies hat unglücklicherweise mehr mit Wahrnehmung als mit Wissenschaft zu tun», sagt Bharat Pankhania, ein Experte für Infektionskrankheiten an der britischen University of Exeter. Er sprach von mehreren Faktoren, die zeigten, dass der Impfstoff sicher sei und Schutz biete. «Aber das Narrativ für die Öffentlichkeit ist nicht so klar gewesen.»

Frankreich ist ein Paradebeispiel für die Verwirrung. Präsident Emmanuel Macron hatte ursprünglich zu verstehen gegeben, dass das Mittel bei älteren Menschen nicht wirke, bevor er dann zurückruderte. Dennoch gab Frankreich das Astrazeneca-Vakzin nur für Erwachsene bis zu 65 Jahren frei. Als die Berichte über ein mögliches erhöhtes Thrombose-Risiko auftauchten, setzte die Regierung Injektionen mit dem Vakzin ganz aus, um sie dann wiederaufzunehmen – aber nur bei Personen ab 55 Jahren. Dieses Hin und Her kommt zu einem Zeitpunkt an dem Frankreich und weite Teile Europas mit einer neuen Covid-19-Welle konfrontiert sind und möglichst schnell viele Menschen impfen müssen.

Am Montag hatte Astrazeneca bekanntgegeben, dass sein Impfstoff der US-Studie zufolge zu 79 Prozent vor Erkrankungen mit Symptomen schütze und zu 100 Prozent Tod, schwere Erkrankungen und Krankenhausaufenthalte verhindere. Diese Daten beseitigten alle Zweifel, sagte Mene Pangalos, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung von biopharmazeutischen Produkten.

Aber dann äusserten die Experten des – unabhängigen – Datenüberwachungskomitees der US-Gesundheitsbehörde NIH Besorgnis über veröffentlichte Daten zur Wirksamkeit des Vakzins und riefen Astrazeneca zur Klarstellung auf. Der Konzern hat das zugesagt. Aber der Schaden könnte bereits entstanden sein.

Entwicklungsländer warten ungeduldig auf Astrazeneca

Im Gegensatz zur eher lauwarmen Unterstützung für das Astrazeneca-Mittel gegen Corona in Europa warten Entwicklungsländer zwar weiter ungeduldig darauf, mit dem Impfstoff versorgt zu werden. Es gebe eine «lange Liste» von Staaten, die «sehr heiss» darauf seien, sagt Bruce Aylward, ein Berater bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Manche Experten sind aber besorgt, dass die Skepsis in Europa früher oder später auf andere Teile der Welt abfärben könnte.

Aber vielleicht können die Zweifel auch überwunden werden. Der 68-jährige Portugiese Rui Manuel Martins teilt sie jedenfalls nicht, verweist darauf, dass schon Millionen Menschen mit dem Mittel geimpft worden seien – mit sehr wenigen negativen Auswirkungen. «Es gibt immer einige Fälle von Leuten, die jegliche Arzneien ablehnen», sagt Martins, bevor er in einem Impfzentrum in Lissabon seine erste Dosis erhält. «Es ist besser geimpft zu sein als nicht.»    

Von Maria Cheng, AP