Überall fehlt Munition Verlust von Awdijiwka zeigt das Hauptproblem ukrainischer Soldaten auf

AP/toko

20.2.2024 - 23:32

Russische Truppen versuchen seit Oktober 2023 unter hohen Verlusten, Awdijiwka zu erobern. Nun waren sie erfolgreich.
Russische Truppen versuchen seit Oktober 2023 unter hohen Verlusten, Awdijiwka zu erobern. Nun waren sie erfolgreich.
Libkos/AP/dpa

Die ukrainischen Truppen haben die Stadt Awdijiwka den russischen Angreifern überlassen müssen. Der Rückzug wirft ein neues Schlaglicht auf ein grundlegendes Problem: die knappe Munition.

20.2.2024 - 23:32

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die ukrainische Armee hat sich auf der heftig umkämpften Stadt Awdijiwka zurückgezogen.
  • Wie in anderen Frontabschnitten machte sich einmal mehr das Hauptproblem der ukrainischen Armee bemerkbar: Fehlende Munition.
  • Einige Artillerieeinheiten kämpfen derzeit mit nur zehn Prozent der eigentlich benötigten Munition.
  • Ukrainische Soldaten, die in Awdijiwka stationiert waren, berichten zudem von einer veränderten russischen Taktik, um aus dem akuten Munitionsmangel der Ukrainer Kapital zu schlagen.

In den vergangenen vier Monaten kam der Beschuss der Soldaten in Awdijiwka aus drei Richtungen. Am Wochenende gaben die ukrainischen Truppen auf und räumten die Stadt in der Region Donezk im Osten des Landes. Die russischen Angreifer nahmen den Ort ein. Nach nur kleinen Erfolgen bei der ukrainischen Gegenoffensive im vergangenen Jahr geben die russischen Streitkräfte wieder das Tempo im Kampf vor. Ein Überblick:

Was ist mit der Unterstützung aus den USA?

Knapp werdende Munition bringt die ukrainischen Truppen unter Druck. Die US-Regierung von Joe Biden brachte den Verlust von Awdijiwka entsprechend mit stockender Militärhilfe aus Washington in Verbindung – nachdem der Kongress bislang 60 Milliarden Dollar (knapp 53 Milliarden Franken) nicht freigegeben hat. Biden erklärte, er habe nach der Bekanntgabe des Abzugs aus Awdijiwka mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert und ihm seine Zuversicht vermittelt, dass die US-Finanzierung letztendlich zustandekommen werde. Auf die Frage von Reportern, ob er zuversichtlich sei, dass die Einigung kommen könne, bevor die Ukraine noch mehr Territorium verliere, antwortete Biden aber: «Das bin ich nicht.»

Ein kommandierender Soldat der 22. Brigade der Ukraine gibt bei einer Nachtschiessübung vor einem T-72 Panzer Anweisungen.
Ein kommandierender Soldat der 22. Brigade der Ukraine gibt bei einer Nachtschiessübung vor einem T-72 Panzer Anweisungen.
Oliver Weiken/dpa (Archivbild)

Schwindende Munitionsvorräte

In den Wochen vor dem Fall Awdijiwkas erklärten mehr als ein Dutzend Kommandeure in stark umkämpften Gebieten in Gesprächen mit der Nachrichtenagentur AP, dass die Munitionsengpässe seit dem Herbst noch viel akuter geworden seien.

Für die ukrainischen Truppen bedeutet ein schwindender Nachschub von Langstreckenartillerie aus dem Westen auch, dass sie schwerlich Ziele tief hinter den russischen Linien angreifen können – dort, wo das schwere Gerät der Aggressoren zum Angriff wartet.

Einige Artillerieeinheiten kämpfen derzeit mit nur zehn Prozent der eigentlich benötigten Munition. Im verzweifelten Bemühen, Geschosse einzusparen, wurden Befehle erlassen, nur noch auf bestimmte Ziele zu feuern. Dies reiche jedoch kaum aus, um den besser gerüsteten Feind in Schach zu halten, erklären Kommandeure vor Ort.

