Flucht Vater schickt Siebenjährige allein über die US-Grenze

Von Adriana Gomez Licon, AP

25.3.2021 - 05:18

Alltag an der Grenze zwischen Mexiko und den USA: Ein Marinesoldat hält aus einem Helikopter Ausschau auf den Rio Grande – und auf mögliche Flüchtlinge.
Alltag an der Grenze zwischen Mexiko und den USA: Ein Marinesoldat hält aus einem Helikopter Ausschau auf den Rio Grande – und auf mögliche Flüchtlinge.
KEYSTONE

Ein Vater aus Honduras schickt seine kleine Tochter allein über den Rio Grande – überzeugt, dass die Aussicht auf ein besseres Leben in den USA die Risiken wert ist. Es ist eine Geschichte, die sich an der Grenze zu Mexiko ständig wiederholt.

25.3.2021 - 05:18

Es ist noch dunkel, der Morgen noch nicht angebrochen. Das siebenjährige Mädchen aus Honduras ist von Fremden umgeben, bemüht sich, mit ihnen Schritt zu halten. Das Ziel der Migranten ist nahe, die US-Grenze zu Texas. Es liegt bereits ein langer Weg hinter der Kleinen. Ihr Vater, so erzählt sie einer Journalistin der Nachrichtenagentur AP, war mit ihr per Bus von Honduras quer durch Mexiko gereist, 22 Tage dauerte das. Dann kehrte er in ihr Heimatland zurück – nachdem er sie in die Obhut eines jungen Mannes gegeben hatte, der ihr helfen sollte, den Rio Grande zu überqueren, die Grenze zu Texas.  

Was mit dem Mann geschah, auf den sich der Vater verlassen hatte, ist unklar. Aber das Mädchen mit dem Pferdeschwanz schloss sich einer Gruppe anderer Migranten an und marschierte tapfer weiter,  nordwärts, durch das Flusstal, schwang energisch die Arme hin- und her, um mithalten zu können. Es war kühl an diesem Sonntag unter einem Halbmond, um die 12 Grad oder so. Das Mädchen trug eine gelbe Jacke mit einem lustigen Muster von Eisenbahnzügen im Cartoon-Stil und eine schwarze Maske zum Schutz vor Corona.

AP nennt den Namen des Mädchens nicht, tut das bei Kindern in der Regel nur mit Erlaubnis der Eltern, und die Identität des Vaters liess sich nicht klären. Aber die Reise der kleinen Honduranerin führt vor Augen, welche Risiken Eltern eingehen, damit ihre Kinder über die Grenze gelangen – selbst wenn es bedeutet, dass ihre Sprösslinge den letzten, gefährlichsten Teil der Reise ohne sie schaffen müssen. Denn kämen sie zusammen, als Familie über die Grenze, könnten sie zurückgeschickt werden, unbegleitete Kinder aber nicht. So hat es US-Präsident Joe Biden kurz nach seinem Amtsantritt Ende Januar entschieden. 

Joe Biden im Dilemma

Aber es ist ein Dilemma für die neue Regierung, die versucht, ein geordnetes Asylsystem wiederherzustellen. Das Bemühen, menschlicher mit unbegleiteten Minderjährigen umzugehen, könnte bedeuten, dass mehr Eltern ihren Nachwuchs auf den riskanten Weg über die Grenze schicken. Allein im Februar sind 9500 Migrantenkinder eingetroffen, 60 Prozent mehr als im Vormonat.

Die Regierung versucht, rasch angemessene Unterkünfte für sie zu schaffen und die Prozeduren zu beschleunigen, sie in die Obhut von Verwandten in den USA zu geben. Einzelne Erwachsene werden fast immer abgeschoben, Familien können in manchen Fällen bleiben, um Asyl zu beantragen.

Das kleine Mädchen schaffte es in die USA, ging seinen Weg in ein fremdes Land, in dem es niemanden ausser einem Familienmitglied in South Carolina kannte. Eine andere honduranische Migrantin, die 25-jährige Fernanda Solis, fand das Kind eigenen Angaben zufolge nach Mitternacht an einem Feldweg nördlich des Rio Grande, weinend. Ein Helikopter kreiste über ihnen, Grenzbeamte wandten sich per Lautsprecher an die Ankömmlinge.

Hunger, Durst, Kälte

Das Mädchen fror, hatte Hunger und Durst. Solis versuchte es aufzumuntern, sagte, sie könnten sich zusammen den Grenzbeamten ergeben, um Asyl zu beantragen. Das Kind wird im April acht Jahre alt, sollte dann ins dritte Schuljahr gehen, hat allerdings das Zweite wegen der Corona-Pandemie nicht abschliessen können. Auf Fragen antwortet es ohne Zögern, «sie ist tapfer», sagt Solis.

Ihr Vater, so schildert die Kleine, habe kein Geld gehabt, um mit ihr über die Grenze zu gehen. «Er hat seine Arbeit verloren», sagt sie schlicht. Solis zufolge hatte er offenbar kürzlich versucht, zusammen mit seiner Tochter in die USA zu gelangen, aber beide seien dann rasch nach Reynosa in Mexiko zurückgeschickt worden – gemäss Regeln, die von der Trump-Regierung im Zusammenhang mit der Pandemie eingeführt worden waren.

Biden hat die Befugnisse beibehalten, aber im Gegensatz zu Trump nimmt er unbegleitete Kinder aus, lässt sie zu Verwandten in den USA – mit der Auflage, vor einem Einwanderungsgericht zu erscheinen. 

Geschichte wiederholt sich

Wo sich das Mädchen aus Honduras derzeit aufhält, ist unklar, eine AP-Anfrage bei der zuständigen Grenzbehörde dazu blieb unbeantwortet. Und mittlerweile hat sich die Geschichte der kleinen Honduranerin an der Grenze wiederholt, immer und immer wieder. Am vergangenen Sonntag sprach ein Salvadorianer einen Journalisten an, fragte, ob seine 13-jährige Tochter wohl bleiben dürfe, wenn sie allein über die Grenze käme.

Viele Eltern, so die texanische Menschenrechtsaktivistin Jennifer Harbury, «sagen sich, «zusammen werden wir es nicht schaffen. Wir müssen sehr realistisch sein. Aber wenn ich mein Kind zur Brücke schicke, sie allein die Grenze überqueren, dann müssen sie sie nehmen.»         

Von Adriana Gomez Licon, AP