Sanitäter auf dem Schlachtfeld Von Mariupol an die Front in der Ostukraine

Hanna Arhirova, AP

29.8.2022

Ukrainische Sanitäter kümmern sich um die Verletzten, während russische Bomben und Granaten vom Himmel fallen. 
Ukrainische Sanitäter kümmern sich um die Verletzten, während russische Bomben und Granaten vom Himmel fallen. 
Bild: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Der Sanitäter Serhij Tschornobrywez verschreibt sich dem Kampf für sein Land. Nach dem Schrecken des Krieges will er eines Tages in seine Heimatstadt zurückkehren.

Hanna Arhirova, AP

22 Tage lang schläft Serhij Tschornobrywez kaum und zieht seine rote Sanitäteruniform nur selten aus. Tag und Nacht rast er durch seine Heimatstadt Mariupol am Schwarzen Meer und kümmert sich um die Verletzten, während russische Bomben und Granaten vom Himmel fallen. Auch nach seiner Flucht in der Ostukraine nimmt er sich keine Zeit für eine Erholung. Er schliesst sich einer Organisation an, die Sanitäter an die Front in der Ostukraine entsendet.

«Ich vor Mariupol und ich nach dem, was passiert ist: Das sind zwei verschiedene Menschen», sagt der schmale 24-Jährige in Charkiw der Nachrichtenagentur AP. «Wenn ich Mariupol nicht überlebt hätte, würde ich jetzt nicht als Sanitäter arbeiten. Ich hätte nicht genug Mut gehabt.» Auf dem Schlachtfeld wird er von allen einfach nur «Mariupol» genannt; auf seiner Tarnuniform prangt ein Aufnäher mit dem Symbol der Hafenstadt, einem gelben Anker.

«Wie ein Rückfall in die Steinzeit»

Die weitere Arbeit als Rettungssanitäter bietet ihm eine Möglichkeit, mit dem Schrecken in Mariupol fertig zu werden, einer Stadt, die weltweit zum Symbol des ukrainischen Widerstands gegen den russischen Angriffskrieg wurde. Die Einwohner der Grossstadt litten unter dem Dauerbeschuss, viele hungerten während der knapp dreimonatigen Belagerung und mussten ohne Wasser und Strom überleben.

«Es war wie ein Rückfall in die Steinzeit», sagte Tschornobrywez. «Es gab Plünderungen, ständigen Beschuss, Flugzeuge, Bombardierungen aus der Luft. Die Menschen um uns herum verloren den Verstand, aber wir machten mit unserer Arbeit weiter.» Er versteckt sich nicht in Kellern oder Bunkern, sondern kümmerte sich um die vielen Verletzten - und riskiert dabei sein Leben. Am 18. März, seinem Geburtstag, flieht er schliesslich und trägt dabei immer noch seinen roten Overall.

Würdigung von Präsident Selenskyj

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj würdigte seinen unermüdlichen Einsatz, als er im Mai im Namen seines Volkes eine Auszeichnung des Atlantic Council, einer in Washington ansässigen Denkfabrik, entgegennahm.

Seine neue Arbeit an der Front unterscheide sich kaum von der in Mariupol, sagt Tschornobrywez. «Dieselben Wunden, ich trage nur eine andere Uniform.» Filmaufnahmen vom Juli zeigen, wie er und seine Kollegen zu einem Soldaten eilen, der von russischem Feuer getroffen wurde. Sie legen einen Druckverband um den rechten Oberschenkel des Mannes und versorgten dann sorgfältig die klaffenden Wunden an Arm und Bein, wo der Knochen zu sehen ist.

Schlachtfeld statt Uni

Ein Jahr fehlt Tschornobrywez noch zu seinem Universitätsabschluss, aber derzeit will er keine Pläne für die Zukunft machen. Bis der Krieg gewonnen ist, so hat er sich geschworen, leistet er Dienst auf dem Schlachtfeld. «Die Medizin ist mein Leben, und meine Pflicht ist es, Menschen zu retten», sagte Chornobryvets.

Er träumt davon, eines Tages nach Mariupol zurückzukehren, das im Mai vollständig von den russischen Truppen eingenommen wurde. Daran will er nicht denken, es ist einfach zu schmerzvoll. «Meine Seele wird zur Ruhe kommen, wenn ich Mariupol betrete - und die ukrainische Flagge darüber weht.