Die Ukraine verliere zudem Kämpfer, weil sie der Infanterie nicht die nötige Deckung geben könne, sagt ein Artilleriekommandeur, der aus Sicherheitsgründen nur seinen Vornamen Chorobryj nennt.

Ukrainische Armee zieht sich unter Beschuss aus Awdijiwka zurück

Ukrainische Armee zieht sich unter Beschuss aus Awdijiwka zurück

STORY: Nach monatelangen Kämpfen ziehen sich die ukrainischen Truppen aus dem Ort Awdijiwka zurück. Laut Angaben des militärischen Oberbefehlshabers der Ukraine, Olexander Syrskyj sollen die Soldaten zu anderen Kampflinien verlegt werden, die erfolgsversprechender sind und stabilisiert werden müssen. Videoaufnahmen, die vom ukrainischen Militär am Samstag veröffentlicht wurden, sollen den Rückzug von Soldaten unter Beschuss aus der ostukrainischen Stadt zeigen. Für einen Teil des Videos konnte die Nachrichtenagentur Reuters den Standort anhand der Gebäude, des Strassenverlaufs und der Bäume bestätigen, die mit den Satellitenbildern des Gebiets übereinstimmten. Reuters war allerdings nicht in der Lage, das Datum zu verifizieren, an dem das Video gedreht wurde. Russlands Präsident Wladimir Putin beglückwünschte das Militär zur Einnahme von Awdijiwka. Auf der Internetseite des Kremls hiess es, Putin habe von Verteidigungsminister Sergej Schoigu einen Bericht über die Einnahme erhalten. Die russische Armee hatte zuletzt ihre Offensive auf die Stadt verstärkt und war von mehreren Seiten vorgerückt. Die ukrainischen Truppen leiden unter einem massiven Munitionsmangel. Um einer Einkesselung zu entgehen, wurden sie nun zurückgezogen. Die Einnahme von Awdijiwka gilt als einer der grössten Erfolge der russischen Armee seit längerer Zeit in diesem Krieg.

19.02.2024

Die russische Taktik

Ukrainische Soldaten, die in Awdijiwka stationiert waren, haben von einer veränderten russischen Taktik berichtet, um aus dem akuten Munitionsmangel der Ukrainer Kapital zu schlagen. Statt in Kolonnen von Fahrzeugen anzurücken, seien kleinere Infanteriegruppen entsendet worden, um die ukrainischen Truppen im Nahkampf anzugreifen. Dafür hätten die Ukrainer ein Mehrfaches an Munition zur Verteidigung gebraucht.

Ein Sieg für Moskau

Der Rückzug der ukrainischen Soldaten aus der stark befestigten Stadt bedeutet für Russland den grössten Erfolg seit der Eroberung von Bachmut im vergangenen Jahr. Die Kreml-Streitkräfte können so ihre Offensive tiefer in die Ukraine vorantreiben.

Militärblogger nennen den Eisenbahnknotenpunkt Pokrowsk als mögliches nächstes Ziel. Auf die von russischen Truppen gehaltene Stadt Donezk verringert sich derweil der Druck.

Ein zerbrechlicher Norden

Nun wächst die Sorge, wie sich die Munitionsknappheit auf andere Frontabschnitte auswirken wird. Bei Kupjansk im Nordosten der Ukraine ist die Linie ohnehin brüchig. Seit Monaten verstärkt Russland dort seine Angriffe.

Seine Leute könnten viele Ziele auf russischer Seite ausmachen, darunter Mörser und Granatwerfer, aber mangels Munition nicht treffen, sagt Kommandeur Juri in Kupjansk. Ihnen bleibe nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie die Angreifer in der Distanz Reserven anhäuften.

Ein anderer Kommandeur in Kupjansk namens Oleksandr, sieht sich aktuell ausreichend ausgerüstet – aber nicht auf Dauer. Alles hänge von der Intensität der russischen Angriffe ab. «Wenn sie die erhöhen, wird es nicht ausreichen, um diese Linie zu halten», sagt er.

AP/toko